10.

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Es war Mitte Juni, als meine Mutter vormittags bei mir anrief, währen dich gerade in der Vorlesung saß. Mein Handy war auf leise, da es aber am Tisch lag, sah ich ihren Namen aufleuchten. Damals dachte ich mir nichts Schlimmes dabei, denn Mum vergaß immer wieder, dass ich vier Stunden später dran war und wann ich Vorlesung hatte, konnte sie sich eh nie merken.

Aber Mum ließ nicht locker. Sie rief immer wieder an, bis ich letztendlich aufstand und aufs Klo ging.

Nachdem ich den Vorlesungssaal verlassen hatte, rief sie erneut an und dieses Mal ging ich ran. Ich war genervt und fragte, was denn passiert sei.

Als sie sagte, dass Andrew und Hayden einen Autounfall hatten und Andrew sofort tot war, wünschte ich mir, ich hätte nicht danach gefragt. Mir war leider klar, dass man über so etwas keine Scherze machte, glauben konnte ich es trotzdem nicht. Ich brach heulend im Klo zusammen und verbrachte gefühlte Stunden darin, bevor eine meiner Kommilitoninnen nach der Vorlesung kam. Sie hatte sich um mich gesorgt, was erstaunlich war, denn bis dahin hatten wir nur ein paar Worte miteinander gewechselt. Ich stand unter Schock und sie brachte mich in mein Studentenwohnheim und verbrachte die ganze Nacht bei mir.

Im Gegensatz zu Hayden, hatte ich damals mit Andrew noch regelmäßig Kontakt. Erst am Abend zuvor, hatten wir miteinander telefoniert und er hatte erzählt, dass er und Hayden am nächsten Tag angeln wollten. Beide hatten keine Vorlesungen und waren für ein langes Wochenende nach Sunbridge gekommen. Er hatte sich total auf die gemeinsame Zeit mit seinem älteren Bruder gefreut. Obwohl sie sich durch das College weniger sahen, standen sie sich viel näher, als noch zu Schulzeiten.

Andrew war zwar Haydens kleiner Bruder, aber für mich war er das irgendwie auch. Er war ein bisschen kleiner als ich und vom Wesen her eher zurückhaltend. Das war Hayden zwar auch, aber bei Andrew hatte ich immer das Gefühl ihn vor allem beschützen zu müssen. Und das tat ich seit dem Kindergarten.

Im Ausgleich dafür tröstete mich Andrew, wenn mir sein großer Bruder mal wieder das Leben schwer machte. Andrew war, neben Jen, irgendwann der einzige, der verstand, warum ich an Hayden hing. Alle anderen waren mit der Zeit einfach nur noch genervt davon.

Ich konnte immer noch nicht in Worte fassen, wie sehr mich sein Tod aus der Bahn warf. Nichts war mehr wie früher. Es war so, als wäre mein Leben vom Farbfilm zu Schwarz-weiß gewechselt.

Ich war nicht mehr in der Lage irgendwas zu empfinden. Alles in mir fühlte sich taub und kaputt an.

Eine Woche später kam ich nach Sunbridge. Die Beerdigung verzögerte sich etwas, weil Hayden nicht eher aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Ich hatte die ganze Woche lang nichts von Jen gehört und als ich sie gemeinsam mit Chad sah, dachte ich, dass alles wäre ein schlechter Witz.

Verglichen mit dem Schmerz, den ich aufgrund von Andrews Tod spürte, war das von Jen und Chad zwar nur ein kleiner Kratzer, aber irgendwie brachte es das Fass zum überlaufen.

Als ich damals zum Flughafen fuhr, hatte ich mir geschworen nie wieder in diese Stadt zurückzukehren.

Vier Jahre lang hatte ich es durchgehalten.

„Kenzie, könntest du bitte den Tisch decken?"

Mum stand in meinem Zimmer und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie herein gekommen war.

Ich richtete mich auf und sie blickte mich skeptisch an.

„Hast du geweint?" fragte sie nach und ich fasste mir unter die Augen. Tatsächlich war ich dort feucht. Anscheinend hatte ich es nicht mitgekriegt.

„Meine Augen tränen heute nur ein bisschen", behauptete ich und sah Mum an, wie sie sich ihren Teil dazu dachte. Ich sprach mit meiner Mutter eigentlich nie über Gefühle. Das sie mir unter der Woche nahe gelegt hatte Hayden zu vergessen, war so ziemlich das einzige Mal gewesen.

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