Lügen, nichts als Lügen

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Am nächsten Abend, nach meiner langweiligen Arbeit ging ich nicht zu Kelu.

Ich hatte einfach keine Lust.

Klang fies.

War es auch.

Ich fühlte mich selbstbewusster.

Vorzugeben, jemand zu sein, der man nicht war, verändert einen, härtet einen im gewissen Sinne ab.

Diese Revolution hatte Jayden in nur einem Jahr verändert. Das war mir klar geworden, als ich ihn wieder getroffen hatte.

Er hatte ein Ziel gefunden und wirkte selbstbewusster.

Er wusste, was er tat und warum.

Oh ja, das warum.

Warum versuchte man immer zu hinterfragen und zu legitimieren?

„Weil es wichtig ist, um die Dinge zu verstehen."

Manchmal musste man aber auch das falsche tun, damit Dinge richtig wurden.

So wie Kelu in unserem Keller einsperren.

Weil sie uns verkaufen würde.

Ich ging an diesem Abend wieder mit den anderen in die U-Bahn Station.

Es gab neue Informationen.

Die gab es immer, aber Kelu war eine brisante Information.

Auf dem Hinweg hörte ich Schüsse in der Nacht und wusste, dass Herbst unterwegs war.

Wusste es, ohne es zu wissen.

Vielleicht laugte diese Revolution mich jetzt schon aus. Jetzt nach nur einem dreiviertel Jahr.

Es kam mir nicht so lang vor.

Nicht so ewig.

Ich hatte das Gefühl, unendlich lange hier zu sein.

Hatte meine Familie so lange nicht mehr gesehen.

Hatte so lange nicht mehr an sie gedacht.

Wir erreichten die Türe zur U-Bahn Station und klopften an.

Die Türe wurde geöffnet und Jayden und ich traten ein.

„Da du auch mit Kelu gesprochen hast, kommst du heute am besten mit mir" erklärte Jayden beiläufig als wir eintraten. Er schien mit seinen Gedanken woanders zu sein.

„Wenn du hier unten bist, bist du immer so angespannt" warf ich ihm vor.

„Warum wirfst du mir das vor?" fragte er direkt.

„Warum ist es so?" verlangte ich zu wissen.

„Weil ich nirgendwo sicher bin."

Um uns herum war wieder viel los. Überall wurde konzentriert gearbeitet.

„Jayden, vielleicht solltest du mir endlich mal sagen, was du uns allen verheimlichst!"

Jayden guckte sich hektisch um.

Niemand hörte uns zu.

„Du wirst es schon noch früh genug erfahren und dann wünschtest du dir, es nie gewusst zu haben!"

Seine Stimme klang verärgert.

Mir wurde kalt.

„Warum leugnest du das Geheimnis nicht."

Er drehte sich um und ich sah das gequälte lächeln in seinem Gesicht.

„Weil ich dir nicht verheimlichen kann, dass es ein Geheimnis gibt. Dafür kennen wir uns einfach zu gut."

Schweigend gingen wir weiter und traten durch die Türe in das Glas Büro.

Sofort erkannte ich Frühling, an einem Laptop sitzend.

Ein älterer Mann kam auf uns zu. Er hatte dunkle Haut und sanfte dunkle Augen. Er war bestimmt um die 60 Jahre alt, sah aber dennoch gut aus. Sein durchtrainierter Körper und sein markantes Gesicht verliehen ihm ein gutes Aussehen.

„Hallo, Raven, ich bin Julien Leroy " begrüßte er mich.

„Hallo" antwortete ich überrumpelt.

„Ich leite sozusagen den ganzen Laden hier" erklärte er mit einem freundlichen Lächeln.

„Oh" antwortete ich baff. Nicht wissend, was ich sagen sollte.

„Setzt euch doch" forderte er uns freundlich auf und wir nahmen an dem großen Tisch Platz.

Er kam direkt zur Sache, da er unter Zeitdruck zu stehen schien.

„Kelu hat uns ein Angebot gemacht" begann Jayden zu erklären und erläuterte, was vorgefallen war.

Ich hörte interessiert zu.

„Frühling, kannst du uns kurz zu Kelus neusten Aktionen informieren?" frage Julien anschließend.

„Ja, sie war in den letzten Monaten auf dem Schwarzmarkt tätig und hat sich mit einer Menge schmutziger Leute abgegeben. Anschließend wurde sie vor einigen Monaten gefasst. Ich denke, es steht in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem Auftauchen bei uns."

Mich störe etwas. „Warum hat sie ausgerechnet Jayden und mich, ich korrigiere mich, Jayden aufgesucht? Sie hätte auch jeden anderen Rebellen treffen können. Und ich glaube nicht an Zufälle. Nicht bei jemandem wie Kelu." meine Stimme hatte einen schneidenden Unterton.

Jayden stöhnte au und warf mir einen bittenden Blick zu. Er wollte grade antworten, doch Julien tat es für ihn.

„Raven, manchmal ist die Wahrheit nicht nur die Wahrheit. Du wirst noch früh genug verstehen, wer Jayden ist und ich denke, du wirst es genau dann erfahren, wenn der richtige Zeitpunkt dafür ist. Aber je mehr Leute zu viele Geheimnisse kennen, desto gefährlicher wird es. Ich bitte dich einfach, noch etwas Geduld zu haben. Okay?" fragte er ganz ruhig.

„Ja gut" antwortete ich missmutig.

„Raven, du bist nicht blöd und es ist gut, dass du viel durchschaust, aber manchmal kann es gefährlich werden, wenn man zu viel sieht." Juliens Stimme war sanft und besänftigte mich wieder.

„Kannst du uns sagen, ob du irgendetwas Interessantes über Kelu erfahren hast?" fragte Frühling nach.

„Den Ton habt ihr ja schon" überlegte ich laut.

Frühling entfuhr ein Lächeln.

„Aber sie scheint uns wirklich die Information verkaufen zu wollen. Ob das eine Falle ist?" fragte ich in die Runde.

„Wir hoffen nicht, aber am besten fragst du sie nochmal, du scheinst von uns allen am besten mit ihr klar zu kommen" warf Jayden ein.

Ich nickte „Ich rede gerne nochmal mit ihr. Vielleicht nennt sie mir ihren Preis."

Frühling und ich verließen den Raum und ließen Jayden und Julien zurück. Sie wollten noch irgendetwas besprechen.

„Wie schaffst du es, immer alles zu hacken?" fragte ich ihn, als wir auf eine Sitzecke zusteuerten.

„Wenn du Lust hast, kann ich dir gerne mal etwas zeigen" bot er an und schob seine Brille wieder zurecht.

„Gerne"

„Ich habe jetzt zwar keine Zeit, aber wenn du Lust hast, kannst du auch so gerne mal vorbei kommen."

„Ich freu mich schon" antwortete ich und wir verabschiedeten uns.


VogelFreiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt