Der Fremde mustert mich weiterhin. Ist der taub oder schwerhörig?! So undeutlich hab ich mich doch nicht ausgedrückt, dass man mich wie so eine Mastgans für Weihnachten betrachten muss um zu gucken, wann die am besten zum Schlachten gebracht werden kann. Hab ich ein Dildo im Gesicht oder warum gafft der regelrecht nun in mein Gesicht?!
"Ich bin Jackson Michael Morgan, Dr. J. M. Morgan. Und du bist anscheinend die Tochter von meiner ehemaligen Patientin. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch lebend antreffe. Das mit dem Unfall tut mir ausgesprochen leid. Eigentlich wollte ich nur ein paar Unterlagen von mir holen, aber das ist anscheinend nicht erwünscht." stellt sich dieser Mann mal vor. Er wirkt noch sehr jung, was wohl an diversen Schönheitsoperationen liegt.
Aber das mit den Unterlagen erinnert mich an eine Kindheitserinnerung. Den Namen hatte ich damals gerade stolz entziffert auf einer der vielen Dokumente, die auf dem Schreibtisch meines Vaters lagen.
Flashback:
"Papa, Papa, soll ich dir mal zeigen, wie toll ich schon lesen kann?!" aufgeregt hüpfe ich vor dem Schreibtisch meines Vaters auf und ab, meine Zöpfe schwingen bei jeder Bewegung mit. Ich bin gerade von der Schule gekommen und habe im Vorlesen eine EINS bekommen. Mit meinem roten Schal, der roten Strumpfhose und dem braunen Kleid mit den langen Ärmeln wedel ich mit dem Zettel meiner Lehrerin herum auf dem mein Ergebnis steht.
Papa nimmt mich hoch und sofort erhellt sich seine finster-traurige Miene zu einem strahlenden Grinsen. Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und lässt mich das Schreiben meiner Lehrerin ihm vorlesen. Danach setzt er mich auf seinem Chef-Sessel ab um meinen Schulerfolg in dem rosa Ordner abzuheften, welchen ich aussuchen durfte und wo alles reinkommt. Da der Ordner nicht im Schrank ist, geht er ihn suchen.
Während dem Warten wird mir langweilig und so beschließe ich, dass ich ihm ein Bild malen möchte. Auf der Suche nach einem weißen Blatt Papier, wo nichts draufsteht oder aufgedruckt ist, sehe ich einen Briefbogen und zieh ihn vorsichtig aus dem Stapel. Neben dem Bild von einem lachenden Gesicht steht groß der Name "Dr. J. M. Morgan".
Irgendwie gefällt mir der Name und der Brief, also falte ich das Papier vorsichtig und sehr gewissenhaft mit eingeklemmter Zunge zwischen den Lippen zusammen. Dieses gefaltete Papier stecke ich schnell in den Bund meiner Strumpfhose und lasse das Kleid drüber fallen. Papa mag es nicht, wenn ich ihm einen Brief wegnehme, weil es mir gefällt.
Papa hat es zum Glück nicht bemerkt und geht mit mir spielen, nachdem er mich umziehen geschickt hat. Den Zettel mit dem lachenden Gesicht hab ich in das Buch, was mir meine Mama gekauft hat, damit ich mein erstes Buch selbstständig lesen kann, reingesteckt. Da wird sicher niemand jemals danach suchen und ich werde ihn wiederfinden können.
Paar Tage darauf höre ich meine Eltern darüber reden, ob nicht ein Brief gekommen sei vom Doktor. Papa sagte was, dass er ihn nicht auf seinem Schreibtisch oder im Ordner habe. Zur Sicherheit hat er aber den Ordner geholt und nochmal nachgeguckt. Aber das Schreiben war nicht da, weswegen Mama sagte, dass der Brief wahrscheinlich von der Post verschlampt worden sein soll und man da nichts machen könne. Der Ordner war schwarz mit der Aufschrift "Test" und einem roten Stern drauf.
Der rote Stern steht für sehr wichtige Sachen, die Papa aufbewahren muss. Wegen der Steuer oder was es da noch so gibt. Hat er mir erst heute erklärt, bevor er mit Mama geredet hat und diesen Ordner geholt hat."
Jetzt weiß ich nach all den Jahren Kopfzerbrechen, was das war. Das ist dieser "Doktor" und dieses Schreiben hat möglicherweise was mit dem "Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich lebend antreffe" zu tun. Aber da ich absolut ahnungslos bin, wo der Ordner hingekommen ist. Das Buch ist wahrscheinlich in einem der Bücherregale meiner Eltern eingestaubt. Doch genug nachgedacht, jetzt wird geredet.
"Okay, was meinen Sie mit Ihrer Aussage?! Sehe ich aus als wäre ich eine Leiche?! Und von was für Unterlagen reden Sie?! Meine Eltern haben mir alles erzählt, davon würde ich doch wissen. Schließlich ist es nicht gerade toll zu hören, dass man angeblich tot ist." bohre ich mal nach und weiß nicht, ob ich das wissen will oder nicht.
Er scheint mit sich zu ringen, bevor ich meine Antwort erhalte. "Deine Eltern haben damals bei einem Experiment oder eher einem Test mitgemacht. Die meisten Kinder von den Teilnehmern waren entweder Totgeburten oder sind relativ schnell verstorben oder erkrankt. Ich war einer der jungen Absolventen, die Arzt werden wollten und bei diesem Experiment aushalfen. Mir war schnell klar, dass die Konsistenz tödlich oder deformierend sein kann. Aber die anderen hörten nicht zu und haben dennoch dieses Mittel verabreicht oder injiziert. Da ich ansonsten nicht als Arzt hätte zugelassen werden, hab ich gegen meine Auffassung mitgemacht und irgendwann an die Harmlosigkeit geglaubt."
Ich warte ab. Das hilft mir nicht weiter. Was hat ein Experiment von irgendwelchen Ärzten und die Rate von Totgeburten und kranken Kindern, die verrecken, bitteschön mit mir zu tun?! Das ist nur ein dummer Zufall, dass meine Eltern bei dem Experiment mitgemacht haben und ich als "einzige Nachkommin" überlebt habe von den Teilnehmern. Das klingt absolut lächerlich, auch wenn hier ein Arzt vor mir sitzt.
"Nachdem ich einige Jahre als Arzt arbeitete kamen die Patienten zu mir, weil die anderen sich abgesetzt hatten oder aufgehört. Aber der größte Teil ist an einer ungeklärten Virus-Erkrankung gestorben. Die Patienten klagten über ähnliche Symptome wie man bei den Kollegen fand und sind an der gleichen "Krankheit" verstorben. Die Kinder von dem Leuten sind auch erkrankt an dem Infekt und es war schrecklich das alles mit anzusehen. Deine Eltern waren die Einzigen, bei denen dieser Infekt nichts ausgerichtet hatte. Darum hatte ich die beiden damals immer wieder angeschrieben und über den Verlauf informiert. Sie haben alles über dieses Experiment, weil ich illegal die Originale nicht vernichtet sondern gesammelt hatte. In dem Brief, den ich suche, hab ich deinen Eltern eine Anomalie mitgeteilt, die ich gefunden hatte in ihrer DNS. Aber sie sind nie zu diesem Termin erschienen und nun bin ich auf der Flucht. Eine Organisation will die ganzen Unterlagen um, ist ja egal, und ich möchte mit den Unterlagen verschwinden." beendet der Arzt hier seine Geschichte, die nach einer Fantasie klingt.
"Soweit ich weiß sind alle Unterlagen an das Büro meiner Mutter gesandt worden und alles ist vernichtet worden. Das hat in dem Testament gestanden. Tut mir leid, dass ich Ihnen da nicht mehr weiterhelfen kann. Aber es ist nichts mehr da." Kann ich ihm auf seine Nachfrage, ob er die Unterlagen haben kann, nur mitteilen und hab genug.
"Wenn Sie jetzt bitte gehen könnten. Ich möchte gerne schlafen gehen und keine Fremden, die Ärzte sind, in dem Hausanwesen herumtigern sehen. Gehen Sie einfach und kommen Sie bitte nie wieder. Ich möchte nicht wegen Ihrer Vergangenheit Probleme haben!" Mit diesen Worten und unter sehr viel Kraftaufwand komplimentiere sowie Schiebe ich diesen Verrückten aus dem Haus. Ich schließe die Tür und gucke durch den Spion nach, ob er geht.
Der Fremde, dieser Arzt, verschwindet und es war das erste und letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Am nächsten Morgen findet man seine Leiche und in dem Artikel dazu steht drin, dass er der letzte aus einer "Ärztebande" war, welche ihre Patienten zu Tode gepflegt haben. Ich war also neben seinen Mördern, die letzte, die ihn sah und ich weiß, dass er das Geheimnis ins Grab genommen hat und er mir das mit den Unterlagen geglaubt hat. Also werden seine Mörder, die das glauben müssen, weil er für diese Information gestorben ist, das auch wissen.
Nach den Wunden zu urteilen wurde der Fremde, dieser Arzt, gefoltert und das kann nur heißen, jemand wollte diese Informationen und hat nur erfahren, dass alle existierenden Unterlagen endgültig vernichtet sind und er der einzige ist, beziehungsweise war, der diese Rezeptur noch wusste. Ich bin echt seit dem Tod meiner Eltern bei einem Film gelandet, der alle Bereiche der Filmbranche abdecken soll. Wie schön, dass mir das NIEMAND sagt!
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Saphira
AcakIch bin Saphira und dachte, dass ich genauso langweilig wie alle anderen bin. Aber leider ist dem nicht so. Seitdem meine Eltern gestorben sind und ich alleine bin, passieren mir immer wieder Sachen, die es nicht gibt. Ich habe von meinen Eltern ein...