18 - 4 Jahre vorher

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Mamá ging es schlechter. Ich machte mit schreckliche Sorgen um sie. Nur noch selten kam sie aus ihrem Schlafzimmer heraus und wenn das der Fall war, dann hatte sie rote Augen, die mich glanzlos anstarrten und fahle Haut.
Ich wusste, dass sie depressiv war, doch ich konnte rein gar nichts tun. Es tat weh, wenn ich sie sah und noch schmerzhafter war es, wenn sie mich nicht zur Kenntnis nahm.

„Luci? Kommst du?", rief Madox und blickte mich mit leichter Besorgnis an. Auch ihm war der Zustand meiner Mamá nicht verborgen geblieben und schon gar nicht, was das für Auswirkungen auf mich hatte.

Verwirrt blinzelte ich ein paar Mal, da ich so tief in Gedanken versunken gewesen war, dass ich vergessen hatte, wo ich mich gerade befand.
Obwohl ich körperliche Betätigung eigentlich nicht sehr schätzte, hatte mich Madox dazu überreden können, wandern zu gehen. Wir mieden die Hitze des Tages und gingen am frühen Abend los.

„Wie lange ist es denn noch?", beklagte ich und strich den Schweiss aus meiner Stirn.

Madox lachte auf und ich spürte, dass etwas in meinem Magen seltsam flatterte. Das tat es in letzter Zeit oft.

„Sei nicht so faul, Lucita, du kannst froh sein, dass das Unmengen von Essen, das du in dich reinstopfst nicht ansetzt!"

Beleidigt blieb ich stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. „So viel esse ich gar nicht!", verteidigte ich mich, was ihn nur noch mehr zum lachen brachte.
„Blödman", murmelte ich vor mich hin und stapfte weiter.

„Es wird dir gefallen, wirklich Luci", versprach Madox mir doch ich sah ihn nur zweifelnd an.

„Das hast du das letzte Mal auch gesagt und es hat in einem Desaster geendet!" Wütend funkelte ich ihn an, als ich daran dachte, wie ich im Kaktus gelandet war. Nachdem er sich versichert hatte, dass ich mir nicht allzu sehr wehgetan hatte, hatte er sich schlappgelacht.

Madox grinste schief: „Das war ja such zu komisch. Das hier ist anders, ich versprech's dir." Er hielt mir die Hand hin und nach kurzem Zögern nahm ich sie. Ich konnte ihm einfach nichts abschlagen.

Mit einem Ruck zog er mich zu sich. Dios mío, er war noch stärker geworden! In den letzten Monaten hatte ich zusehen können wie er nicht nur immer grösser wurde sondern auch viel mehr Muskeln bekommen hatte. Ich blickte über die Wildnis meiner Heimat und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, es war so wundervoll hier.

Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich an Madox' Ziel angekommen waren, musste ich zugeben, dass es mir wirklich gefiel.
Es war ein kleiner See mit türkisblauem Wasser, das unglaublich klar war. Das Ufer war grün und durch die Sonne, die in diesem Moment unterging, tauchte sie alles in eine fast schon magische Atmospähre.

„Maravillosa", hauchte ich sprachlos - wunderschön.

Beim Rückweg flog die Zeit nur so dahin. Madox und ich lachten und redeten und viel zu schnell kam das Casa und das Dorf wieder in Sicht. Ich seufzte, ich wollte noch länger hier bleiben, draussen, weg von Mamá, weg von Sancho. Leider war das keine Option, es war mir nicht erlaubt. Ausserdem wollte ich den Don nicht wütend machen, es würde schon reichen, wenn er erfahren würde, dass wir wandern waren.
Don Antonio sah es nicht gerne, wenn ich das Casa verliess.

Madox begleitete mich bis vor die Tür zu meinem und Mamás Flügel. Nach kurzem Zögern umarmte er mich und ich versank darin. Ich wollte nicht, dass er ging. Seine Umarmungen waren immer so schön, ich fühlte mich sicher, geborgen.

„Gute Nacht mi Lucita." - Mein kleines Licht.
So nannte er mich schon seit ich klein war. Er liebte meine blondgoldenen langen Locken, er sagte sie wären wie das Licht der Sonne. Nie würde ich meine Haare kurz schneiden!

Seufzend schloss icch die Tür hinter mir und lehnte die Stirn daran. In dem letzten halben Jahr hatte sich zwischen uns etwas verändert, ich konnte nicht sagen was, aber ich wusste, dass es etwas mit meinem ständigen erröten und dem Kribbeln zu tun hatte.

„Mamá?", rief ich nach ihr. Keine Antwort. Traurig wandte ich mich zu ihrem Zimmer. Ich hatte sie das letzte Mal vor zwei Tages gesehen. Sorgen war gar kein Ausdruck mehr dafür, was ich fühlte. Mit jeder Woche wurde es schlimmer und egal was ich tat, es half nicht.

Sachte klopfte ich an ihre Tür. Wieder keine Antwort.

Wie aus heiterem Himmel beschlich mich plötzlich ein ungutes Gefühl, es nistete sich in meinen Körper ein und liess mein Herz schneller schlagen. Meine Atmung beschleunigen, meine Kehle eng werden.

„Mamá!", rief ich wieder, dieses Mal lauter, doch noch immer hörte ich keinen Mucks von hinter der Tür. Ich öffnete sie und trat in ihr Zimmer. Die Luft war schneidend dick, die Vorhänge zugezogen. Wieso hatte ich nicht früher nach ihr geschaut?
Auf dem Bett lagen nur die zerwühlten Decken, auch auf dem Sofa war sie nicht.
War sie vielleicht nach draussen gegangen und ich machte mir umsonst Sorgen?
Ich wollte daran glauben, doch mein Bauchgefühl liess mich nicht in Ruhe. Mit weichen Knien lief ich zu der Tür zum Badezimmer. Kein Laut war zu hören.
Plötzlich hatte sich die Atmosphäre im Raum geändert. Dies war nicht mehr das Zimmer meiner Mamá, sondern ein Albtraum.

Nur ein böser Traum.

¡Despiértate, Lucinda! - Wach auf!

Mit zittrigen Händen unschloss ich den Türk auf und öffnete sie langsam.

Mamá lag in der Badewanne. Vollständig bekleidet. Das Wasser lief beinahe über.

Wasser so rot wie Blut.

Blut.

Haut so bleich wie der Tod.

Tod.

Die Augen geschlossen, als würde sie schlafen.
Sie schlief nicht.

„Mamá?", flüsterte ich.

Keine Antwort.

Wie in Trance rannte ich zu ihr, fiel vor der Wanne auf die Knie. Rüttelte sie.

Keine Antwort.

Wasser so rot wie Blut. Blutwasser.

Haut so bleich wie der Tod. Tote Haut.

Ich schrie und schrie und schrie und konnte nicht damit aufhören. Tränen rannen mir über die Wangen. Sie konnte nicht tot sein. Sie konnte nicht tot sein! Das würde sie sich nicht antun, das würde sie mir nicht antun. Vertweifelt versuchte ich sie aus der Badewanne zu hieven.

Blutwasser schwappte über, durchtränkte meine Kleider.

Durchtränkte meine Seele.

Ihre Unterarme, aufgeschnitten, von dort aus hatte der Sensenmann gegriffen. Mamá würde das überleben. Sie würde...
Ihr Haut war so kalt... Kalt, kalt, kalt, so schrecklich kalt!
Tote Haut.
Leichenhaut.

Schluchzend schrie ich weiter. Das war ein böser Traum, nur ein böser Traum!

¡Despiértate! ¡Despiértate!

Ich schlug meinen Kopf gegen die Wand, ich musste aufwachen, ich ertrug es nicht.

Ich nahm kaum wahr, wie hinter mir Madox hereinstürmte dicht gefolgt von anderen Eindringlingen. Ich sah nur Mamá.

Tot. So tot.

Arme rissen mich von ihr und der Wand weg, als ich meinen Kopf noch einmal dagegen schlagen wollte.
Starke Arme umschlangen mich, zogen mich an eine starke Brust. Wieder schrie ich. Er musste mich zu Mamá lassen!

Doch Madox liess mich nicht los. Zärtlich strich er mir über die Haare, hielt mich fest, flüsterte mir beruhigend zu. Schluchzend vergrub ich mein Gesicht an seiner Brust, während seine Umarmung noch fester wurde.

Das ist nur ein Traum, Lucinda, nur ein böser, böser Traum, versuchte ich mir einzureden. Doch tief im innern wusste ich, dass Mamá tot war.

Mamá war tot.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 04, 2017 ⏰

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