Kapitel 7

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-FREYA-

Mit müden Augen betrachtete ich den Sonnenaufgang.
Rote und goldene Streifen zogen über den Himmel, Wolken zogen dort oben ihre trägen Bahnen.
Ich hörte Geräusche aus dem Wald:
Es waren zahllose Männerstimmen, verwunden zu einem Durcheinander.
Unmöglich zu sagen, wie viele es tatsächlich waren.

Das Stimmengewirr war leise, gedämpft von den eng stehenden Bäumen und dem weichen Waldboden.

Der Geruch eines Feuer stieg mir in die Nase; vermutlich bereiteten sie ihr Essen zu. Bei diesem Gedanken knurrte mein Bauch.

Ich räusperte mich und wünschte, ich könnte meinen dünnen Mantel enger um mich schließen.
Der ausgeblichene, braune Stoff wies an den Rändern raue Stellen und Risse auf - warmhalten würde er mich sicher nicht mehr, jetzt, da der Herbst nahte.
Die grünen Blätter der Bäume hingen schlaff an den dünnen Ästen, so, als könnte der nächste Windstoß sie zu Boden fallen lassen.
Die Stimmen um mich wurden lauter, ich konnte nun einzelne Gespräche verfolgen:

»Du machst es. Na geh schon.«

Eine raue Männerstimme, brüchig und hart.

»Ich - ich glaube nicht, dass ... glaubst du den Gerüchten? Sie ist ein Bastard! N-nichts weiter ...«

Die zweite Stimme, obwohl männlich, klang hoch und unsicher.
Ein Junge, vermutete ich.

»Geh oder ich lasse deine Mutter davon hören. Geh, Junge.«

Bei diesen Worten durchbrach rechts von mir eine kleine Gestalt das Dickicht an Bäumen.
Ein schlaksiger, dünner Junge kam trat aus dem Schatten und sah mich vorsichtig an.
Er trug eine dünne, knielange Hose und eine bläuliche Jacke. Um seine Brust spannte sich ein dickes Seil, daran hatte jemand Angelhaken gefestigt.

»Würdest ... würdest du mir ihn geben?«, fragte er und streckte mir seine leere Hand entgegen.

»Was?«, fragte ich ungläubig und sah die Unsicherheit in seinem Blick.
Er sah mir nicht in Augen.

»Die Statue ... gib sie mir.«

Er trat ein Stück näher an mich heran, sah hilfesuchend nach Rechts.
Dort, hinter den Bäumen, wartete vermutlich sein Auftraggeber.

»Ich weiß, dass du sie hast ... Gib sie mir, ...«

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Dann begriff ich plötzlich.
»Nein«, sagte ich in Panik, meine Augen weiteten sich. »Nein, ich hab sie nicht.«

»Sie sagen, du hast sie bei dir ... E-Es ist dir verboten, sie zu tragen.«

Jetzt sah der Junge mich an, folgte meinem Blick und griff schnell in meine Tasche. Seine Finger schlossen sich um die hölzerne Statue und ich senkte schnell den Blick.
Ich hörte, wie er, glücklich über seinen Triumph, schnell Richtung Waldrand verschwand.

Panik stieg in mir hoch.

Nein, dachte ich, nein, nein, nein.
Die Statue war mein Schutz gewesen. Mein Schild. Meine Hilfe.
Ich war unsichtbar mit ihr, doch jetzt schutzlos ohne sie.

Dieser verdammte Junge!

Verzweifelt versuchte ich ein weiteres Mal, meine Fesseln zu lösen, doch wie erwartet bewegte sich der feste Knoten keinen Millimeter.
Ich stieß einen hilflosen Schrei aus, spannte jede Faser meines Körpers an.
Der Lärm erweckte Aufsehen und zwei große Männer rückten in mein Blickfeld.

Den Blick nicht von mir abwendend, flüsterten die beiden sich etwas zu. Der Größere nickte plötzlich, drehte sich um und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war.
Ich hörte seine Schritte, spürte die leichte Vibration des Bodens.
Ich tat so, als würde ich schlafen und versuchte mich zu entspannen.

Tochter der SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt