🍀Quinze🍀

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●Emir - Mevsim Sonbahar ●

Ein wolkenbedeckter Himmel hatte seit Tagen die Stadt eingenommen. Der Regen prallte unausweichlich an die Fensterscheiben, ganz im Einklang, ruhig und ausgeglichen. Wie als hätten sie gespürt, dass sich im Haus der Barrosos die Stille vor dem Sturm gelegt hätte und die Regentropfen, das innerlich blutende Herz des Ehepaares besänftigen und somit die herannahende Katastrophe verhindern könnte. Doch wenn etwas zu Zerbrechen drohte, kleine Risse, Dellen vorhanden waren, konnte niemand der bitteren Wahrheit ausweichen, dass es letztlich keinen anderen Ausweg mehr gab. Denn es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Risse sich zu Scherben umwandeln würden, sie schneiden und sie vor dem Schicksal mit aufgerissenen blutenden Knien niederfallen lassen würde. Eins stand nämlich auf alle Fälle fest: selbst die Mutternatur mit ihrem Eingriff würde nichts bezwecken können. Weder den starken aufbrausenden Sturm konnte es besänftigen, noch die anhaltende mörderische Stille.

Letzteres traf nämlich in dem Moment auf die Barrosos zu. Denn obwohl es vor einigen Tagen noch einigermaßen friedlich umherging, machte sich nun die Anspannung in jedem ausweichenden Blick, jedem unausgesprochenen Wort zwischen ihnen bemerkbar. Kian, der ahnungslos und verwirrt über diese Stimmung im Haus war, fragte sich seit Tagen, was nach seinem Aufbruch zur Apotheke zu Hause geschehen sein mag. Denn als dieser wieder mit den Medikamenten in der Hand nach Hause gekommen und den Weg ins Schlafzimmer angesteuert hatte, hatte er mit einem Blick auf Amira gespürt, dass die Stimmung eine 180 Grad Umdrehung gemacht hatte. Irgendetwas hatte sich verändert und es lag nicht einmal an der frischen Brise, die er von draußen mit ins Haus gebracht hatte.

Mit einem Blick auf Amira, wusste er, dass durch etwas anderes die Kälte über sie hergezogen und sie erneut eingenommen hatte. Ihre Augen wirkten erneut emotionslos und beim genauen betrachten sah er, dass sie leicht angeschwollen und rötlich hervorstachen. Erschrocken nach Luft schnappend hatte dieser daraufhin gefragt:

»Warum hast du geweint ?«

Amira hatte ihm, wie Kian schon angenommen hatte, auf die Frage nicht geantwortet. Sie hatte ihn nur stumm angeblickt. Als sie hingegen bemerkt hatte, dass er daraufhin einige Schritte auf sie zumachte, sagte sie schneidend:

»Ich möchte mich ausruhen. Lass mich bitte alleine.« Kians Züge hatten nach diesen Worten einen wütenden zugleich aber auch verletzten Ausdruck angenommen, welcher Amira erneut eine klaffende Wunde in der Brust bescherte. Aber trotz dessen zwang sie sich standhaft zu bleiben und im Bett gerade zu sitzen, bis er das Zimmer verlassen hatte. Kian, der wie als hätte er ins Leere getreten, ihrem Blick ausgesetzt war, erwiderte diese für einen kurzen Augenblick, ehe er auf die Tüte in seiner Hand hinabschaute. Er wollte es nicht, wollte seiner Frau nicht in die Augen schauen, die ihm einen so kalten Blick zuwarf, als stünde ein Fremder vor ihr. Er wollte ihre Lippen nicht mehr vor Augen haben, diese sanften kirschroten Lippen, die sich perfekt an seine fügten und ihn jedes Mal in den Himmel befördert hatten. Nun waren sie aber nichts weiter als Vorzeigeexemplare, die an einem Schaufenster aufgestellt wurde und Kian zur Versuchung zu führen bestrebten. Einen Moment fragte er sich, was er da überhaupt tat, warum er das überhaupt tat. Die sogenannten W-Fragen, die er sich seit Jahren durch die Bekanntschaft Amiras nicht mehr gestellt hatte, tauchte an diesem Abend von erneutem auf. Denn Kian wusste ab dem Augenblick nun endgültig, dass er mit der Frau vor ihm keinen erneuten Streit, keine erneute Diskussion führen würde, denn er erkannte sie nicht mehr. Und mit einer Fremden, solch einen Disput zu starten stand außer Frage für ihn. Einen letzten Blick hatte er Amira stumm daraufhin zugeworfen, hatte die Tüte auf den Nachttisch gelegt und hatte ohne ein weiteres Wort das Zimmer, seine Ehefrau verlassen. Amira hatte sich anschließend wieder hingelegt, sich zur Seite gedreht und hatte stumm weiterhin die Tränen laufen lassen, die sie kurz vor Kians Eintritt in das Haus schnell unterdrückt hatte. Denn was Kian gesehen hatte, war nicht das makellose Bild einer Eiskönigin, deren Herz aus Frost bestand. Nein, vor ihm hatte eine Frau gestanden, die einige Minuten zuvor endlich wieder mit ihrer besten Freundin telefoniert hatte und die ihr am Telefon ehrlich ihre Meinung gesagt hatte, was ihre Ehe betraf. Amira hatte sich das Herz ausgeschüttet, hatte ihrem Kummer offen Platz verschaffen, doch die größte aller Lasten hatte sie trotz dessen für sich behalten, sie nicht mit ihrer besten Freundin geteilt, weil sie so schreckliche Angst gehabt hatte. Angst davor nicht mehr auferstehen zu können und sich komplett fallen zu lassen. Sie hatte es nicht geschafft über diese Grenze zu treten. Genau deshalb hatte vor Kian das Porträt einer Frau gestanden, die mit ihrer letzten verbliebenen Kraft, stark zu bleiben versucht hatte. Für das Wohl aller. All das hatte Kian nicht gesehen.... aber er hätte es auch nicht sehen können, denn Amira glich nun endgültig einer Mumie. Einer Leiche, die sich vor der Verwesung schützen wollte.

La mauvaise foi | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt