Eine Weile saßen Allie und Norah schweigend im Gras und genossen die prickelnde Sonne auf ihrer Haut, als sich jemand ihnen in die Sonne stellte. Norah blickte hinauf in Sidneys fröhliches Gesicht.
"Lust auf eine Shopping-Tour?", fragte sie und strahlte dabei über beide Ohren.
"Dürfen wir denn einfach so das Schulgelände verlassen?", fragte Norah verdutzt und schirmte ihre Augen mit ihrer Hand ab, als Sid sich zu ihnen setzte und die Sonnenstrahlen wieder auf sie herab rieselten.
"Na klar", antwortete Sidney ohne zu zögern und lachte. "Das ist doch kein Gefängnis hier, sondern 'ne Schule, Dummerchen."
Auch Allie lachte und fügte dann hinzu: "Solange wir zum Unterricht und den Essenszeiten hier sind, ist alles oki doki. Am Wochenende ist das Alles ohnehin viel lockerer. Da können wir auch in der Stadt essen oder nach Hause oder was auch immer. Also ich bin dabei.", sagte sie an Sidney gewandt.
"Und du, Norah?", fragte Sidney und beide musterten Norah abwartend.
"Klar!", das war jawohl gar keine Frage. Norah würde heilfroh sein, wenn sie hier mal rauskam und all die Geheimniskrämerei und die vielen Fragen und Zweifel hinter sich lassen könnte.
"Supi!", strahlte Sidney und klatschte voller Freude in die Hände.
"Wollen wir Katy auch noch fragen?", schlug Allie vor.
Sidney rollte zur Antwort bloß mit den Augen und deutete auf eine Bank an einer der Gebäudemauern, auf der Katy und Peeta saßen und sich innig küssten.
Allie kicherte und zuckte mit den Schultern. "Dann wohl nicht."
"Los?", fragte Sidney, stand auf und klopfte sich Gras von der Hose.
Allie und Norah erhoben sich ebenfalls und folgten Sidney, die auf den Parkplatz vor dem Schulgebäude zusteuerte.
"Wir fahren mit meinem Wagen, das geht schneller", sagte sie und friemelte einen Schlüssel aus den tiefen ihrer Handtasche hervor. Die drei Mädchen quetschten sich in den uralten Käfer, den Sidney mit haufenweise Blumen dekoriert hatte und fuhren die Auffahrt entlang. Als sie das Tor zum Schulgelände passierten, spürte Norah eine unglaubliche Last von ihren Schultern verschwinden und atmete tief und glücklich ein. Es tat einfach nur gut, dort einmal wegzukommen.
Die Fahrt in die nächstgelegene Kleinstadt dauerte fast eine dreiviertel Stunde und Norah, Allie und Sidney überbrückten diese Zeit mit allerlei typischem Mädchen-Geplapper und lautem Mitsingen zu kultigen Girl-Band-Songs. Es war himmlisch.
Schließlich parkte Sidney in einem offenen Parkhaus in Innenstadtnähe und die Drei zwänkten sich aus dem kleinen Gefährt. Allie beklagte sich, dass ihre linke Pobacke eingeschlafen sei, was erneutes Gelächter auslöste. Zu dritt marschierten sie den Bürgersteig entlang und plauderten über Gott und die Welt, als Sidney ohne Vorwarnung ein neues Thema anschnitt.
"Was ist eigentlich zwischen dir und Cameron?", fragte sie Norah und ein Ausdruck von Eifersucht huschte über ihr Gesicht. Mit einem Mal war alle Ausgelassenheit verflogen. Norah knibbelte nervös an ihrem T-Shirt und sah hilfesuchend zu Allie. Die zuckte aber bloß mit den Schultern, was so viel bedeutete wie, dass sie auch keine Ahnung hatte, was das jetzt sollte.
"Wir sind Freunde", versuchte Norah so ausweichend wie möglich zu antworten, doch Sidney ließ so leicht nicht locker.
"Freunde", schnaufte sie und ein leises Lachen erklang, "das glaubst du ja wohl selber nicht."
Norah spürte, wie sie rot wurde und fixierte ihren Blick auf die Stadt, die vor ihr lag. "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, als was er mich sieht.", gestand sie und wurde sich gleichzeitig bewusst, dass das stimmte. "Vielleicht sind wir zusammen, vielleicht auch nicht. Wir haben darüber noch nicht gesprochen.", fügte sie hinzu und merkte gleichzeitig Sidneys bohrenden Blick auf sich ruhen.
"An deiner Stelle würde ich das mal mit ihm klären", sagte Sidney und löste damit die Spannung. Sie klang total neutral und alle Eifersucht war aus ihrem Gesicht verschwunden, als Norah sich zu ihr umdrehte. Stattdessen wirkte Sid irgendwie...besorgt.
"Wieso?", fragte Allie an Norahs Stelle und brachte sich somit wieder in das Gespräch mit ein.
"Naja", druckste Sidney herum und schien ein wenig unsicher, ob sie das Folgende wirklich sagen sollte.
"Alle an der Akademie sprechen darüber", sagte sie schließlich. "Von wegen Norahs immenser Begabung und so.", fügte sie hinzu und sah dabei Norah unverwandt in die Augen. "Ich will nur nicht, dass Cameron dich verletzt. Was du heute Morgen beim Frühstück gesagt hast", sie stockte kurz und rang mit sich, fuhr dann aber fort. "Ich habe auch schon von den sogenannten "schwarzen Schafen" unter den Wächtern gehört. Die, die ihre Kraft nutzen, um Macht zu bekommen. Die, die mächtige Begabte auf ihre Seite ziehen wollen." Norah und Allie starrten Sidney sprachlos an, doch diese hatte sich nun in Fahrt geredet und fuhr unbeirrt fort: "Jeder weiß, wie viel Potential die Wächter Cameron zusprechen. Sie wollen ihn. Doch man weiß nie genau, ob unter denen, die ihn wollen, auch ein schwarzes Schaf ist. Sie geben ihm sogar schon Aufträge." Noch immer wussten Allie und Norah nicht, worauf sie hinauswollte, doch dann platzte es aus Sidney heraus: "Was, wenn Cameron sich bloß an Norah ranschmeißt, um sie von den Wächtern zu überzeugen? Ich meine, klar, wir sind alle hier, weil wir Wächter werden wollen. In gewisser Weise. Aber das soll unsere freie Entscheidung sein und wir müssen die Augen und Ohren offen halten, um nicht an die falsche Seite zu geraten." Sie holte tief Luft und sagte dann etwas, was Norah völlig aus der Bahn warf.
"Ich habe Angst, dass Cameron dich manipuliert, damit du dich für die Wächter entscheidest und ich kann nur hoffen, dass die Wächter, denen Cameron so zugeneigt ist, keine schwarzen Schafe unter sich haben und du dich trotz seiner Aufmerksamkeit dir gegenüber richtig entscheidest!"
Norah schluckte schwer. Und Carter hatte Sidney als "nicht die Hellste" bezeichnet. Wenn der wüsste, wie Sidney hier gerade redete. So war sie in der Schule nicht. Es war fast so, als ob sie dort Angst hatte, frei und offen zu sprechen! Diese Erkenntnis traf Norah wie ein Schlag und ihre Zweifel wuchsen noch stärker an. Und was hatte Sid wegen Cameron gesagt? War das wirklich bloß Eifersucht?
Langsam nickte Norah. "Du hast Recht", sagte sie bloß und ging kurze Zeit schweigend neben ihren Freundinnen her. "Wir sollten alle skeptisch sein und nicht zu leicht vertrauen. Wo besondere Kräfte sind, ist auch Macht und Macht macht Menschen gierig und lässt sie aus den Augen verlieren, was wirklich zählt." Norah konnte kaum glauben, dass sie das gerade gesagt hatte. Es klang so erwachsen und so wenig nach ihrem alten Selbst. Doch als Allie und Sidney zustimmend nickten, fühlte sie sich gut und bestärkt.
"Ähm Mädels,", meldete sich da Allie zu Wort, "das Alles ist ja schön und gut", sie überlegte kurz, "oder eben schlecht", stellte sie klar und guckte ernst, "aber", fügte sie hinzu und ein Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit, "jetzt wollen wir auch mal weniger ernst sein, okay?"
"Okay", sagte Sid mit einem letzten ernsten Blick auf die Beiden und setzte sich dann eine teuer aussehende Sonnenbrille auf, mit der sie wie ein Hollywood-Star aussah. Sie grinste.
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Die Wächter - BEGABT (Bd 1)
Teen Fiction"Als sie die Augen öffnete, stand die Welt still..." Du wirst nicht als Wächter geboren. Du wirst als Begabte geboren und dann musst du dich entscheiden: stellst du deine Gabe in den Dienst der Wächter, die sich für das Gute auf der Welt einsetzen o...