●Bengü - Ağla Kalbim●
Als die Tränen, der Sahara gleichend, getrocknet, die Gedanken sich stumm geschaltet und der Körper einem Eisklotz ähnelnd, erstarrt war, wollte Amira nur eins. Weg. Weg von diesen Kinderschuhen, die regungslos immer noch zwischen ihr und ihrem Ehemann auf dem Fußboden lagen. Sie weinte nicht mehr, winselte nicht mehr, schrie nicht mehr, obwohl ihr Herz noch so viel zu sagen, noch so viele Tränen zu vergießen hatte. Doch die Präsenz dieser Schuhe, welche sie zuvor fest in ihren Händen umschlungen hatte, um sich vor ihrem eigenen Untergang zu schützen, zogen sie nun beim Loslassen regelrecht in die Tiefen des finsteren Abgrunds. Einer Qual, einer Folter glich dieser Anblick ihr, weshalb sie einfach nur aus diesem Zimmer rausgehen und das Gefühl loswerden wollte mit diesem Inferno in ihr zugrunde zu gehen.
Langsam drehte sie sich mit dem Oberkörper seitlich zum Bett um, griff mit ihren zittrigen fast schon abgemagerten Händen an die Bettkante und versuchte mit dem leichten Druck, den sie auf ihren Armen erzeugte, sich zu erheben. Als dann sie sich von den Knien abstützend auf ihre Beine stellte, stand sie dennoch in einer gebückten Haltung und hielt sich an der Bettkante fest, weil sie Angst hatte, dass ihre Beine zusammenklappen würden, sobald sie ihren Griff lockerte, sie freigab und eine gerade Position einnahm.
Einen kurzen Augenblick lang schloss Amira, die vom Weinen schwer wiegenden Augen zu und atmete tief aus, ehe sie ihre Finger dabei langsam um das Gerüst lockerte, ihre erste Hand und anschließend die andere entzog. Als sie auf beiden Beinen stand, spürte sie, dass ihr Stand immer noch nicht ganz fest war, aber immerhin konnte sie sich aufrecht halten. Ohne Kian eines Blickes zu würdigen, der weiterhin auf dem Boden saß, die Knie an seinen Körper gezogen hatte und auf die türkisen Schuhe nieder blickte, hallten Amiras ersten Schritte durch den Raum Richtung Badezimmer nebenan. Die schweren Schritte und der leichte Schwindel, der sie dabei packte und ihr Gleichgewicht mit sich riss, sorgten dafür, dass sie am Badezimmer angekommen, sich mit der Hand für einen kurzen Moment am Türrahmen abstützte und gleichmäßig nach Luft rang. Als dann sie der Ansicht war sich wieder unter Kontrolle zu haben, setzte sie weitere langsame Schritte bis zur Badewanne hin, anschließend sie die kalte Seite des Wasserhahns öffnete und beobachtete, wie der Fall des Wassers einen kleinen See vor ihr bildete. Die Augen stets auf einen Punkt in der Wanne gerichtet, stand Amira einige Sekunden lang völlig hypnotisiert da und lauschte dem Geräusch des Wasserfalls. Als sie dabei die Lider schloss und sich weiterhin diesem Geräusch hingab, hoben sich kurzzeitig minimal ihre Mundwinkel. Denn ihren Vorstellungen erlegen, stellte sie sich vor, sie befände sich irgendwo an den Niagarafällen und war vogelfrei, friedlich und unbekümmert. Doch mit dem Aufschlagen ihrer Augen verschwand dieses Bild und mit ihr, das Gefühl der Wärme und der Freiheit, sodass sie erneut die Gittern vor Augen sah, hinter denen sie gefangen war. Anschließend umwarb sie die Kälte erneut, wie ein Windstoß von allen Seiten, weshalb ihr Lächeln von der Wucht dieser mit gefegt wurde. Ihr Gesichtsausdruck wirkte wieder monoton, leblos. Amira spürte, wie sehr ihr die Wahrheit vor Augen weh tat, wie sehr sie darunter litt und auseinander fiel. Langsam streifte sie sich ihre Schuhe von den Füßen, ehe sie mit den Händen, den Rand ihres Oberteils fest hielt und sich diese überstreifte, sodass sie nur noch in ihrem schwarzen BH und in ihrer Jeans vor der großen Badewanne stand. Das Oberteil in ihrer Hand daraufhin fallen lassend, huschte ihr Blick zur Tür und da bemerkte sie die Statur ihres Mannes, der sich am Türrahmen angelehnt hatte und sie mit verschränkten Armen beobachtete. Bei dessen Anblick verfluchte sich Amira selbst ein weiteres Mal. Sie verabscheute sich noch mehr, denn sie fühlte mit jeder Faser ihres Körpers mit jedem weiteren Blick, jeden verstrichenen Atemzug und jedem einzelnen weiteren schmerzerfüllten Herzschlag, dass es Kian miserabel ging.
Kians Hemd, welcher an den Seiten zerknittert vorlag, waren unordentlich einige Knöpfe geöffnet und die Ärmel waren leicht hochgekrempelt, sodass sie sich um seine breiten muskulösen Arme spannten. Weiter hinauf sah Amira die durchwühlten Haare ihres Ehemannes, die den Eindruck erweckten, als wäre er gerade erst aus dem Bett gekrochen. Doch was Amira am meisten mitnahm, war sein Gesichtsausdruck. Die geröteten angeschwollenen Augen stachen, wie messerscharfe Blitze hervor und durch die Müdigkeit, die Kian regelrecht ins Gesicht geschrieben stand, wirkte er automatisch um einige Jahre gealtert. Sein Körper sprach Bände. Er kapitulierte, denn er war fertig mit allem. Mit einem tiefen Seufzer, ohne den Blick von Amiras Augen abzuwenden, fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht.
Für einen Augenblick blinzelte der Ring an seinem Finger auf, als er dies tat und Amira schnappte angeregt nach Luft. Der Anblick seines Eherings versetzte ihr einen weiteren heftigen quälerischen Stoß, woraufhin eine erneute Welle des Schmerzes über sie herbrach, als sie kontinuierlich darauf starrte.
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La mauvaise foi | ✓
Romance»Du siehst es nicht, Kian. Du hast es auch damals nie sehen wollen, wenn eine Scheibe Risse vorwies und sie kurz davor war auseinanderzufallen. Du hast die daraus resultierenden Scherben nie gesehen, die die sich überallhin verstreuten, in kleine St...