Teil 47

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Jack, sie haben mir erzählt, wie du genau gestorben bist, weil ich es hören wollte. Eigentlich wollte ich es nicht wissen, aber es fühlte sich falsch an, nicht danach zu fragen.
Mir wurde erzählt, dass du komplett ruhig warst und die Detektive dich in ein Befragungszimmer gebracht haben. Dann hast du das Glas Wasser vor dir genommen, auf den Boden geschmissen und dir in sekundenschnelle mit einer Scherbe die Pulsadern aufgeschlitzt, erst an einem Arm, dann an dem anderen.

Ich habe so viel geweint, ich habe geschrien und um mich geschlagen, ich wollte das alles nicht wahrhaben, Jack. Ich verstehe es immer noch nicht. Es ist, als hätte jemand anders über mich Besitz ergriffen und steuert mich und meine Gefühle. Es kommt mir so vor, als würde sich die Realität hinter einer dicken Mauer abspielen und ich habe noch keinen Weg gefunden, darüber zu klettern, stattdessen falle ich immer wieder bei dem Versuch über die Mauer zu sehen, ich falle durchgehend. Alles in mir liegt in Trümmern, aber trotzdem halten meine Knochen die Reste noch zusammen, ich weiß nicht, warum sie das tun.

Kannst du dir vorstellen, ich habe gehofft, dass sie dir nichts antun, dabei warst du derjenige, der am gefährlichsten für dich selbst war. Nicht mal ich konnte dich von dieser Entscheidung abhalten, Jack. Weißt du überhaupt, was du mir damit angetan hast? Ich glaube nicht, aber ich kann dich verstehen, nicht deine Entscheidung, aber dich, Jack.

Du hast den Tod deinem verkorksten Leben vorgezogen, ich verstehe das. Wahrscheinlich hattest du keine Hoffnung mehr und dachtest sowieso nicht mehr daran, dass wir uns irgendwann wiedersehen könnten und trotzdem stand ich in deiner Psychiatrie. Und kannst du dir auch denken warum? Weil ich dich liebe? Ja, das stimmt, ich liebe dich, Jack Kont, aber der eigentliche Grund ist der, dass ich mich ohne dich mindestens genauso verloren fühle, wie du dich wahrscheinlich ohne mich gefühlt hast.

Ich dachte früher ernsthaft darüber nach, ob alles für dich nur ein großes Spiel war, Jack, aber jetzt weiß ich es besser. Es war unser Spiel, unsere Geschichte und wir waren die Spielfiguren, die sich gegenseitig von Feld zu Feld schubsten.

Weißt du noch, ich dachte immer ich wäre die Schwache, dabei habe ich gar nicht gemerkt, dass du genauso kaputt bist, Jack. Ich weine gerade schon wieder, während ich das hier schreibe, weil mir einfach so viel an dir auffällt, was ich nie wirklich realisiert habe. Du warst für mich immer die starke Person, ich dachte die ganze Zeit über, dass ich deine Hilfe benötigte, dabei warst du mindestens genauso sehr von mir abhängig wie ich von dir. Du hast mich gebraucht und ich dich.

Ich war nochmal bei unserer Parkbank, Jack. Stell dir vor, sie war genauso verlassen wie immer, ich habe eine ganze Weile in unserem Park gesessen, da, wo alles anfing und da, wo alles enden sollte.

Jetzt gerade liege ich in einem Krankenhaus, weil ich keine Luft mehr bekommen habe, aber das habe ich kaum gespürt, das Zerbrechen war viel schlimmer. Das ständige Sterben war so unglaublich schrecklich, ich kann es einfach nicht in Worte fassen.

Du Jack, du hast ja versprochen, dass du nicht gehst und bist dennoch verschwunden, ich will, dass du weißt, dass ich dir verzeihe und ich will, dass du weißt, dass ich dein Versprechen für dich einhalten werde. Du hast versprochen nie zu gehen, also gehe ich auch nicht.

Zu wissen, dass ich dich nie wieder in die Arme schließen kann ist so weit weg. Es ist so surreal, dass ich dich nie wieder sehen werde, nie wieder deinen Atem auf meiner Haut spüren werde, nie wieder werde ich deinen Mund auf meinem spüren und nie wieder werde ich dein dämliches Grinsen sehen können und auch deine Stimme werde ich nie wieder hören, Jack. Mein Kopf will das einfach nicht verstehen, obwohl die Informationen längst verarbeitet sind.

Ich habe uns mal mit zwei Kerzen verglichen, damals war ich noch davon ausgegangen, dass du alleine weiterbrennen würdest, aber du hast dein Licht selbst ausgelöscht und auch meine Flamme wäre fast erstickt, aber ich habe mich dazu entschieden, für dich weiter zu brennen, für uns. Denn solange ich noch bin, sind wir nicht vergessen, Jack. Solange diese Worte existieren, leben wir weiter.

Ich habe angefangen dieses Buch zu schreiben, als ich von deinem Selbstmord erfuhr und dann in das Krankenhaus geliefert wurde. Ich musste unsere Geschichte einfach verewigen, ich kann nicht mit dem Gedanken sterben, dass wir vergessen werden, Jack. Denn wir sind verdammt nochmal Elli und Jack, uns trennt nichts, nicht einmal der Tod.

Ich weiß nicht, ob dieses Buch gelesen wird, aber mir reicht schon das Wissen, dass es existiert, dass immer noch etwas von uns übrig bleibt, wenn wir beide gegangen sind.

Ich denke, du hättest die Geschichte über einen Jungen aus einer Psychiatrie und einer Krebspatientin genauso gerne gelesen wie ich. Ich meine, es war doch auch herzzerreißend, wortwörtlich, oder?

Vielleicht hätten wir ein anderes Leben verdient, aber so ist eben das Schicksal, nicht wahr? Ich habe es dir viel zu selten gesagt, aber ich liebe dich, Idiot. Ich habe mit jedem Atemzug für dich geatmet und das tue ich übrigens immer noch.

Es sieht mittlerweile noch viel schlechter aus mit meiner Gesundheit und ich habe mich echt gefragt, ob das überhaupt noch möglich sei, aber ja, das ist es.
Jack, erinnerst du dich noch, ich wollte niemals in einem Krankenhaus sterben. Seltsam wie sich die Dinge ändern, wenn man noch eine Aufgabe auf der Welt hat, nicht wahr?

Und meine Aufgabe war das hier. Dieses Buch. Unsere Geschichte. Einsam fällt Sterben leichter, da ist etwas Wahres dran, aber niemals hätte ich die Tage bis zum Sterben allein verbringen wollen.
Danke, dass du da warst, Jack.
Danke, dass du immer da warst.

Ich erinnere mich immer wieder an den Tag, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben, zwei verlorene Kinder, die zueinander gefunden haben.

In diesem Moment habe ich nicht realisiert, dass du mein Leben so sehr verändern würdest.

Einsam fällt Sterben leichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt