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Ich kam zu mir, als ich laute Stimmen hörte. Aspen war zurück.
Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Sie stritten über mich, so viel konnte ich hören.

„Du kannst jetzt nicht ins Esszimmer, Liebling. Bitte, ich will mich nicht mit dir streiten. Nicht heute", sie klang erschöpft, müde.

Ich hörte, wie er frustriert aufstöhnte: „Wer ist sie? Ich habe das Recht zu erfahren, wer sie ist und wann sie wieder verschwindet!"
Tja, meine erste Einschätzung, dass er mich nicht mochte, hatte mich wohl nicht getrogen. Er hatte seine Stimme erhoben und ich konnte seine Wut förmlich schmecken.

„Sie heisst Harlow, und Harlow wird die nächste Zeit bei uns wohnen!", gab Marcie nun genau so heftig zurück. So ging das eine ganze Weile.
Anscheinend wollte mich Aspen jetzt schon um jeden Preis aus dem Haus haben. Na das konnte ja lustig werden, falls er irgendwann erfahren würde, wieso ich wirklich hier war.

Ich versuchte mich aufzusetzen. Verdammt, tat das weh. Aber Marcie hatte gute Arbeit geleistet und die neuen Verbände hielten meine Wunden einigermassen zusammen.
Ich zog meine Jacke wieder an und unterdrückte ein Stöhnen, als ich mich zu schnell bewegte. Dann öffnete ich die Tür zum Gang und trat zu ihnen.
Beide verstummten sofort.

Aspen starrte meine verunstaltete Gesichtshälfte an - stimmt, er hatte sie bis jetzt noch gar nicht gesehen - und seine Augen verdunkelten sich.
Schliesslich ergriff Marcie das Wort: „Harlow, du hast Aspen schon kennengelernt, mein charmanter Sohn."

Meine Mundwinkel zuckten beinahe ein wenig. Beinahe.

„Aspen, das ist Harlow, die Tochter von meiner besten Freundin."

Mister Charming rollte leicht angenervt mit den Augen : „Mom, ich kenne deine Freundinnen und sie", er zeigte auf mich, „ist keine Tochter von denen. Für wie blöd hältst du mich?"

Marcie seufzte: „Ich habe sie selbst schon seit Jahren nicht mehr gesehen." Sie klang niedergeschlagen, wahrscheinlich vermisste sie sie. Doch das tat ich mehr.

„Sie ist tot. Schon seit vier Jahren", meine Stimme klang hohl. Tot. Wie mein Innerstes.

Marcie keuchte auf, vielleicht - wahrscheinlich - hätte ich es ihr nicht so hinknallen sollen, doch eigentlich kümmerte es mich nicht. Ich war damit klargekommen, sollte sie es nun auch. Wäre ich noch Lucinda, wäre ich geschockt von meiner Kaltherzigkeit, doch von nun an war ich Harlow, gefühlslos und kalt, zumindest versuchte ich es.

Entsetzt fasste sie sich an die Kehle, während Aspen mich wieder unter die Lupe nahm. Sie schluckte mehrfach, versuchte wohl verkrampft nicht zu weinen.

„Das... Das tut mir leid. Ich...", sie führte den Satz nicht zu Ende und ich wusste, es war Zeit zu Reden.

„Ich bin nun bereit, es dir zu erzählen. Alles zu erzählen."

Aspen sah mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugierde an. Ich wich seinem Blick aus und schaute dann in Marcies Augen, die jetzt schon gerötet waren. Das würde eine harte Nacht für sie werden. Und für mich.

Marcie fing sich wieder und schickte mich ins Wohnzimmer, während sie noch kurz leise auf Mister Charming einredete. Er sah überhaupt nicht glücklich aus. Dann verzog er sich jedoch in den zweiten Stock.

Ich setzte mich vorsichtig aufs Sofa, Marcie mir gegenüber. Und dann begann ich ganz am Anfang, als mein Leben noch kein Scherbenhaufen aus Schmerz, Verlust und Leere bestand. Als ich noch glücklich war. Als ich noch lebte.

Ich ächzte. Immer nur auf dem Bauch zu schlafen, konnte auf die Dauer ganz schön mühsam werden.
Marcie hatte mich im Gästezimmer einquartiert und obwohl es ziemlich eng war, mochte ich es auf Anhieb. Das Anziehen der Kleider wurde zu einer Tortur und ich war mir fast sicher, dass ich etwas reissen hörte.

Ich seufzte. Wahrscheinlich werde ich wohl nie wieder mit einem tiefen Rückenausschnitt herumlaufen können. Traurigerweise war das jedoch das Geringste meiner Probleme. Ich griff nach meiner Haarbürste - eines der wenigen Dinge die ich mitgenommen hatte, sie war jedoch ein Muss, wenn man so lange Haare hatte wie ich - als die Tür aufgerissen wurde. Ich fuhr herum.

Aspen.

Natürlich. Einen kurzen Moment lang hatte ich Panik verspürt.

„Schon mal was von Anklopfen gehört?", fuhr ich ihn an, mein Herz pochte mir nach dem kurzen Adrenalinschub heftig gegen die Rippen.

„Ich muss nicht anklopfen, denn das ist mein Haus. Das von Mom und mir!''
Betreten zog ich den Kopf ein, er hatte recht.

„Und genau deswegen bin ich hier", fuhr er fort, ,,ich habe keine Ahnung, von wo du herkommst, oder was für eine Art von Schwierigkeiten du hast, aber du wirst den Teufel tun und hier bleiben." Den letzten Teil brüllte er fast.

Okay, er war angepisst. Nein, richtig zornig. Das war nicht gut. Überhaupt nicht gut, ich hatte nicht die Nerven, mich mit einem überbeschützerischen Sohn herumzuschlagen.

„Von wo ich herkomme oder sonst etwas aus meiner Vergangenheit geht dich überhaupt nichts an!", fauchte ich zurück. Ich wollte nicht an sie erinnert werden.

„Und wie es mich etwas angeht, solange du hier..."

Ich unterbrach ihn:„ Oh nein, es wird keinerlei Auswirkungen auf euch haben", hoffte ich „ ,und wenn ich dir jemals etwas davon erzähle, dann weil ich es will!"

„Es ist mir scheissegal, wenn es keine Auswirkungen auf uns hat", sein Tonfall war gefährlich leise geworden, was mir meine Härchen im Nacken aufstehen liess, „Mom hat gestern wegen dir geweint. Du hast schon geschlafen, aber sie hat sich die Augen ausgeheult. Ich musste sie ins Bett bringen, so erschöpft war sie. Und das, macht niemand mit meiner Mom. Darum will ich, dass du gehst." Er atmete schwer und ich konnte sehen, dass er zufrieden mit sich war.

Ich blickte ihn einige Momente einfach nur an, während sich das schlechte Gewissen in mir regte. Veflucht. Mit einem Seufzen begab ich mich auf den Kriegspfad:,, Das hast du nicht zu entscheiden. Es geht einfach nicht."

Sein Kiefer zuckte:,, Und wie das geht, such dir 'ne andere Familie. Ich will das du bis morgen raus bist!"

„Sonst was?", provozierte ich ihn grossspurig, obwohl ich mich eher nach dem Gegenteil fühlte. Statt mir eine Antwort zu geben, schnaubte er nur, stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

Tja den Kaffee konnte ich mir heute wohl sparen, ich war nach dieser Dosis Wut und Zorn definitiv schon wach.

Ich versuchte mich von Mister Charming nicht einschüchtern zu lassen - er war lammbrav im Gegensatz zu... - und ging zögernd nach unten in die Küche.

Marcie sass schon am Tisch auf dem ich gestern noch gelegen hatte. Sie starrte mit rotgeräderten geschwollenen Augen in ihre Kaffeetasse.

„Guten Morgen", begrüsste ich sie zögerlich. Als sie hochschaute, glitt ein angestrengtes Lächeln über ihr Gesicht: „Guten Morgen Harlow, hast du gut geschlafen?" Als sie merkte, wie absurd diese Frage war, wollte sie sie schon zurücknehmen, doch ich unterbrach sie schnell: „Besser als in den letzten Wochen. Danke, dass ich bei euch wohnen darf."

Sie winkte ab: „Unser Zuhause steht dir immer offen, das weisst du doch."

„Naja, dein Sohn scheint nicht so glücklich darüber zu sein", merkte ich leise an.

Wieder machte sie eine wegwerfende Handbewegung: „Seit mein Ex Mann mich geschlagen hatte und ich ihn darauf verlassen habe, packt er mich in Watte", sie lächelte leicht, „er muss damit klarkommen und das wird er auch. Aspen braucht nur etwas Zeit, er hat einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt."

Ihr Mann war gewalttätig gewesen, das hatte ich nicht gewusst. Ich fühlte eine Verbindung zu ihr - eine Gemeinsamkeit.
Ich antworte nichts darauf. Es musste nichts gesagt werden.

love haunts - hate tooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt