Leise rieselt der Schnee

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Am nächsten Morgen lief die Rede, die Julien und die anderen am Vorabend aufgenommen hatten.

Ich guckte sie in der Sitzecke, die mein zweites Zuhause geworden war.

Mein Vater war auch da. Er war die letzten Tage weg gewesen. Bei meiner Schwester auf dem Land.

Bald würde ich sie weidersehen.

Frühling hatte mit seinen Freunden die Rede ins Fernsehen gehackt.

Er war so gut, dass die Regierung es nicht verhindern konnte. Immer und immer wieder gelang es ihm.

„Guten Abend liebe Nation" sagte Julien ganz freundlich.

„Was glaubt ihr, hätte Dagon gesagt? Dass wir gefährlich sind, dass wir euch schaden wollen?

Schaut mich an, ich bin ein alter Mann.

Aber grade das ist doch so entscheidend.

Versteht ihr?

Erinnert euch an die Zeit, in der es euch gut ging? Wir alle Glücklich waren?

Erinnert ihr euch an die Zeit von vor 30 Jahren?

Bevor Dagon die Macht an sich riss?

Und Grausam seine Hand nach diesem Land ausstreckte?

Unser Land verfällt zunehmend, es wir uns immer schlechter gehen.

Besonders jetzt, wo Dagons Pläne bekannt geworden sind.

Aber es betrifft nicht nur uns alte Leute, sondern auch unsere Kinder:"

Julien verschwand und ein kleiner Junge trat vor die Kamera.

„Hallo, mein Name ist Max. Bis vor zwei Wochen hieß ich noch 481.

Ich war eine Nummer. Ein Schandfleck des Systems."

Er guckte so traurig und verzweifelt, dass schlucken musste. Hatte ich ihn nicht schon mal hier irgendwo rumlaufen sehen?

„Ich hatte eine Mama, die mir jeden Abend ein Gute Nacht Lied gesungen hat und einen Papa, der mit mir Flugzeuge gebaut hat. Einen Bruder, mit dem ich Fußball spielen konnte.

Jetzt habe ich gar nichts mehr.

Warum?

Ich weiß es nicht.

Sie kamen auf einmal und haben mich mitgenommen.

Papa, Mama und Tom, bitte kämpft für mich, ich will euch wiederhaben."

Der Junge fing an zu weinen und Julien nahm ihn mit, aus dem Bild heraus.

Mary trat vor die Kamera, mit Bill, ihrem zweijährigen Sohn Bill auf dem Arm.

Diesen Teil kannte ich schon. Ich hatte die beiden im Original gesehen.

Auf einmal hörte ich jemanden, durch die von regen Treiben unruhige, Station schreien. Trotz der nicht allzu lauten Stimme war er von Ruf zu Ruf besser zu verstehen.

Er war besser zu verstehen, weil es bei jedem Ruf um ihn herum immer leiser wurde.

Irgendwann war es totenstill.

Erschöpft blieb er stehen, irgendwo, seine Wangen waren ganz rot.

„Schnee" keuchte er. „Es hat begonnen zu schneien."

Einen Moment war es Totenstill.

Absolute Stille.

Dann brach das totale Chaos aus.

VogelFreiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt