Ein Jahr.
Ein verdammtes Jahr!
So lange war es her, seit er seine Luci zum letzten Mal gesehen hatte. Vor einem Jahr war er gegangen.
Heute vor 365 Tagen hatte er sie verlassen.
Ihm war damals nicht einmal in den Sinn gekommen, dass er sie verlieren könnte. Nicht eine einzige Sekunde, hatte er daran gedacht. Für Madox war sie immer da gewesen, nie hatte er Angst haben müssen, dass sie plötzlich verschwinden würde, dass sie ihn verlassen könnte. Oh nein, das hatte er selbst ihr angetan, dachte er bitter. Wenn er nun zurückschaute, hätte er seinem jüngerem Ich am liebsten eine reingehauen!
Er war so dumm gewesen, naiv, hatte alles für selbstverständlich gehalten. Hatte sie für selbstverständlich gehalten. Der Gedanke, dass sie irgendwann in seinem Leben nicht mehr da sein würde, hatte seinen Verstand nicht einmal gekreuzt. Dadurch, dass er von ihrer Seele zum letzten Mal vor einem Jahr gekostet hatte, war nun schon jede Positivität aus seinem Leben gewichen. Nur die negativen Gefühle blieben zurück, diese Hälfte seiner Seele. Verzweifelt schlug er mit seiner Hand an die Wand. Wieso hatte er sein völlig fehlplaziertes Ego nicht ein einziges Mal herunterschlucken können?
Als ihn Sancho so verhöhnt hatte, war bei ihm einfach etwas durchgegangen. Er war viel zu stolz gewesen, um diese Herausforderung nicht anzunehmen. Sancho hatte damals nichts zu verlieren gehabt, er hasste sein Leben, hasste mich und Lucinda, hasste das Casa, hasste ihren Vater, hasste die ganze Welt.
Er war immer nur geblieben, da er genauso stolz und stur war wie Madox.
Alles hatte Madox gehabt, das Mädchen, dass er mehr liebte als sein Leben, ein glückliches Leben, das Casa und das Dorf, eine wundervolle Zukunft - weggeworfen um sich vermeintlich seiner Männlichkeit zu beweisen.Was für eine Idiotie.
Wieder und wieder schlug er auf die Wand ein. Er musste sie wieder bei sich haben.
Er musste!
Die Ungewissheit und Angst um sie, gepaart mit den Schuldgefühlen brachten ihn um. Diese Gefühle hätte sein Fluch gerne nehmen können.
„Madox? Alles in Ordnung?", Javier's Stimme klang gedämpft durch die Tür.
„Alles gut, Javier."
Er liess sich auf das Bett fallen. Sie waren nun schon seit fast zwei Wochen in dieser elenden Stadt, in diesem elenden Hotel, in diesem elenden Land!
Nichts hatten sie bis jetzt gefunden. Seine Spitzel hatten berichtet, dass sich auch Sancho und seine Männer hier in dieser Stadt befanden. Am liebsten hätte er jedes Gebäude, jede Gasse nach ihm abgesucht, so dass er ihm endlich sein wertloses Herz herausreissen konnte. Doch truppenmässig waren sie Sancho noch unterlegen. Nachdem er von der Rückeroberung des Dorfes und des Casa's gehört hatte, hatte er nun alle Männer um sich geschart. Im Moment war er selbst für Madox unantastbar.
Wie konnte seine Luci, seine unschuldige, kleine Lucita so weit gekommen sein?
Wie war es möglich, dass sie überhaupt in die Staaten reisen konnte? Hatte sie alles aus langer Hand geplant? Doch wo war sie hin, was war ihr Ziel gewesen? Er wusste, dass sie über keinen Reisepass verfügte. Wie zur Hölle also konnte sie einreisen? Diese Fragen quälten ihn, seit er wusste, dass sie irgendwo in den USA war.Um sich abzulenken, trieb er so viel Sport, wie noch nie zuvor. Madox reagierte sich an seinem Boxsack ab, in der Vorstellung es wären Sancho's Männer, aber nie sein Bruder selbst. Mit ihm hatte er etwas anderes vor.
Etwas sehr viel Schmerzhafteres.
Er war nun körperlich wieder komplett hergestellt. Die Narben auf seiner Brust und auf seinem Rücken würden bleiben, doch endlich fühlte er sich wieder voll einsatzfähig.
Er schlug zum wiederholtesten Mal auf den Boxsack ein.
Links, Rechts, Kick. Links, Rechts, Kick. Links, Rechts, Kick.
„Boss, Madox!"
Verschwitzt fuhr er herum, vor ihm stand Rafael. Er wollte eigentlich nicht, dass sie ihn mit Boss oder Don ansprachen, jedoch gewöhnten es
sich meine Männer einfach nicht ab.„Was ist?", fragte Madox barsch und wickelte die Bänder von seinen Händen. Er fuhr sich durch das feuchte Haar.
Rafael zögerte kurz: „Ich glaube, wir haben was."
Madox' Herz blieb stehen. Sie hatten was.
Endlich.
Er antwortete nicht, rannte nur aus dem Trainingsraum auf das Zimmer zu, wo sie ihre Kommandozentrale eingerichtet hatten.
„Wo ist sie?", brüllte er, ein paar Köpfe fuhren herum, doch die meisten blieben unbeeindruckt von seinem Ausbruch. Sie waren es sich bei Madox schon gewöhnt.
„Soweit sind wir noch nicht", meinte Ramón hektisch, „aber wir wissen nun, wer ihr geholfen hatte zu fliehen. "
Madox spannte sich an. Auch wenn er demjenigen eigentlich dankabr sein sollte, hasste er die verantwortliche Person auch, da sie durch ihn noch weiter von ihm weggebracht wurde. Eine Woche später und er hätte sie jetzt schon wieder in den Armen halten können.
Als er sprach war seine Stimme ruhig, tief und schneidend: „Wer war es?"
Ramón drehte sich im Stuhl zu ihm: „Mariana und Fernando Pepe."
Madox nickte nachdenklich, die Wut drängte er zurück. Beide waren Vertraute von Charity, Luci's Mutter. Sie waren mit ihr auf's Casa gekommen, was hiess, dass sie zu allererst ihr loyal gegenüber waren.
„Wo sind sie jetzt?"
„Fernando Pepe ist bei Sancho's Übernahme umgekommen, Mariana sollte noch im Casa oder im Dorf sein."
„Bringt sie her. Ich will mich mit ihr unterhalten", forderte er gefährlich leise.
Ramón nickte, griff zum Hörer und führte ein kurzes Gespräch.
„Sie wird morgen hier sein", teilte er Madox mit.
Dieser nickte: „Gut. Wie seid ihr auf sie gekommen?"
„Ohne unser Wissen wurde alle paar Jahre ein Umschlag aus den USA ins Casa gesandt, sie haben es abgefangen. Deine Männer haben ein Versteck hinter einer Wand gefunden, dort waren Pässe für Lucinda, in unterschiedlichem Alter und Namen. Der, der ihrem Alter jetzt entsprechen würde, ist weg. Das erklärt dann wohl auch, wie sie einreisen konnte."
Ihre Mutter musste sich abgesichert haben, dass Luci immer einen Weg hatte zu fliehen, anscheinend hatte sie gute Kontakte gehabt. Hatte seine Luci davon gewusst? Bestimmt nicht, sie hatte ihm alles erzählt, so etwas hätte sie niemals vor ihm verheimlicht. Auf keinen Fall.
Vielleicht konnten sie nun herausfinden, mit welchem Namen Luci eingereist war.
Er atmete tief ein, sie würden sie finden. Er würde sein Mädchen schon bald wieder in die Arme schliessen können.
Doch zuerst... Zuerst würde er die Information aus Mariana herausbekommen müssen und irgendetwas sagte ihm,
dass sie dies nicht freiwillig tun würde.
DU LIEST GERADE
love haunts - hate too
Teen FictionLucinda floh von ihrem alten Leben und ihrem Zuhause in Mexico. Zu gross war die Gefahr, zu schmerzhaft die Wunden. Bei der besten Freundin ihrer Mutter in den USA hofft sie ein neues Leben unter dem Namen Harlow beginnen zu können. Doch nicht nur...