Kapitel 20

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-FREYA-

Der Tag verstrich ohne weitere Vorkommnisse.
Gegen Abend entfachte Lewis ein Feuer in der Mitte des Raumes, dessen flackernde Lichter den Raum in ein warmes Orange tauchten.
Das Brot, das wir gegen Mittag am Markt gekauft hatten, schmeckte salzig und rau.
Wie passend, dachte ich und sah die Hafenstadt vor meinem inneren Auge.
Die kalte See, die ich so liebte, die großen Handelsschiffe, die träge auf den Wellen schwammen.
Die Seeleute, die hart arbeiteten und ihren geringen Lohn in Wein umtauschten.
Zu spät bemerkte ich, in welche Richtung meine Gedanken mich trugen, und die Erinnerung an Parus versetzte mir einen Stich in die Brust.

Es war seltsam, welche Verbundenheit man entwickeln konnte, wenn man Verlust empfand.
Der alte Mann war eine angenehme, wenn auch nur flüchtige Begegnung gewesen, und doch beschäftigte mich sein Tod mehr als ich hätte ahnen können.

Dieser sinnlose Mord war nichts als eine Machtdemonstration gewesen, eine schmerzhafte Erinnerung, dass Lewis und ich uns noch immer in Gefahr befanden.
Ich hatte lange darüber nachgedacht, meine Trauer tief in mir vergraben und versucht, nicht daran zu denken.

Ich wusste nun, es war der falsche Weg gewesen und zwang mich, meinen Gedanken Gehör zu schenken:

Wenn wir nicht zurückkehren, sterben Unschuldige.

Wollte ich das in Kauf nehmen?
Ich hatte noch nie solche Verantwortung gespürt: Ich entschied über Leben und Tod.

Ist meine Sicherheit es wert, für mich zu sterben?

Ich zwang mich, es zu verneinen, und doch war es so einfach, sein eigenes Leben über das von Fremden zu stellen:
Die Menschen von Rhytkar waren mir mit Verachtung und Misstrauen begegnet, basierend auf meinem Aussehen und meiner Abstammung.

Gibt dies mir das Recht, über das Leben von anderen zu entscheiden?

Ich hing diesem Gedanken nach, fand keine Antwort und ließ ihn ziehen.

»Du bist still«, bemerkte Lewis von der anderen Seite des Feuers und ich sah die goldenen Flammen in seinen Augen tanzen.
»Bist du in Ordnung?«

Ich nickte stumm und beobachtete die Asche zu meinen Füßen.
»Doch ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Lewis senkte wissend den Kopf und starrte in die Flammen zwischen uns.
»Ich verstehe«, antwortete er und atmete leise aus.
Es schien, als würde er sich vor diesem Gespräch fürchten. Doch wir beide wussten, dass es unumgänglich war.

»Was schlägst du vor?«, fragte ich, »Du kennst die Insel und Castor besser und länger als ich. Was sollen wir tun?«

Und jeden Tag, den wir warten, jede Minute, die wir verschwenden, lässt vielleicht eine weitere Seele für uns ihr Leben.

»Ich weiß vor allem Eines«, begann Lewis langsam, »Und das ist, dass Castor gerne mit seiner Beute spielt.«

Seine Wortwahl bedrückte mich. Hatte Lewis die Hoffnung etwa schon verloren?

»Es ist unmöglich zu sagen, ob unsere Rückkehr uns beide, geschweige denn einen von uns retten würde«, er hielt Inne und hob den Blick.

»In jedem Fall rettet es unschuldige Leben«, erklärte ich ihm, »Wenn wir davon ausgehen, dass Castor die Wahrheit sagt.«

Wieder nickte Lewis und rückte ein wenig näher zum Feuer.
Sein Blick war abwesend und nachdenklich.
»Das ist das Problem«, bestätigte er.
»Wir können nicht abschätzen, welche Folgen es haben wird. Einzig bleibt die Hoffnung auf Gnade.«

Tochter der SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt