Teil 4

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Ich war wirklich aufgewacht und seit langem war ich auch mal wieder froh darüber. Ich schlich mich gekonnt aus dieser hässlichen Klinik, lediglich die Schachtel bei mir, deine Schachtel. Du warst schon da, saßt da auf der Bank, wie ein Junge im Kinderparadies, den man vergessen hatte abzuholen. Dein Mund zuckte, als du mich sahst und ich konnte mir denken, wie dämlich ich schaute.
"Du hast dich an dein Versprechen gehalten", du wirktest so zufrieden.
"Warum weiß ich auch nicht."
"Ich schon." Ich schaute dich fragend an. "Du hast diesen Arsch hier gern", dein Grinsen war viel zu breit für dein Gesicht, es erinnerte mich glatt an den Kater bei Alice im Wunderland.
"Vielleicht habe ich mittlerweile gelernt dich zu leiden, das könnte durchaus sein", ich öffnete meine Packung und du zündetest die Zigarette wortlos an.

Es war schon wie ein kleines Ritual. Wie in so einem kitschigen Liebesfilm, nur würde das bei uns kein gutes Ende nehmen. Ich verstand noch nie warum Menschen sterben mussten, aber ich hatte es akzeptiert, hatte es akzeptiert zu gehen, nur würde das auch heißen von dir zu gehen. Du kannst mir jedes einzelne Wort glauben, wenn ich sage, dass ich dich nie hätte allein lassen wollen, und das war auch einer der Gründe, warum es uns nie hätte geben dürfen. Allerdings waren wir hier, du und ich. Auch wenn ich es bis heute nicht verstehe, wir machten daraus ein uns und eventuell gefiel mir die Vorstellung mit dir zusammen zu sein ein wenig.

"Seit wann rauchst du eigentlich?", du stecktest dein Feuerzeug weg.
"Ich glaube, seit ich zwölf bin, oder vielleicht auch elf, ich weiß es nicht mehr", das Nikotin beruhigte mich.
"Eigentlich könnte ich das ekelhaft finden", du verfolgtest jede meiner Bewegungen.
"Und, was hält dich davon ab?"
"Du."
Ich lachte: "Das ist sehr unlogisch."
"Für mich nicht", dein Blick bohrte sich in meinen, dann musste ich husten.
"Ich bekomme gleich eine Liebesdrama Krise, wenn du weiter so eine Scheiße redest", ich musste erneut husten.
"Elli, verdammt. Es tut weh dich so zu sehen."
"Ich kann ja auch gehen."

Und damit meinte ich nicht zurück in die Klinik.

"Nein, ich meine, dass du kaputt gehst."
"Du wirst wieder sentimental", ich zog nochmal.
"Und dir ist anscheinend egal, was mit dir passiert."

Ganz ehrlich, Jack? Ich war mir egal, schon die ganze Zeit über, aber niemals warst du es. Von dem ersten Tag an, als wir uns zufällig beide rausgeschlichen hatten und uns hier an dieser Bank das erste mal sahen. An keinem verschissenen Tag warst du mir egal, oft wünschte ich es wäre anders gewesen. Das hätte vieles erleichtert.

"Ich kann das jetzt echt nicht gebrauchen", murmelte ich und stand auf, doch deine Hand ergriff mich. Jetzt standest du vor mir und sahst auf mich herab. Ich wusste was nun kommt, die Frage, die ich nie hätte beantworten wollen.
"Elli, sei bitte ehrlich. Wie lange hast du noch?"

Ich hatte mir tausende Situationen ausgemalt, in denen du mich das gefragt hast, aber nie war ich zu einer Antwort gekommen. Nichts zu sagen würde das Schicksal auch nicht ändern. Wie konntest du nur diese Frage stellen, Jack? Wie konntest du mich so in Verlegenheit bringen? Ich hätte die Wahrheit sagen sollen, es wäre für alle besser gewesen, doch wie du damals vor mir standest, voller Angst und Sorge, ich konnte es nicht verkraften dein Leiden zu vergrößern, also log ich. Ich log dich an, Jack, wie ich dich schon so oft angelogen hatte.

"Du willst es wirklich wissen?"
"Ich wünschte, ich müsste diese Frage nicht stellen, aber ja."
"Ein paar Monate, vier wenn es hoch kommt." Ich konnte den Schmerz in deinem Gesicht erkennen und mein Magen zog sich zusammen, wegen meiner Lüge, meiner kleinen Lüge, die doch so viel bedeutete.
Und dann sagtest du etwas was mich überraschte: "Worauf warten wir dann noch?"
Ich runzelte die Stirn: "Worauf willst du hinaus?"
"Lass uns abhauen, oder willst du die letzten Monate deines Lebens in einer Klinik verbringen?"

Die letzten Monate, letzten Wochen, letzten Tage, letzten Stunden, letzten Minuten, letzten Sekunden, meine Zeit lief ab. Ob ich bei dir sein wollte in meiner letzten Zeit? Ja, das wollte ich, wirklich. Trotzdem hätte ich nicht zusagen dürfen, ich hätte mich an diesem Tag verabschieden sollen, hätte zurück in die Klinik gesollt und einfach dort in Ruhe mein Leben zu Ende gehen lassen, doch ich tat nichts von alldem. Ein psychisch Kranker und eine Krebspatientin auf der Flucht vor der Realität. Hätte doch gepasst, oder? Ich weiß nicht wie es dir ging, doch mit dir passte alles, Jack, mit dir wurde jede noch so dreckige Parkbank zum schönsten Ort der Welt.

"Nein, will ich nicht", gab ich zurück.
"Dann lass uns gehen, jetzt sofort."
"Was wenn sie uns finden?"
"Ach kleine Blume, hast du etwa Schiss?", du hattest dein dämliches Grinsen wieder gefunden.
"Ich meine ja nur. Mit welchem Geld sollen wir bitte weg von hier?"

Und da hattest du schon wieder eine Überraschung parat.

Du hieltest einen 500 Euro Schein in die Höhe. Ich konnte nicht anders als zu lachen: "Wo kommt das denn her?"
"Teilweise von mir, teilweise von meinen Mitbewohnern", dein schiefes Lächeln war einfach zu süß.
"Die bringen dich um, wenn sie das herausfinden", ich zog wieder.
"Wer sagt, dass ich zurückgehe?"
"Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich bei dieser Schnapsidee mitmache?"
"Was hast du schon zu verlieren, Elli? Ein paar Monate in einer öden Klinik?"

Ich wusste, dass du Recht hattest, aber ich hätte einsam sterben sollen. Ohne diesen Jack, der mich angeblich liebte. Dein Leben war schon schwer genug, ich wollte kein Ballast für dich sein. Ich hätte der Reise nie zustimmen dürfen, aber du hast nicht einmal so getan als wäre ich bald tot, kein einziges mal. Du hast mich immer wie Elli behandelt, die Elli, die ihr Leben selbst bestimmt und dafür war ich dir dankbar.

Einsam fällt Sterben leichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt