"Ich muss gehen", hatte er gesagt, dann war er weg gewesen, so empfand sie zumindest. In Wahrheit hatte er sich zu ihr gesetzt, mit ihr geredet und geredet und geredet, und war erst danach gegangen, aber sie empfand, als hätte er einfach auf dem Absatz kehrt gemacht. Als er noch da gewesen war, hatte sie dem Drang zu weinen nicht nachgegeben, doch jetzt, wo er fort war, die Stille, die er gefüllt hatte, wieder aufgerissen war, hatte sie in ihrer Einsamkeit keinen Grund mehr, die Tränen zurück zu halten.
Viele Worte waren da gewesen. "Wir sehen uns wieder" oder "komm doch mit" oder "zu Neujahr lade ich dich ein" und, einmal sogar, "ich liebe dich, Tanja".
Was bildete er sich eigentlich ein?! Reiste von heute auf morgen nach Nordafrika zu seiner Scheißreportage, scheiß auf: "komm doch mit", nein, er ließ sie für nen Scheißjob alleine, und ließ sie sitzen, natürlich hätte sie mit ihm gehen können, alles für ihn aufgeben können, nämlich ihre mühsam erkämpfte Unabhängigkeit; aber was sollte sie mit einem Jungen, der seinen Job als wichtiger einschätzte als seine Freundin?
Sie wusste, dass sie ihm in ihrer Verblendung unrecht tat. Sie wusste, dass sie nicht Opfer seiner Arbeit, sondern seines Ideals wurde, seines Ziels, dessen, wofür er alles aufgeben würde; so, wie sie es selbst mit ihren Freunden gemacht hatte.
Sie wusste, dass sie es war, die falsch lag, aber - er hatte es ihr versprochen! Er hatte ihr verdammt noch mal versprochen, bei ihr zu bleiben! Und die eigentliche Angst, die tief in ihr nagte, war: wenn sie für ihn jetzt das letzte Gebliebene, ihre Unabhängigkeit, aufgab - wer sagte ihr, dass er in Zukunft seine Versprechen hielt und sie nicht bei nächster Gelegenheit gegen eine andere austauschte? Er konnte schließlich jede haben, da war sie sich absolut sicher.
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Adventskalenderstorys
Ficción históricaTropf. Er blickte auf das Schwert in seiner Rechten. Es war zerbrochen. Von Blut verschmiert. Blut eines Toten. Dieses Schwert hatte einen Menschen getötet. Es war kein besonders kluger Mensch gewesen, aber nichts desto trotz ein Mensch. Ekel befiel...