Kapitel 19

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-FREYA-

»Freya, sei leise, bitte. Ich glaube, hier ist jemand.«

Es war später Nachmittag und Lewis bewegte sich fast lautlos über den blätterbedeckten Boden unseres Unterschlupfes.
Reglos saß ich auf den Stufen, die die zwei Räume verbanden und sah zur Tür.

Doch bevor Lewis sie überhaupt erreicht hatte, drehte sich der rostige Türknauf wie in Zeitlupe.
Ich hörte ein lautes Klopfen und eine raue Stimme fragte: »Lewis aus Rhytkar?«

Ich beobachtete misstrauisch, wie Lewis die letzten Schritte zur Tür ging, wie beiläufig die Stärke des Holzes überprüfte und sagte:
»Wer seid Ihr?«

Obwohl ich nicht erkennen konnte, wer hinter der Tür stand, hörte ich aber an seiner Stimme, dass er ein gestandener Mann war.
»Ich bin Genul«, sagte dieser nun. »Ich bin hier im Auftrag von Castor, dem Befehlshaber von Rhytkar.«

Auf dieser Worte folgte eine angespannte Stille. Ich schlug geschockt die Hand vor den Mund.
Soweit war es also gekommen:
Castor hatte nach unserer Abreise den kranken König gestürzt und getötet oder eingesperrt und die Macht übernommen.
Und selbst auf der Flucht war es unmöglich, sich Castors Einfluss zu entziehen - diesem trunkenen, zerstörten Mann.
In meinem Kopf klangen die Gedanken laut und verbittert, doch ich blieb stumm und sagte nichts.

Ich sah, wie Lewis misstrauisch einen Schritt zurück trat und Delun erneut gegen die Tür hämmerte.
Als ob eine bloße Tür diesen Hünen aufhalten könnte, dachte ich und sah wie gebannt zum Eingang.

»Was begehrt ihr?«, fragte Lewis und seine Stimme klang plötzlich rau und leise.
Ein sanftes, rotes Leuchten umspielte die Fingerspitzen seiner Rechten, welches sich aber leicht zu einem Fegefeuer entzünden konnte, wie ich wusste.

»Ich überbringe lediglich eine Nachricht«, beteuerte der Mann hinter der Tür und ich hörte, wie er einen Schritt zurück tat.
Ich konnte fast sehen, wie er spielerisch seine Hände in die Höhe hielt.

»Wie lautet sie?«, fragte Lewis daraufhin.
Ich richtete mich nun ebenfalls auf und bewegte mich mit leisen Schritten Richtung Tür.
Auf halbem Weg fing ich Lewis' Blick auf; er legte einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf.

Bleib, wo du bist.

»Bist du allein, Sohn der Hekate?«, fragte Delun plötzlich, »Ich bin unbewaffnet, nur ein Bote.«

Bei diesen Worten stockte Lewis und seine Finger spannten sich an.
Dieses Wissen war gefährlich und wenn Castor es hatte, war es umso schlimmer - doch Lewis blieb offenbar ruhig.

»Schieb es unter der Tür hindurch«, forderte Lewis, während ich hilflos zusah, »Und dann verschwinde wieder, Delun.«

Es erschien ein vergilbter Briefumschlag unter der Tür und ich hörte Deluns schwere Schritte sich entfernen.
»Ist er weg?«, fragte ich nach einer Weile, in der ich meinem Herzschlag gelauscht hatte.

»Ich denke schon«, antwortete Lewis und nickte. Erst jetzt offenbarte sich ein gehetzter Ausdruck auf seinem Gesicht.
Er bückte sich, um den Brief aufzuheben, und las mit zuckenden Augen.

Ich sah mich um und ließ meine Gedanken schweifen.

Die Tatsache, dass Castor uns hier aufgespürt hatte, ließ nichts gutes vermuten.
Er wusste ebenfalls, dass Lewis Zauberkräfte besaß und dass er sich nicht auf einen Kampf einlassen würde, wenn es vermeidbar war.
Doch wenn Castor wusste, wer Lewis war und wo er sich befand, hatte er nach meinem Verschwinden vermutlich seine Schlüsse gezogen:

Tochter der SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt