Während der Fahrt redete niemand sonderlich viel und Norah schaute die meiste Zeit aus dem Fenster auf die Landschaft, die an ihr vorbeizog. Sie musste eingedöst sein, denn als sie durch einen leichten Ruck aufgeschreckt wurde, bog das Auto gerade in eine Einfahrt ein und passierte ein hohes, reich verziertes Metalltor, welches in eine Mauer eingelassen war. Hat was von einem Gefängnis, dachte Norah und beobachtete durch die Rückscheibe des Fahrzeugs, wie das Tor hinter ihnen wieder zuglitt. Eindeutig Gefängnis.
Sie fuhren noch ein ganzes Stück durch einen dichten Wald, bis sie einen runden Platz erreichten, in dessen Mitte eine Skulptur errichtet war, die sieben Figuren darstellte, die einen Kreis bildeten.
Der Wagen kam vor einem großen steinernen Gebäude zum Stehen. Als Norah sich aus ihrem Sitz herausschälte und ausstieg, schwangen die beiden Flügel der hohen Holztür auf und eine zierliche Frau mit roten Locken und einem dunkelgrünen Kostüm steuerte auf sie zu. Ihr Gesicht war freundlich und ihr Lächeln offenherzig und ehrlich.
"Norah Melbourne?“ fragte sie mit heller, heiterer Stimme, obwohl sie bereits zu wissen schien, dass sie es war. Es handelte sich vermutlich nur um Formalitäten.
"Ja?“ Norah schüttelte die ihr entgegengestreckte Hand. Sie war weich und kühl.
"Abignail“ stellte die Frau sich vor. "Ich bin die Schulleiterin.“ fügte sie mit einem noch breiteren Lächeln hinzu.
"Sam, Odis, bringen sie doch bitte das Gepäck der jungen Lady in ihr Zimmer.“ sagte sie zu den beiden Männern gewandt, die Norah abgeholt hatten.
Als sie sich wieder Norah zuwandte, war ihr Lächeln verschwunden und einem fragenden und neugierigen Blick gewichen. "Du musst schrecklich viele Fragen haben. Glaub mir, die werden alle beantwortet werden, wenn du den Unterricht hier besuchst. Jetzt sollten wir dir erst einmal unsere Räumlichkeiten zeigen und natürlich dein Zimmer!"
Sie legte Norah eine Hand auf die Schulter und führte sie sacht in Richtung des Eingangs.
"Das hier ist natürlich unser Foyer. Nunja. Nichts besonderes.“ sie durchquerte das Foyer mit zügigen Schritten, doch Norah war stehen geblieben, um den Eingangsbereich zu bestaunen. Die Decke war so hoch wie in einer Kirche und an den Wänden waren riesige Gemälde zwischen Wandteppichen angebracht, die alle fantastische Motive hatten. Die Fenster waren deckenhoch und mit buntem Glas gestaltet, was ebenfalls an eine Kirche erinnerte. Von dem Foyer gingen zwei breite Steintreppen und drei große schwere Holztüren ab. Es war wunderschön!
"Die Tür hier links“ hörte Norah Miss Abignail sagen, führt in unseren Speisesaal." Die zierliche kleine Schulleiterin stieß die mächtige Tür auf, hinter der sich ein gewaltiger Saal erstreckte, der vollgestopft war mit Tischen und Bänken. Ansonsten war der Saal schlicht gestaltet. Weiße Tischdecken, dunkelblaue Samtvorhänge vor den Fenstern und eine kleine Bühne am hinteren Ende des Raumes.
"Hier rechts“ sie stieß eine weitere der drei Türen auf, "geht der Flur zu den Lehrerzimmern und Schlafsälen der Lehrkräfte. Außerdem gibt es dort besondere Trainingsräume."
Sie wirbelte zur dritten Tür und öffnete sie. "Dieser Flur geht zu den unteren Klassenräumen."
So lotste sie Norah durch jede Etage, erklärte, wo sich welche Klassenräume befanden, wo die Jungenschlafsäle lagen und bog schlussendlich in einen Flur ein, von dem die Türen zu den Schlafräumen der Mädchen abgingen. Vor einem Zimmer mit der Nummer 213 blieb sie stehen und hielt Norah einen kleinen vergoldeten Schlüssel entgegen.
"Dein Zimmer“ lächelte sie, "du kannst dich ja erst einmal soweit einrichten. Abendessen gibt es um 18 Uhr. Eine Liste mit den Regeln dieser Schule findest du auf dem Schreibtisch.“ sie hielt kurz inne, bis Norah ihr den Schlüssel abgenommen hatte. "Es wäre schön, wenn du sie befolgst. Regelverstöße“ erneut eine kurze Pause, "werden wie auch überall sonst bestraft." Sie zwinkerte ihr zu und machte auf dem Absatz kehrt. Sie war allein. Wo auch immer die anderen Schüler dieser Schule sich gerade aufhielten, hier zumindest war es unheimlich ruhig. Norah öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Es war relativ klein und beinhaltete ein schmales Bett, einen hölzernen Schreibtisch, einen Kleiderschrank und ein bereits gefülltes Bücherregal. Auf dem Boden vor ihrem Bett stand ihr Koffer und wartete darauf, ausgepackt zu werden. Sie schloss die Tür hinter sich und ließ sich auf das Bett fallen. Es roch sauber und frisch. Aber es roch auch fremd und unbewohnt. Wenn sie es hier aushalten wollte, musste sie dem Raum ihre persönliche Note geben. Also richtete sie sich auf und fing an, ihren Koffer auszupacken.
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Die Wächter - BEGABT (Bd 1)
Teen Fiction"Als sie die Augen öffnete, stand die Welt still..." Du wirst nicht als Wächter geboren. Du wirst als Begabte geboren und dann musst du dich entscheiden: stellst du deine Gabe in den Dienst der Wächter, die sich für das Gute auf der Welt einsetzen o...