Wahrheiten

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„Das das wusste ich nicht", stammelte ich entsetzt.

Ein kalter Schauer durchzog mich.

„Die Menschen wissen immer nur, was man ihnen sagt" murmelte Lino.

Kelu war eindeutig böse!

Es steht niemandem zu, über andere zu urteilen oder zu werten, dafür kennen wir sie niemals gut genug"

Aber sie war böse.

„Definiere Böse"

Wegen ihr waren Menschen gestorben!

„Vielleicht hatte sie keine andere Wahl"

„Man hat immer eine Wahl!"

„Was?" fragte Lino mich.

Ich schaute überrascht auf. „Was?"

„Na was du gesagt hast"

„Achso, nichts. War eine Art Selbstgespräch"

„Raven, ich gehe jetzt wieder hoch. Aber bitte sei vorsichtig. Bei ihr weißt du nie."

Er wandte sich den Stufen zu.

„Warum willst du sie nicht umbringen?" fragte ich unsicher.

Lino schüttelte den Kopf.

„Niemand Raven, niemand hat es verdient zu sterben. Und ihr Tod macht meinen auch Vater nicht wieder lebendig."

„Aber du könntest dich rächen" warf ich ein.

Es war eine Hypothetische Frage.

„Dann wäre ich nicht besser als das System."

Er ließ mich unten stehen.

Da hatte er Recht.

„Na siehst du, versuche doch mal, beide Wahrheiten zu sehen. Du wolltest sie verstehen, dann musst du es aber auch probieren."

Das stimmte.

Ich seufzte.

Ich hatte das Gefühl, mit meiner Mutter zu reden, obwohl sie bereits Tod war.

Ich wusste, dass es ihre Worte aus einer längst vergangene Zeit waren, die mir in Erinnerung geblieben waren.

Aus einer längst vergangenen Zeit.

Vor damals, letztem Winter.

Ich straffte meine Schultern und öffnete die Türe erneut.

Kelu war wach und hatte sich aufgesetzt.

Trotz ihrer verbundenen Augen schien sie mich anzustarren.

Doch ich war nicht verunsichert, oder hatte Angst. Wozu auch?

„Hallo."

„Hallo" ihre Stimme klang spöttisch.

„Ich habe dir etwas zum Essen mitgebracht."

„Süß von dir" sie verhöhnte mich.

„Es ist Brot" es störte mich nicht.

Sie lachte.

Ich nicht.

„Wenn ich gewollt hätte, hätte ich euch beide locker schlagen können. Ihr seid keine Gegner für mich."

„Warum bist dann hier?"

„Wie gesagt, ich möchte euch Informationen verkaufen."

„Warum?"

„Süße, das ist mein Geschäft"

Sie lachte.

Ich nicht.

„Nein, ich meine, was treibt dich zu diesem Job an?"

„Was dich zu deinem?" ihre Stimme klang gehässig.

„Hat nicht jeder seine Gründe das zu tun, was er tut?" fragte ich zurück.

Sie zuckte mit den Schultern.

„Gefällt dir, was du tust? Warum du es tust?" fragte ich interessiert.

„Nerv nicht. Du bist mir zu Philosophisch"

„Ich möchte dich kennerlernen."

„Möchtest du nicht."

„Doch."

Sie lachte.

Ich nicht.

„Hau ab Mädel. Du bist nichts für dieses Leben."

„Mehr als du denkst."

„Süß"

„Nein, bitterer Ernst."

Sie lachte.

Ich nicht.

„Was willst du wissen?" fragte ich sie.

„Nichts"

„Du sammelst Informationen"

„Aber nicht deine"

„Aber ich deine"

„Schön für dich"

Ich seufzte.

„Warum bist du eine dritte Seite, warum machst du das? Verkaufst Menschenleben?"

„Tut ihr das nicht auch?"

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht."

„Hm" sie überlegte.

Vielleicht zum ersten Mal.

„Ich verdiene so mein Geld. Etwas anderes habe ich nicht gelernt."

„Und du bist gut in dem, was du tust"

„ja verdammt!"

„Deshalb ist du hier?"

„Ja"

„Gefangen?"

Sie schwieg. Das hatte vielleicht nicht zu ihrem Plan gehört.

Ich lachte.

Sie nicht.

„Es freut mich, dich kennen zu lernen Kelu."

„Wer zuletzt lacht, lacht am besten"

Aber es ging ja noch weiter.

Das Spiel hatte grade erst begonnen.

Und eben war ein neuer Spieler hinzugekommen.

Und diesen Spieler lernte ich grade kennen.

Ich verließ den Raum.

VogelFreiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt