„Chad?"
Als ich seinen Namen aussprach, konnte ich es selbst gar nicht begreifen. Ich starrte in seine blaugrauen Augen und mein Herz hörte auf zu schlagen, so schockiert war ich, ihn plötzlich vor meiner Wohnungstür stehen zu sehen.
Wie lange war es schon her?
Was für eine bescheuerte Frage, natürlich wusste ich wie lange es her war. Am 15. Juni wurden es vier Jahre, da brauchte ich nicht lange überlegen. An diesem Tag hatte ich ihn zum letzen Mal gesehen und da die Sonne damals schien, konnte ich eine Sonnenbrille tragen, weshalb niemand meine verquollenen Augen sehen konnte.
Leider waren meine Augen damals nicht genügend verheult gewesen, um nicht sehen zu können, wie Chad ihre Hand hielt. Ich wusste sofort, dass es sich dabei nicht nur um eine freundschaftliche Geste handelte. Alleine die Art, wie die beiden sich ansahen.
Ich hätte nicht gedacht, dass es mir zu diesem Zeitpunkt noch schlechter gehen könnte als ohnehin schon, aber sie hatten es geschafft.
Chad räusperte sich geräuschvoll und ich verdrängte meine Gedanken an vergangene Tage.
„Hi. Kann ich vielleicht reinkommen?"
Es war merkwürdig seine Stimme, die sich kein bisschen verändert hatte, wieder zu hören. In den letzten Jahren hatte ich sämtliche Gedanken an ihn verdrängt und darauf geachtet, die Erinnerungen an ihn nicht hochkommen zu lassen. Und jetzt stand er vor mir und wollte in meine Wohnung herein.
Aber wollte ich ihn überhaupt hereinlassen?
Nein, ehrlich gesagt nicht, denn es gab einen Grund, warum ich ihn fast vier Jahre lang nicht mehr gesehen hatte.
Und doch trat ich zur Seite und gab ihm damit ein Zeichen hereinzukommen. Ich wusste nicht wieso ich das tat, aber Chad kam herein und so war er plötzlich nicht nur mitten in meiner Wohnung, sondern auch wieder mitten in meinem Leben.
Wieso hatte ich ihm nicht einfach die Tür vor der Nase zu geschlagen? Vielleicht hätte ihm das seine Nase gebrochen und er hätte annähernd den Schmerz gespürt, den ich damals spürte und der jetzt wieder aufkochte.
Ohne, dass ich etwas sagte zog er seine Schuhe aus und deutete mir fragend an, ob er seine Jacke an die Garderobe direkt neben der Eingangstür im Flur hängen konnte. Wieder nickte ich nur, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Stimme versagen würde, wenn ich mehr als nur seinen Namen sagen müsste. Seine Stimme hingegen war immer noch so warm und kräftig wie früher. Na gut, warum sollte sie sich auch verändert haben? Die Zeit in der er im Stimmbruch war, lag schließlich schon lange hinter ihm.
Ich deutete ihm an, durch die Tür rechts neben der Garderobe zu gehen, wo sich mein Wohnzimmer befand. Langsam folgte ich ihm und wusste immer noch nicht, was ich davon halten soll, dass er einfach so bei mir auftauchte. Er musste einen ganz schon weiten Weg zurück gelegt haben, denn mein alter Heimatort lag vier Flugstunden von Palo Alto entfernt. Zufällig vorbeigekommen konnte er also nicht sein.
Meine Gedanken wurden vom Geruch seines Aftershaves, das mir noch zu gut in Erinnerung war, unterbrochen. War es möglich, dass er immer noch dasselbe wie in der High School benutzte? Ich fühlte mich sofort zurück versetzt, wie damals mein ganzes Zimmer immer nach ihm gerochen hatte, wenn er bei mir war.
Chad ließ sich auf meiner schwarzen Couch nieder und drehte seinen Kopf nach rechts und links um das Zimmer zu begutachten. Es war nicht besonders groß, aber zusammen mit meiner Mitbewohnerin Laurel hatte ich versucht es so heimelig wie möglich zu machen. Über dem schwarzen Sofa hing eine Fotoleinwand mit einem der roten englischen Bussen, der durch London fuhr. Bis auf den Bus war das Bild in schwarz-weiß gehalten. Gegenüber befand sich eine schwarze Schrankwand mit einem Fernseher und Platz für Bücher und Fotos. Allerdings gab es nur Fotos von Laurel und mir, in den letzten Jahren war sie die einzige Person in meinen Leben, die dauerhaft bei mir war.
DU LIEST GERADE
GROWING UP
ChickLitVor seinen Probleme wegzulaufen ist keine besonders erwachsene Lösung, aber trotzdem viel einfacher als sich ihnen zu stellen. Aus genau diesem Grund hat Mackenzie die letzten vier Jahre auch sämtliche Erinnerungen an ihre Heimatstadt Sunbridge verd...