Blütenzeichen

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Der Kirschbaum hatte längst seine Blüten verloren und trug große, gesunde und grüne Blätter, als ich eines Mittags, nach der Schule, auf meiner Fensterbank eine kleine Kirschblüte entdeckte.

Eigentlich hatte ich nur schnell meine Schultasche hochbringen wollen, bevor wir aßen.

Erstaunt ging ich zur Fensterbank und zog das Fenster hoch. Es war eine echte Kirschblüte. Jemand hatte sie mit einem Stein beschwert und der Sommerwind zerrte an ihr.

Sie lag einfach da. Zeitlos. Als hätte sie es schon immer getan.

Mein Herz schlug schneller.

Jayden.

Vorsichtig nahm ich sie an mich und schloss das Fenster wieder.

„Ich komme wieder. Für dich"

War er wieder da? War er für mich wiedergekommen?

Ich versteckte die Blüte unter meinem Kopfkissen und ging runter zum Essen.

„Du lächelst so vor dich hin" meinte mein Vater auf einmal und ich spürte, wie er mich neugierig anschaute.

Auch er lächelte. Jetzt wo Sommer war, hatte er nicht mehr so viele Sorgen. Es musste nicht geheizt werden und das Essen war viel billiger.

Als unsere Mutter starb, fielen ihre Verdienste weg und unser Gemüsegarten verrottete. Wir waren nicht in der Lage gewesen, ihn zu erhalten.

Unsere Mutter fehlte.

„Heute war ein schöner Tag"

„Für mich auch. Ich habe für dich eine Stelle in der Fabrik gefunden" erklärte er stolz.

Ich hasste die Fabrik.

„Das ist doch super" sagte ich und täuschte Freude vor.

„Vielleicht bekommen wir so eine Lizenz für Mia zusammengespart" überlegte er laut weiter.

Mia war ziemlich gut in der Schule und sehr fleißig. Sie hätte es verdient, nicht in der Fabrik arbeiten zu müssen. Sie nicht.

„Vielleicht könnten wir es schaffen, wir haben noch neun Jahre Zeit" überlegte mein Vater und fuhr sich durch seine Haare. Sie waren dünn und grau geworden, seit Mum nicht mehr da war.

„Bestimmt" stimmte ich ihm zuversichtlich zu.

Auf einmal klopfte es an der Haustüre.

Mein Vater und ich sahen uns verwundert an, dann stand mein Vater auf und ging zur Türe.

Aus dem Flur vernahm ich kurz Männerstimmen, dann kamen sie in unser Wohnzimmer.

„Guten Tag. Mein Name ist Major Leutnant Matthew Valjean" grüßte mich ein Mann mit schwarzen, militärisch geschnittenen Haaren und akkurat gestutztem Bart. Seine Stimme klang hart und seine Augen waren kalt.

Mir lief eine Gänsehaut den Rücken runter.

„Hallo" antwortete ich unwohl. Sein Blick schien sich unser hässliches Wohnzimmer förmlich einzuscannen. Es war unheimlich.

„Darf ich dir ein paar Fragen stellen?" es schien weniger eine Frage zu sein und er guckte mich nicht einmal an, sondern ließ seinen Blick weiter durch das Zimmer streifen.

Ich nickte.

„Wir suchen einen gewissen Jayden Davis. Du kennst ihn?"

„Ja"

„Und?" Der Major schaute mich zum ersten Mal an und ich hatte das Gefühl, abwertend gemustert zu werden.

„Er verschwand vor einem halben Jahr."

„Er soll wieder hier in der Nähe sein..."

Ich schwieg. Er war also tatsächlich wieder da. Mein Herz fing an, laut zu pochen.

„Hast du etwas mitbekommen? Ein Zeichen. Vielleicht eine Botschaft erhalten." Es waren keine Fragen, vielmehr eine Aufforderungen.

Ich dachte an die Kirchblüte unter einem Kopfkissen.

Und schüttelte den Kopf.

„Ihr wart euch sehr nahe." Er ließ den Satz mit seiner Botschaft in der Luft hängen, doch mich beeindruckte das nicht.

„Waren" sagte ich und schaute ihm fest in die Augen. „Das ist vorbei."

Ich meinte ein winziges Zucken seiner Mundwinkel zu sehen, ein kleines, vielleicht spöttisches Lächeln.

„Gut. Wenn doch, meldest du dich!"

Er legte mir eine Visitenkarte auf den Tisch und schaute mich einen Moment intensiv an. Seine Eisblauen Augen wanderten anschließend zur Karte, dann wieder zu mir.

Der Major wandte sich von mir ab und verließ ohne ein weiteres Wort das Wohnzimmer. Mein Vater folgte ihm.

Verwirrt starrte ich die Karte vor mir auf dem Tisch an.

Was hatte er mir damit sagen wollen? Was sollte dieser Blick?

Schnell sprang ich auf und rannte in den Flur.

Der Mann hatte sein Auto erreicht und stieg hinten ein.

Der Motor ging an und der Wagen entfernte sich.

Was war das gewesen?

In diesem Moment kam meine Schwester um die Ecke. Sie war ganz aufgeregt. Kaum war sie bei mir, schwatzte sie auch schon los. „Hast du das Auto gesehen? Es war so groß und... "

Ich nickte, immer noch verwirrt und hörte ihr kaum zu.

Mein Vater verschwand wieder im Wohnzimmer und wir beide folgten ihm.

VogelFreiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt