Kapitel 10

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-FREYA-

Mit warmem Lächeln beobachtete Lewis mich.

»Du verarschst mich«, sagte ich atemlos und sah, wie tiefes Blau auf seiner braunen Haut schimmerte.
Er nickte nur verständnisvoll und sagte:

»Komm, setz dich erstmal. Du bist nämlich nicht die einzige, die Fragen hat.«

Schnell setzte er sich auf den kalten, wachsbefleckten Boden der Höhle und streckte die Beine aus.
Ich nahm ihm gegenüber Platz; sah ihn erwartungsvoll an.

»Oh«, sagte er plötzlich, »Stimmt. Hatte ich ganz vergessen!«

Mit hastiger Bewegung hob er die linke Hand zu meiner Stirn und berührte sanft meine Schläfe.
Es war, als würde sich ein unsichtbarer Film von meinen Augen lösen.

»Hier ist es sicher. Du kannst ruhig zeigen, dass du anders bist.«

Langsam ließ er die Hand sinken und sah mich dabei an.

Er war es, begriff ich jetzt, er hatte meine Andersartigkeit versteckt.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte ich, und versuchte dabei so ruhig wie möglich zu klingen.
»Und vorallem«, fügte ich nach einer Pause hinzu. »Wieso?«

»Ich wusste, mit diesem offensichtlichen Zeichen würdest du keine drei Tage überleben. Ich musste dich schützen«, sagte er, »Und deine Augen waren das einfachste in dieser Sache.
Du hast wirklich Glück gehabt. Wären deine Zeichen deutlicher Gewesen, hätte ich dir vermutlich nicht mehr helfen können.«

Ich nickte, lauschte seinen ruhigen Worten.

»Außerdem hab' ich ein Herz für Außenseiter«, sagte er lachend.
»Ich konnte doch nicht zusehen, wie du einfach auf der Straße verreckst.«

Wieder nickte ich nur, zupfte unruhig an meinem Hemdsärmel.

»Nun, erzähl doch mal«, forderte Lewis plötzlich.

Erschrocken sah ich auf.
Mir wurde heiß und kalt, abweisend verschränkte ich meine Arme.
Ich wusste, dass ich hier bei Lewis fürs Erste sicher war, doch konnte ich ihm auch wirklich trauen?
Denn meine Abnormität hatte mir bis jetzt nichts als Feinde geschaffen.

Konnte ich mich jemals sicher fühlen?

Doch Lewis war anders, fühlte ich.
Er lüftete meinen Schleier, sah mein wahres Ich und verstieß mich dennoch nicht, wie der Rest es tat.
Ich fasste neuen Mut und setzte mich gerade auf.

»Ich glaube«, begann ich langsam, »Dass ich schiffbrüchig wurde.
Ich kam erst an dieser Küste wieder zu mir, kann mich an nichts erinnern.
Alles, was ich damals besaß, trage ich noch bei mir.
Ich -«

Plötzlich stockte ich, als die Erinnerung mich überkam.
Ich bemerkte, dass ich anfing, zu weinen.

»Ich wurde angespült. Und - und von Männern aufgegriffen.
Ich musste mich verteidigen - ich hatte keine Wahl, ich -«

Tränen rannen meine Wangen hinunter, salziges Wasser benetzte meine Haut.

»Da war ein Mann. Ein - ein alter Fischer.
Er dachte, ich wäre tot, doch als er bemerkte, dass ich noch am Leben war, wollte er mich eigenhändig zurückschicken.
Ich musste mich doch wehren - was für eine Chance hätte ich sonst gehabt?«

Tochter der SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt