Kapitel 5

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-FREYA-

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als ich mit trägen Bewegungen in mein Mittagessen biss.

Wasser lief an meinem Mund herunter und tropfte auf den trockenen, rissigen Boden. Erneut spürte ich einige Blicke auf mir, straffte intuitiv meine Schultern.
Den verbliebenen Fisch band ich mit losem Knoten an eine meiner Gürtelschlaufen und wischte die Hände an meiner Hose ab.
Bei dieser Entfernung würde mein Weg zum Stadtinneren vermutlich fast einen ganzen Tag dauern, schätzte ich und schirmte meine Augen gegen die unbarmherzige Mittagssonne.

Auf meiner Route versank ich in Gedanken, bog falsch ab und fand mich in allerlei verruchten Gassen wieder.
Die kleinen Straßen, die eigentlich nur der freie Platz zwischen mehreren Häuserreihen waren, umspannten oft am Dach viele, zusammengenähte Laken und Tücher, die das Sonnenlicht weitestgehend abschirmten.

Solche Straßen, erkannte ich bald, sollte ich in jedem Falle meiden:

Ich sah verstohlene, unterwürfige Blicke, weiße-blaue Augenpaare, die mich aus den dunkelsten Ecken beobachteten.
Niemand hatte hier genug zu essen, erkannte ich und setzte meinen Weg mit hektischen Schritten fort.

Nach einem halben Tagesmarsch stoppte ich irritiert.
Mir kam eine lange Kolonne entgegen, ich schätzte sich auf etwa zwanzig Personen.
Eine größere Gruppe wurde von fünf Sklaventreibern eingekreist, die diesen grausamen Zug durch die Stadt lenkten.
Ich sah müde Gesichter, mit rauen Seilen geknebelte Menschen - die Sklaven waren in einem schrecklichen Zustand.
Jeder einzelne, ob Frau oder Mann, trug eine schwere, rostige Eisenkette um die Hals.
Dunkle Male in dieser Gegend zeugten von Misshandlung und Leid.

Die Sklaventreiber - groß und muskulös, fast hunnenähnlich - trieben ihre Beute mit größter Härte vorwärts. In ihren Händen hielten sie lederne Peitschen und kleine Dolche an ihren Gürteln.
Ihre nackten Oberkörper zeugten von roten Malen und Narben.
Die Sklaventreiber trugen braunes oder rötliches Haar, allesamt mit diesen bemerkenswerten blauen Augen.
Die Sklaven hielten den Blick stets gesenkt, ihre Schultern hingen traurig nach unten.
Allein ihr verdrecktes, langes Haar unterschied sie augenscheinlich vom Rest der Menschen.
Wie in Trance ließ ich den Zug passieren.
Ich hörte die schlurfenden Schritte der Sklaven noch, als sie schon längst außer Reichweite waren.
Zerstreut sortierte ich mich:
Ich schlang meinen Schwertgurt enger um meine Hüfte und zog mein Oberteil darüber.

Unvorsichtig setzte ich meinen Weg fort, sah mich nicht oft genug um und schenkte verräterischen Blicken keine Aufmerksamkeit mehr.
Als ich um eine Ecke zu meiner Rechten bog, fand ich mich plötzlich auf dem Boden kniend wieder.
Starke Hände drückten ein Messer an meine Kehle, während eine zweite Person mir ihr grinsendes Gesicht vor die Nase hielt.

»Na, wen haben wir denn hier?«, fragte der Mann mit den nussbraunen Haaren.

Er sah ungepflegt aus, seine Haare reichten bis zum seinem Kiefer, an dem sich sein Mund zu einem herausforderndem Lächeln verzog.

»Hast dich verlaufen, Kleine? Du bist im falschen Viertel gelandet. Das hier ist kein Platz für räudige Befleckte.«

Bei seinen Worten schmerzte mein Rücken. Jemand hinter mir hustete und ich hörte aus der Ferne aufgeregte Stimmen.

»Schaff sie weg hier«, hörte ich den hinter mir aufgebracht sagen.

Der Mann vor mir nickte wissend und schnipste leise mit dem Finger.
Auf seinen Befehl hin schlug mir jemand gegen die Schläfe.

Augenblicklich erschlaffte ich, hatte keine Kontrolle über meinen Körper mehr.
Ich wurde über eine Schulter gehievt, bewegungslos und stumm wie ein nutzloser Sack Fisch.
Wie setzten uns in Bewegung Richtung Stadtgrenze, ich spürte die dumpfen Schritte meines Trägers deutlich.
Meine Sicht war verschwommen, ich konnte nur schwer atmen.
Ich spürte den Brustkorb meines Trägers vibrieren, als er mit tiefer Stimme sprach.

»'N hübsches Ding bist du. Schade, dass du so wertlos bist.«

In seinen Worten schwang Abscheu mit, aber auch ein Funke Bedauern.
Ich versuchte, den Mund zu öffnen, doch fand die Kraft dafür nicht.
Mein Kopf dröhnte unbarmherzig und meine Finger kribbelten.
Nach einer Weile verlor ich das Bewusstsein.

Es fühlte sich an, als würde mir die Luft aus den Lungen gepresst werden.

»Fessel sie, verdammt.«

Ich lag bäuchlings auf weichem Boden, meine Atmung ging flach und stoßweise.
Jemand riss mich am Arm herum und hievte mich hoch.
Ich spürte Hände auf meiner Haut, als Jemand mir die Hände auf den Rücken band.

»Wenn sie abhaut, bezahlst du dafür.«

Ich sah den Mann - den Anführer - wie in Zeitlupe auf meinen Träger einreden.
Er trug eine rote Uniform - zwar dreckig und verblasst, aber immerhin eine Uniform.
Um seinen Oberkörper schlagen sich beige und gelbe Schmuckbänder, verziert mit unlesbaren Schriftzügen.
Seine hellen, blauen Augen zeigten sich deutlich auf seiner gebäumten Haut.
Meine Hände wurden an einen in den Boden gestampften Pfahl gebunden, der, durch mehrere Steine zusätzlich beschwert, wohl schon viele Gefangene am Fliehen gehindert hatte.

Der Offizier verschwand aus meinem Blickfeld tiefer in den Wald, während zwei weitere Personen einige Meter entfernt ein Feuer entfachten.
Zusammen mit meinem Träger ließen sie sich nieder und teilten sich mein Mittagessen.
Einige Stunden lang beobachtete ich sie, ihre Gestalten wurden durch den flackernden Schein des Feuers verzerrt.
Ich sah mich um, überblickte meine missliche Lage:

Ich lehnte an einem Baumstamm, die Hände fest hinter meinen Rücken gefesselt.
Mittlerweile war ich sicher, meine Kopfwunde hätte geblutet und auf meinem Sichtfeld lag am rechten Auge ein rötlicher Schleier.
Ich beobachtete die Sonne, den sich verdunkelnden Himmel.
Die Nacht brach herein.

Die Stimmen am Feuer wurden weniger und leiser, bis schließlich, als das Feuer heruntergebrannt und die Männer die Stelle verlassen hatten, sich Dunkelheit über den Wald senkte.
Ich hörte lediglich meinen eigenen Herzschlag, meine Handgelenke pochten schmerzhaft.

Ich hörte dumpfe Geräusche, ein stetiger Rhythmus, der mich stocken ließ.
Die Schritte wurden lauter und bewegten sich in meine Richtung.

Sollte ich schreien?

Ich hatte keine Ahnung, wer da kam und warum er kam.
Ich wusste nicht, ob der, der hierher kam, die Gefangene aufsuchte, um sie zu retten oder zu töten.
Oder schlimmeres.

Ein dreckiges Rot glitt in mein Sichtfeld und mein Herz begann zu pochen.
Der Anführer, wusste ich.

»Hast du dich eingelebt, Süße?«, fragte er mit dunkler Stimme.

Er ging vor mir in die Knie, war nun auf Augenhöhe.

»Was ist? Fühlst du dich nicht wohl?«

Er lachte leise.
Die Abzeichen seiner Uniform schlugen leise aneinander, als er sich gespielt mit der Hand durch die braunen Haare fuhr.
Er tat so, als würde er sich für mich hübsch machen, erkannte ich.
Sein schiefes Lächeln offenbare seine geraden Zähne.
Der hier war kein Sklave, erkannte ich.

»Ich habe schon sehr lange keine so hübsche Befleckte gesehen. Mit anderer Haarfarbe hätte ich dich vielleicht sogar geheiratet.«

Kichernd strich er über meinen Arm.

»Ach, mach dir nichts draus. Wir können auch so Spaß haben, meinst du nicht? Solange es die hier nicht mitbekommen ...«

Er deutete mit dem Kopf hinter sich, wandte den Blick jedoch nicht von mir ab.

»Du gefällst mir«, fuhr er leise fort, während seine Stimme bedrohlich umschlug,
»Und das heißt: Du wirst diesen Ort hier nicht wieder so schnell verlassen.«

Sein hartes Lachen würde noch Stunden später in meinem Kopf hallen.

Tochter der SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt