18 Verwirrt

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"Kannst du mir sagen, wer du bist?", wollte Dr. Franklin wissen.

Ich saß auf ihrem Sofa. Ein Mann direkt neben mir. Ich denke, sie hatte Angst, dass ich sie wieder angreifen könnte, deshalb war er da.

Doch irgendwie wusste ich nicht, wer ich war, deshalb schüttelte ich den Kopf.

"Du willst mir nicht sagen, wer du bist? Oder kannst du es nicht?", fragte sie weiter und wieder schüttelte ich den Kopf. Was hätte ich auch anderes tun sollen.

"Nun gut. Vielleicht können wir es zusammen herausfinden.", sagte sie reserviert und schrieb etwas auf einen Zettel. Die Akte daneben war schon recht dick, was da wohl alles drinstand?

"Ich finde, wir haben in letzter Zeit sehr gute Fortschritte gemacht.", sagte sie und legte ihre Hand auf die Akte, "Deshalb möchte ich dir ein Angebot machen. Heute werden wir über etwas anderes reden, als letztes Mal. Und wenn du gut mitarbeitest, darfst du nach unten. Was hältst du davon?"

Ich traute ihr nicht. Warum schlug sie mir das vor? Wir hatten sie verletzt beim letzten Mal. Wir hatten nicht getan, was sie wollte und doch wollte sie uns...irgendwohin...nach unten lassen?

"Theo hat gesagt, du würdest gerne in den Garten gehen.", sie hob fragend eine Augenbraue und ich nickte langsam. Wollte ich in den Garten?

Die Medikamente waren inzwischen aus meinem Körper verschwunden. Zumindest spürte ich ihre Wirkung nicht mehr also mussten sie weg sein, doch ich fühlte mich noch immer seltsam.

Verwirrt.

Ich runzelte die Stirn. Sah mich um, doch ich war allein. Außer Theo und Dr. Franklin war niemand hier.

Außer mir. Doch wer war ich?

Ich schaute auf meine Hände. Drehte sie hin und her. Wie schon den ganzen Tag, seitdem ich wieder aufgewacht war. Ich kannte sie. Ich kannte auch den Schnitt auf meinem linken Handgelenk und die Operationsnarbe auf dem Rechten.

Doch konnte ich nicht sagen wer ich war. Allerdings wusste ich wo ich war. Meine nackten Füße waren bleich und kalt. Ich hob sie vom Boden und zog sie dicht an den Körper. Schlang die Arme um die Beine und begann sacht vor und zurück zu schaukeln.

Ich war verwirrt. Konnte mich nicht finden. Weder sie noch mich. Oder waren wir eins?

War Katrina hier? Und ich war Klara? Oder war ich Katrina und Klara war irgendwo anders?

"Wer bin ich?", sprach ich schließlich meine Gedanken aus.

"Sag du es mir.", sagte Dr. Franklin, dessen Namen ich kannte, weil der Mann neben mir, ihn mir genannt hatte.

"Ich weiß es nicht.", sagte ich ratlos und hob den Blick. Ich sah die Frau an, die rechts von mir in einem Sessel saß und die mich verwirrt ansah. Dann wandte ich den Blick zu meiner Linken und sah den Mann, der dort saß.

Seine Haare waren braun, sein Blick ruhte auf mir. Ich folgte der weichen Linie seines Kinns über seine geröteten Lippen. Sein rechter Mundwinkel hob sich leicht, als ich ihn ansah. Seine Nase war ein wenig schief, doch wirkte er dadurch nur viel wirklicher, als wenn sie gerade gewesen wäre.

Weiter traute ich mich nicht zu schauen, doch spürte ich eine leichte Berührung unter meinem Kinn.

"Kannst du mich ansehen?", wollte er wissen. Das er sprach sah ich, weil sich sein Mund bewegte. Und seine Stimme beruhigend weich klang. Nicht so wie die der Frau, dessen ruhigen Atem ich von meiner Rechten hörte.

Zögerlich hob ich die Augen weiter.

Dunkle Wimpern tauchten auf. Bewundernswert lang. Kleine Falten lagen um die lächelnden, freundlichen Augen, in die ich nicht versuchte zu schauen.

"Ich bin hier.", sagte er und ich hörte das Lachen in seinen Worten. Ich wollte ihn ansehen, doch irgendwie wollte ich es auch nicht.

Warum wusste ich nicht und so sah ich wieder zu der Frau. Ihr Blick war unergründlich. Nicht freundlich. Eher berechnend. Aber nicht böse. Sie wusste nicht, was sie denken sollte, das sah ich. Nur wusste ich nicht, was das bedeutete.

Ich spürte eine Hand an meinem kalten Fuß. Eine herrlich warme Hand.

Und so schwenkte mein Blick wieder zu dem Mann zurück.

"Sie mich an.", seine Worte waren fast ein Flüstern, dem ich folgte. Von seiner Hand zu seiner Brust. Von dort zu seinem Hals.

Als nächstes kam der Mund. Er lächelte.

Sein Finger wanderte von meinem Fuß zu meiner Hand, von dort über meinen Arm zu meinem Kinn.

Wieder spürte ich die zarte Berührung dort an meiner Haut und ein kribbeln breitete sich in meinem Gesicht aus.

Langsam hob ich den Blick. Langte wieder an seinen Wimpern an und ließ mich von seiner Berührung leiten.

Ich erblickte ihn. Den Himmel. Er war so voller Sterne, dass er zu funkeln schien. Ein Lächeln brachte seine Augen noch mehr zum Leuchten und als seine raue Stimme an mein Ohr drang, rückte sich in mir etwas zurecht.

"Kannst du mir sagen, wer du bist?", fragte mich Theo und ich nickte.

"Ich heiße Katrina Miller.", sagte ich verlegen und Atmete tief ein. Der Hauch einer Sommerbriese drang an meine Nase. Der Geruch nach frisch gemähtem Gras und Blumen. Blauen Kornblumen und noch immer konnte ich den von Sternen übersäten Sternenhimmel vor mir sehen.

Die kleinen, hellen Punkte funkelten strahlend und ließen ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen, dass sich anfühlte, als würde ein Sonnenstrahl mich erwärmen.

Tief drang er in mich ein und erhellte den dunklen Punkt in meiner Brust, der sich zu einem schmerzhaften Ziehen verhärtete und mich nach Luft schnappen ließ. Tränen sammelten sich in meinen Augen und flossen über meine Wangen.

Ein Schluchzen entrang sich meiner Brust und ein fürchterlicher Schmerz überschwemmte mich.

Schmerz. Unbeschreiblich. Überall.

Ich zitterte. Ich fiel. Schnell. Immer schneller. Der Aufprall musste kommen. Bald. Gleich. Schon in wenigen Sekunden.

Ich erwartete einen noch schlimmeren Schmerz, der nicht kam.

Stattdessen legten sich Arme um mich. Hielten mich. Hielten mich fest und wiegten mich sanft.

Verhinderten den Aufprall. Den noch heftigeren Schmerz, den ich erwartete. Der zwar nicht kam, dessen Dasein aber über mir schwebte wie ein drohendes Ereignis, dem ich nicht entgehen konnte.

"Ich denke, wir brechen an dieser Stelle ab.", erklang die helle Stimme der Frau und Theo antwortete etwas, das ich nicht hörte. Stattdessen, wurde ich hochgehoben und weggetragen. Ich vergrub mein tränenfeuchtes Gesicht an seiner Schulter und schloss kraftlos die Augen, dabei war da was, das ich tun musste. Tun, damit ich etwas bekam. Ich wusste nur nicht mehr was. Ich wollte dieses Etwas, hatte aber ebenso vergessen, was ich dafür tun musste.

Und so ließ ich es geschehen.

Ließ es zu, das Theo mich sachte die Treppe hinunter trug. Dass er mich in mein Zimmer trug und mich in mein Bett legte. Dass er mir über den Kopf strich und die Vorhänge schloss. Mich zudeckte.

Ich wusste nicht, was er dann tat. Ich hörte nur leise, klappernde Geräusche, bevor um mich herum Stille einkehrte.

Eine so beruhigende Stille, dass ich mich fallen ließ. Fallen in das gleichmäßige rauschen, das Hin und Her, das der Wind zu erzeugen schien. Das Ein und Aus. Das Auf und Ab. Das Rein und Raus.

So wie mein Atem, der gleichmäßig durch meine Lungen strich und mich beruhigte. Das leise Rauschen, das er erzeugte, wenn ich einatmete und dann trieb ich davon.

In eine Schwärze, die so umfassend war, dass ich das leise Geräusch nicht mehr hören konnte.

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1208 Worte
16.04.17

✔Zwischen den SternenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt