9 Der Zwischenfall

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Dr. Franklin redete noch eine Weile auf mich ein, doch dann beendete sie die Sitzung.

Theo brachte mich in mein Zimmer zurück, doch anstatt mich wieder an mein Bett zu ketten, befreite er mich aus der Jacke und sagte mahnend: "Vergiss nicht was Dr. Franklin gesagt hat, Katrina. Solange du niemanden verletzt oder angreifst, bist du die Medikamente und die Jacke los. Also..."

Mit gehobenen Augenbrauen sah er mich an und ich nickte grinsend, weil Klara sich an seine Seite gestellt hatte und seinen Blick nachahmte.

Dabei schielte sie ganz fürchterlich und wedelte hektisch mit dem Finger in der Luft herum.

Irgendwas schien auch ihn zu belustigen, denn er lächelte mich doch tatsächlich an, dann sagte er: "Grüß Klara von mir." und war schon verschwunden, bevor meine Freundin den Mund wieder zuklappen konnte.

Und jetzt lachte ich richtig.

"Mund zu!", kicherte ich. "Sonst fliegt noch eine Fliege rein."

"Hast du das gehört?!", strahlte sie mich an. "Er mag mich!"

"Natürlich. Warum sollte er dich auch nicht mögen.", ich zuckte mit den Schultern und grinste sie an.

"Stimmt! Ich bin super!"

"Die beste.", stimmte ich ihr zu, bevor ich hinzufügte, "Danke, dass du mit zu Dr. Franklin gekommen bist."

"Mir blieb ja nichts anderes übrig.", sagte sie jedoch nur bevor sie der Tür zustrebte. "Komm! Lass uns raus aus dem Loch! Wir waren lange genug hier eingesperrt."

Und das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich wieder nach draußen durfte.

Doch niemand hielt mich auf. Die Tür war auch nicht abgeschlossen und so schlich ich wie üblich über den Flur und schaute mir die Bilder an.

Mit den Fingerspitzen fuhr ich die Linien eines Hauses nach. Tippte auf jedes einzelne Blatt des Baumes, der gleich daneben stand und lauschte der Stille.

Die Geräusche um mich herum blendete ich aus.

Nur der Ruhe in dem Bild versuchte ich meine Aufmerksamkeit zu schenken, doch irgendwas stimmte nicht.

Es wurde immer lauter. Der Krach kam näher. Wurde zu Geschrei.

Etwas polterte. Eine Tür schlug krachend gegen eine Wand und als ich verstohlen den Kopf wandte kam ein splitternackter Mann auf mich zugesprungen und riss mich beinahe zu Boden.

Panisch sah ich ihn an.

"Klara!", schrie ich erschreckt, "Sag ihm er soll mich loslassen."

"Lass sie los!", fuhr Klara ihn auch tatsächlich an, doch schien ihn das nicht im Geringsten zu Interesseieren.

"Hm...", machte er, als wäre ich ein Leckerbissen, "Mjami...bist aber ganz ne Süße, ja..."

"Klara!", wimmerte ich mit heiserer Stimme. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Wie damals. Doch wie damals half mir Klara nicht.

"Tu doch was!", flehte ich, doch sie seufzte nur: "Was soll ich denn machen? Du musst dir selbst helfen?"

"Ich kann nicht. Bitte.", hauchte ich ihr zu, während der Typ seinen nackten Körper an mich presste. Wo bitte war Theo, wenn man ihn brauchte. Oder Bruno. Warum kam keiner. Warum ließen sie mich allein?

"Hau ab du Schwein!", maulte Klara schließlich doch, "Lass sie ihn Ruhe."

"Lass mich in Ruhe.", wiederholte ich ihre Worte heiser. Viel zu leise. Er ignorierte sie.

Ich wurde gegen die Wand gepresst. Seine ekelerregenden Hände tasteten am Saum meines Hemdes herum und rissen meine Hose ein Stück nach unten.

"Ja, ja, ja...so zart...so lecker!", raunte er mir ins Ohr und ich schrie.

"Nein!", ich schrie so laut ich konnte. Einmal war ich still. Einmal hatte ich nicht geschrien. Klara war nicht da, aber jetzt, heute, war sie es.

"Verpiss dich Wixer!", kamen ihre Worte laut aus meinem Mund, "Oder soll ich dir die Kehle durchschneiden?"

Ich legte ihm die Hände an den Hals. Mein Herz klopfte stark, doch genauso stark schlossen sich meine Finger. Ich drückte fester zu, doch schien das den Kerl nicht einmal zu stören. Er grapschte weiter nach mir. Sein Penis spürte ich an der Haut an meinem Bauch. Es war ekelig.

Sein strenger, männlicher Geruch stieg mir in die Nase und mir wurde schlecht.

Mit dem Kopf ruckte ich vor und rammte meine Stirn gegen seine Nase. Er stöhnte. Und endlich ließen seine Hände von meinem Körper ab. Blut rann über seinen Mund.

"Kleine. Magst es wohl auf die harte Tour was? Ja, ja, ja. Kannste haben.", sagte er irr.

"Du Schlappschwanz weißt doch gar nichts mit der Nudel da anzufangen.", provozierte ich ihn und riss an seinen Haaren, doch er packte mich grob am Arm und schleuderte mich zu Boden.

Ich hörte Stimmen. Schnelle Schritte. Geschrei. Mein Kopf dröhnte. Wovon wusste ich nicht, doch hörte ich mich lachen.

Schrill. Viel zu hoch. Beinahe panisch. Doch ich spürte auch die Feuchtigkeit, die über mein Gesicht rann. Langsam. Unaufhörlich.

Ich rappelte mich auf. Hände packten mich. Halfen mir. Zogen mich weg. Ich schlug nach ihnen. Doch seine Hände waren groß. Seine Stimme an meinem Ohr leise.

"Ist gut Katrina. Beruhige dich."

"Verpiss dich Arschloch!", wehrte ich mich heftig, doch die Arme, die sich um meinen Körper schlangen und mich hochhoben waren zu stark, als das ich mich gegen sie wehren konnte.

"Katrina!", die Stimme klang mahnend. Ganz anders, als der Typ, den ich vor mir sehen konnte und von dem ich weggezerrt wurde, "Du musst dich wieder beruhigen. Alles ist gut."

"Lass mich los du Kinderficker! Sackgesicht! Hurensohn!", schrie ich ihn an. Ich versuchte ihn mit dem Kopf eine zu verpassen, doch er wich mir aus. Auch meine Beine trafen ins Leere, als ich versuchte nach ihm zu treten.

"Lass mich los!", schrie ich panisch, als er mich in mein Zimmer zerrte. "Lass mich los! Du bekommst mich nicht! Ich lass mich nicht vergewaltigen!"

"Niemand tut dir was.", versuchte er mich zu beruhigen, doch das zog bei mir nicht.

"Ich glaub dir nicht!", schrie ich ihn an und ließ mich fallen, und fiel tatsächlich zu Boden. Langsam. Er stand mit dem Rücken zur Tür. Sein Blick auf mich gerichtet.

Ich wirbelte zu ihm herum, wollte mich auf ihn stürzen, meine Zähne in seine Haut schlagen, ihm die Augen auskratzen, all das tun, was ich damals nicht getan hatte.

Doch ich tat es nicht.

Schwer atmend stand ich da. Starrte den Mann an, der an der Tür lehnte und mich besorgt musterte.

"Es ist alles gut. Klara? Dir wird nichts geschehen.", seine Stimme war beruhigend. Fragend, als wäre er sich nicht sicher, ob er mit seiner Vermutung richtig lag, doch ich nickte nur langsam und wich vor ihm zurück.

"Geh!", sagte ich hasch, "Hau ab Theo! Ich will dich nicht sehen!"

"Ist gut. Aber bitte bleib hier. Wir kümmern uns um ihn. Okay. Er kann dir nichts mehr tun."

Theo sah mich an. Besorgt. Ein wenig. Erregt auch. Nicht sexuell, nur sein Atem ging schneller. Und seine Pupillen waren geweitet. Wie meine vermutlich.

Ich spürte, wie die Panik nach lies, wie die Angst mich wieder überkam und ich zu zittern begann.

Ich nickte den Tränen nahe und wankte, doch Theo öffnete die Tür und ließ mich allein. Ich sank auf den Boden. Kringelte mich zusammen und schlang die Arme um meine Beine.

Ich konnte Klara wieder in meinem Rücken spüren. Ihr stilles Dasein. Sie redete nicht. War selbst auch leise. Verstört.

"Warum?", fragte ich sie schluchzend, "Warum immer ich?"

Sie schwieg.

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1188 Worte
13.04.17

✔Zwischen den SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt