Kapitel 1

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Ich schlug die Augen auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie jemand mir in die Seite trat.
Keuchend krümmte ich mich zusammen, hustete und schloss erneut die Augen.
Der Schmerz schien sich wie ein schweres Tuch über meinen Oberkörper zu legen, machte mir das Atmen schwer.
»Die lebt wohl noch, was?«
Ich spürte kaltes Metall an meiner Kehle, einen leichten Druck und mein wild schlagendes Herz.
Ich atmete ein und rollte mich schlagartig zur Seite und außer Reichweite der Klinge, sorgsam darauf bedacht, mir nicht selbst die Kehle aufzuschlitzen.

Der Stahl erwischte mich trotzdem, denn ich war viel zu schwach für einen Kampf.
Ich spürte einige Tropfen Blutes auf meine Schulter tropfen, als ich mich zitternd aufrichtete.
Mit der tauben Linken versuchte ich, die Blutung zu stoppen, während mein Schwert nutzlos an meiner Hüfte hing.

»Wehr dich nicht, Fremde«, forderte der Mann im Halbdunkel.
Es klang kaum wie eine Drohung, seine Stimme war ruhig und meditativ.
Er klang wie Jemand, der Frieden versprach, doch sein kurzer Dolch sagte etwas anderes.

Ich versuchte, mich außerhalb seiner Reichweite zu bewegen und zog langsam mein Schwert aus der Scheide.
Metall kratzte auf Metall und ich bekam eine Gänsehaut.

Der Mann schlug nach mir, verfehlte mich jedoch und ächzte.
Ich erkannte, dass er unerfahren im Kampf war, doch er war groß und kräftig.

»Weib«, zischte er durch die Zähne, »Stirb und ich übergebe dich wieder dem Meer.«

Er keuchte und holte unter sichtlicher Anstrengung zu einem weiteren Hieb aus.
Diesmal verfehlte er mich nur knapp, brachte mich aber aus dem Gleichgewicht und ich landete im feuchten Sand.

»Nein«, keuchte ich nur hilflos, »Nein...«

Panik loderte in mir auf wie ein heißes Feuer und ich hievte mich auf die schwachen Beine.
Innerhalb eines Herzschlags durchbohrte den Brustkorb des Mannes, der gerade zum letzten Schlag angesetzt hatte.

Meine Finger lösten sich vom ledernen Griff los und Mann und Schwert sanken gemeinsam zu Boden.
Ein wenig Blut trat aus dem Mundwinkel des Mannes, während ich neben ihm auf die Knie fiel.
Schwer atmend beobachtete ich, wie ihm sein Dolch aus der schlaffen Hand fiel.
Die geringe Reichweite seiner Waffe hatte er mit seinem Leben bezahlen müssen. Eine Hand die flache Wunde an meinem Hals pressend griff ich nach jenem Dolch und schob ihn in meinen eigenen Gürtel.
Erst jetzt sah ich in das Gesicht des Mannes, ein raues, von der Sonne verbanntes Gesicht, alt und zäh.
Seine hellen, blauen Augen blickten selbst im Tod dem Himmel entgegen.

Ein Fischer, erkannte ich, als ich seine Augen mit meinen blutbefleckten Fingern schloss.
Mit zitternden Händen durchwühlte ich die Taschen des Mannes und entdeckte einen weiteren Dolch und einige Muscheln, sowie ein paar rostige Münzen.
Waffe und Münze verstaute ich sorgsam in meinem Mantel, während ich die unbrauchbaren Muscheln neben den Mann in den nassen Sand fallen ließ.
Kalter Überlebenswille senkte sich über mich und ich spürte noch immer Adrenalin durch meine Adern fließen.

Barfuß richtete ich mich auf und zog mein Schwert aus der Leiche, wischte das Blut wie selbstverständlich an meinem durchnässten Mantel ab.
Ich spürte rauen Sand in meinem Gesicht und wischte mir mit dem Ärmel über die Augen.
Der blasse Vollmond zu meiner Linken warf ein geisterhaftes Licht auf diese Szene.
Ich bekam eine Gänsehaut und versuchte, meinen Puls zu beruhigen. Langsam schob ich das Schwert in meinen Gürtel, atmete langsam ein und aus.
Das Meer lag dunkel und wild vor mir und es erinnerte mich an etwas - ferne, längst vergangene Zeiten.
Plötzlich senkte ich den Blick auf den Mann vor mir.
Es war, als würde etwas in mir mich zwingen, zu sehen, was ich getan hatte.
Vom Anblick der blassen Leiche vor meinen Füßen wurde mir übel und ich schloss die Augen.
Ich spürte ein unangenehmes Druckgefühl im Bauch, drehte mich zur Seite und übergab mich in den Sand.

Tochter der SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt