18.

155 13 1
                                    

Nach einer kurzen Starre und kurzem überlegen, wo ich am besten seine Leiche verstecken kann, gingen Lena und ich weiter durch das Center. Natürlich kam wieder die Frage, auf die ich schon die ganze Zeit wartete. "Können wir in den Spielzeugladen?" Fragte sie und guckte mit großen Augen zu mir hoch. "Na klar. Warum sind wir denn sonst hier?" Fragte ich und lächelte sie freundlich an. Na zumindest habe ich es versucht. Wir bogen in den Spielzeugladen und Lena rannte gleich zu dem Regal mit ihrem Lieblingspuzzle. Zuerst guckte sie an den Ort, an dem es immer stand. Aber es war kein Puzzle mehr war. Verwundert guckte sie mich an. "Was ist denn, kleine Maus?" Fragte ich sie und hockte mich neben sie. "Mein Puzzle ist weg." Sagte sie traurig. Sie tat mir schon leid, aber ich wollte es ihr einfach noch nicht sagen, dass ich ihr Puzzle habe. "Vielleicht haben Sie es irgendwo ausgestellt im Laden." Versuchte ich sie auf zumuten. Daraufhin rannte sie durch den ganzen Laden und guckte alles ab, doch es war kein Puzzle zu finden. "Es ist weg." Sie kam auf mich zu und zuckte mich den Achseln. "Bestimmt hat es jemand für ein Mädchen gekauft, das das Puzzle auch schon immer so toll fand." Ich nahm sie in den Arm und wir verließen das Geschäft wieder.
Ich wusste wie sie sich fühlte. Erst ist es ganz klar und du denkst du weiß ganz genau Bescheid. Doch dann ist es plötzlich weg und du weißt nicht mehr was du machen sollst. Du denkst du kannst ohne es nicht leben, doch dann bemerkst du, dass es ganz einfach ist.
"Jetzt noch ein Eis?" Fragte ich sie. "Ja!" Sofort strahlte sie wieder bis über beide Ohren. Wir holten uns Eis bei ihrem Lieblingsitaliener und aßen es auf dem Weg nach Hause.
"Der Tag war schön. Danke Leo." Als wir Zuhause angekommen sind und ich die Tür aufgeschlossen habe, umarmte Lena mich und ging ins Wohnzimmer. Ich zog meine Schuhe aus und hing meine Jacke an den Kleiderhaken. Ich suchte Papa und fand ihn draußen auf der Terrasse.
"Hey Papa, wir sind wieder da." Sagte ich leise und ging langsam auf ihn zu. Er stand einfach da und guckte mich an. Als ich bei ihm war sah ich die Zigarette in seiner Hand. Eigentlich rauchte er nicht, aber wenn er gerade eine schwere Phase durch machte oder er Stress auf Arbeit hat, greift er auch mal zu einer.
"Was habt ihr denn gemacht?" Fragte er mich und zog an seiner Zigarette.
"Wir waren Pizza essen." Sagte ich mit einem kleinen Lachen, das auch gleich wieder verschwand.
"War sie gut?" Fragte er neugierig. Aber eigentlich wollte ich wissen ob es wirklich Mama war. Warum Sagte er es mir denn nicht?
"Ja schon. Wir können da ja auch mal hingehen. Mit...?" Sagte ich um irgendwie auf dieses unangenehme Thema zu kommen.
"Du, Lena und ich." Sagte er und nahm einen kräftigen Zug von seiner Zigarette. Ich sagte gar nichts mehr. Es war also war. Mein schlimmster Albtraum ist war geworden.
"Wie ist es passiert?" Fragte ich und verkniff mir eine erste Träne.
"Ein Polizist meinte, sie sei weg gerutscht und gegen einen Baum gefahren. Ein anderer meinte, sie habe es mit Absicht gemacht." Sagte er und holte sein Handy raus. Er tippte drauf rum, ohne mich zu beachten. Es ist ja auch nicht selbstverständlich, dass er mich in den Arm nimmt und ein paar aufheiternde Wort sagt. Er denk ich bin so stark, aber so stark bin ich nicht! Schrie ich in mich hinein. Ich hoffte es ist ihm ausgefallen. Doch er tippte stur weiter. Ich ging wieder ins Haus, wo mich Lena schon erwartete.
"Können wir morgen wieder was machen Leo?" Fragte sie und kam zu mir angerannt.
"Nein tut mir leid." Antwortete ich und versuchte nicht zu weinen.
"Warum nicht?" Fragte sie mit großen traurigen Augen.
"Weil es einfach nicht geht!" Langsam wurde ich wütend, denn jetzt nervte sie echt.
"Ich möchte nicht permanent so eine Klette an mir. Das nervt!" Hing ich noch ran, wobei es vielleicht ein bisschen zu hart für sie war. Ich war ja auch gar nicht wegen ihr so. Eigentlich war ich nur sauer auf Papa und ließ meine ganze Wut an ihr aus. Lena fing an zu weinen und rannte in ihr Zimmer. Schnell rannte ich ihr hinterher. Sie schlug ihre Tür vor mir zu. Ich klopfte. Langsam schloss sie die Tür wieder auf.
"Was willst du?" Fragte sie mich und guckte mit ihrem kleinen Kopf durch den Türspalt.
"Ich wollte mich entschuldigen. Ich war nur so schrecklich wütend auf Papa. Das war gar nicht so gemeint." Versuchte ich sie zu trösten.
"Aber du hast es trotzdem so gemeint. Sonst hättest du es nicht gesagt." Sagte sie. Die Tür ging zu und ich stand allein im Flur. Na super. Ich habe die einzige Person vergrauelt, um die ich mich kümmern sollte. Ich bin echt eine scheußliche Schwester. Vielleicht ist Lena ja ohne mich besser dran. Ich wollte gerade wieder in mein Zimmer gehen. Als ich an der Tür angelangt war, klingelte es. Papa, der schon längst wieder drin war, öffnete die Tür.
"Guten Abend Herr Richter. Dürfen wir rein kommen?" Fragte eine tiefe, mir unbekannte Stimme. Leise schlich ich zur Treppe und hielt mich so Geländer fest.
"Ehr ungern. Was ist denn?" Fragte Papa. Ich sah ihn, wie er sich an der Tür festhielt und die Sicht nach draußen versperrte.
"Können wir das bitte drinnen besprechen?" Fragte jetzt eine weibliche Stimme. Papa trat von der Tür zurück.
"Hier lang." Sagte er und zeigte in Richtung Arbeitszimmer. Zwei Polizisten gingen vorran in das Zimmer und er hinterher. Hinter sich schloss er die Tür. Leise schlich ich zur Tür, um zu lauschen, was sie besprachen.
"...Ihre Frau identifiziert. Nach dem Termin sind wir zu Frau Richters Mutter gefahren und haben ihr diese schlimme Nachricht mitgeteilt." Sagte der Polizist. Man verstand nur undeutlich, was er sagte.
"Sollen wir einen Termin für die Beerdigung machen, oder warum sind sie hier?" Fragte Papa.
"Diese Nachricht hat sie nicht so gut verkraftet. Vor zwei Stunden kam ein Anruf von ihrer Nachbarin. Sie hat an einem Herzanfall gelitten." Sagte nun die Polizisten.
"Oh Gott. Ist sie...Ist sie tot?" Fragte Papa noch undeutlicher als vorher.
"Es tut mir leid." Sagte jetzt wieder der Polizistin.
"Sagen Sie wenn wir noch etwas für Sie tun können." Hing er ran.
"Nein, nein danke." Papas Stimme wurde zittrig und unsicher. Ich ging wieder auf die Treppe. Kurz drauf wurde die Tür aufgeschlossen und die Polizisten verließen das Haus. Von der Treppe aus konnte ich Papa sehen. Er stützte seinen Kopf auf die Hände. Nach einer Weile guckte er hoch und sah mich direkt an. Langsam stand ich auf und ging zu ihm. Ich stand in der Tür zu seinem Arbeitszimmer und hielt mich an dem Rahmen fest.
"Papa. Geht es Oma gut?" Fragte ich in der Hoffnung, ich habe die Polizisten nur falsch verstanden.
"Nein. Herr Gott." Er schlug mir seiner Faust auf den Tisch.
"Papa? Was ist mit Oma?" Fragte ich nochmal nach.
"Sie ist Mona hinterher gegangen. Ohne sie kommte Oma nicht weiter leben." Versuchte er schonend zu sagen. Ich nickte, schloss die Tür und rannte nach oben in mein Zimmer. Meine Tür schloss ich auch. So schnell ich konnte ging ich auf mein Bett und guckte aus dem Fenster.
"Warum?! Warum ausgerechnet sie?" Rief ich weinend in den Himmel.
"Warum nimmst du mir alles weg was ich habe? Was habe ich dir getan? Müssen es immer die tollen Menschen sein, die du dir nach da oben holst? Dann hol' mich doch auch gleich!" Schrie ich verzweifelt und sackte auf meinem Bett zusammen. Ich hatte keine Kraft mehr. Alles was ich hatte wurde mir genommen. Bis in die Nacht hinein lag ich auf meinem Bett, zusmengekauert und weinte schrecklich. Mir war so kalt. Ich fühlte mich so leer. Einfach nichts ergab mehr einen Sinn. Das einzig schöne daran ist, dass Mama, Oma und Opa wieder zusammen sind. Am liebsten würde ich auch zu Ihnen. Der Gedanke daran, dass Lena das irgendwann wissen wird bringt mich fast um. Ist es nicht besser sie weiß es von Anfang an? Ich würde es so wollen. So anders als ich ist sie nicht. Morgen werde ich es ihr sagen. Egal was Papa sagt.

The circus boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt