The Spare

2. The Spare

In Gedanken versunken streicht Neville über seinen linken Unterarm, wo das Dunkle Mal unheilverkündend pocht. Draco hatte ihn bereits auf die Zeremonie vorbereitet und daher schaffte er es, nicht mit der Wimper zu zucken, als ihn der stechende Schmerz durchfuhr. Selbst Lestrange nickte beeindruckt.

Bellatrix Lestrange...

Die Zeremonie ist nun fünf Tage her und seitdem wohnt Neville in Malfoy Manor, zusammen mit den Malfoys und - Lestrange. Anfangs fiel es ihm schwer, mit dieser Person in einem Raum zu sein, mittlerweile macht es ihm nichts aus. Das Schlimmste an der Sache ist die Erkenntnis gewesen, dass Neville keinen Hass oder keine Abneigung gegenüber dieser Frau verspürt... sondern Ehrfurcht und echte Bewunderung. Bellatrix ist ein Monster ja, aber genau das macht sie so stark, so gefährlich. Sie hat genau die Ausstrahlung, die Neville sich schon seit seiner Kindheit wünscht. Sein Leben lang wurde ihm weisgemacht, er müsse diese Frau hassen, wegen dem, was sie seinen Eltern angetan hat, jedoch hat er dies nie eingesehen. Waren seine Eltern nicht irgendwo selbst schuld gewesen? Wären sie auf der richtigen Seite gewesen, wäre ihnen so etwas nie zugestoßen.

In der Hand hält er noch immer den Zettel, den er vorhin beim Auspacken seiner letzten Sachen aus dem Koffer (welcher nur einem Tag nach seiner Anreise herbeigeholt wurde) gefunden hat. Es ist die Teilnehmerliste der DA aus dem fünften Schuljahr. Neville lacht immer noch über sich, wenn er daran denkt, wie er sich als einer der ersten freiwillig meldete, Mitglied zu werden. Harry ließ ihn  als Letztes unterschreiben, die Tatsache, dass Neville ihn so stark unterstütze, hatte für ihn keinen Wert. Das Pergament in Nevilles Hand wurde vollständig von Granger verfasst. Sie hatte sich die Teilnehmerliste angesehen und eine Rangfolge mit verschiedenen Titeln erstellt. Immer wieder sieht sich Neville seinen Titel an und spürt jedes Mal auf Neue, wie die Wut in ihm hochkommt. Nevilles Name steht dort unter dem Stichwort the Spare. Das Ersatzteil. Dies war die Aufgabe, die Neville in Dumbledores Armee innehatte. Sollte einer der Anderen aus welchen Gründen auch immer daran gehindert sein, seine Aufgabe zu erfüllen, musste Neville einspringen. Harry hat damals versucht, Nevilles Enttäuschung – welche man nun wirklich nicht übersehen konnte - mit den Worten „Du musst dich selbst wie einen Joker sehen Neville, du bist im Prinzip das Multitalent, welches alles irgendwie können muss" aufzuheben. Es funktionierte natürlich nicht.

An diesem Tag merkte Neville, dass er etwas ändern musste. Er hatte es genug, ein Ersatzteil zu sein. Er wusste, dass er besser als sie alle sein konnte, aber dazu brauchte er Hilfe. Zuerst wusste Neville nicht, wo er diese Hilfe bekommen könnte, als er jedoch am Ende des fünften Schuljahres den Kampf zwischen Dumbledore und Voldemort mit angesehen hatte, fiel es ihm wie Schuppen vor die Augen. Er hatte verstanden, dass es nur eine Möglichkeit gab, Harry zu zeigen, dass er ihn unterschätzt hatte – indem er sich als Todesser bewies. Direkt am Anfang des sechsten Schuljahres wandte er sich an Draco. Dieser blockte anfangs ab, Neville schaffte es dennoch irgendwie, Informationen über die Aufgabe, die Voldemort Draco gegeben hatte, zu erhalten. Er beschloss, Draco zu helfen und schaffte es sogar, das Verschwindekabinett zu reparieren. Innerhalb weniger Monate wurde sein ehemaliger Erzfeind Draco Malfoy zu dem besten Freund, den er je hatte.

Genau dieser ist es jetzt auch, der an seine Tür klopft. Schnell versteckt Neville das Pergament hinter seinem Rücken. „Komm runter, wir Essen. Die Versammlung beginnt direkt danach", sagt er und verschwindet wieder, nachdem Neville zustimmend nickt. Ein letztes Mal schaut er auf den Zettel, so als wolle er sich die Wörter, die Granger mit Bedacht geschrieben hatte, einprägen. Er steht auf und macht sich auf den Weg zu dem Esszimmer/Versammlungszimmer der Malfoys. Dort angekommen geht er zuerst auf den großen, prunkvollen Kamin zu, welcher irgendwie immer brennt und wirft das Pergament Mitten in die Flammen.

„Ich werde nie wieder the Spare sein", flüstert er, während er zusieht, wie das Stück Pergament langsam verbrennt und letztendlich ganz verschwindet. Fast hat er die Familie vergessen, die dort an dem Tisch sitzt und ihn gebannt mustert. „Hast du etwas gesagt, Neville?", fragt Lestrange. Ein wenig seltsam ist es schon, seinen Namen aus ihrem Mund zu hören. Ihre Stimme holt ihn aus seiner Trance heraus. Ruckartig wendet er den Blick von den Flammen ab und sieht ihr in die Augen. Sie war früher sicherlich sehr hübsch gewesen, bemerkt Neville an diesem Tag zum ersten Mal, jedoch hatten 14 Jahre Askaban ihr Gesicht entstellt. „Nein, ich habe nichts gesagt", antwortet Neville und setzt sich nun doch zu den Anderen. Sein Platz ist neben Draco und direkt gegenüber von Lestrange.

„Was hast du in die Flammen geworfen?", fragt Draco neugierig. Neville schaut zuerst Lucius an, welcher in den letzten Tagen mehr als deutlich gemacht hat, wie sehr er die Freundschaft zwischen seinem Sohn und Longbottom (er weigert sich, ihn Neville zu nennen) missbilligt. Besonders, dass Draco durch Neville seine Manieren verliere und am Essenstisch unnötig rede, ginge gar nicht. Doch dieses Mal sagt Lucius nichts zu Dracos Frage. Neville geht davon aus, dass Lucius selber neugierig ist und daher seinen Sohn nicht unterbricht.

„Erzähle ich dir später", antwortet Neville zwinkernd und kann ein Lachen nur mit Mühe unterdrücken, da er aus den Augenwinkeln sieht, wie genervt Lucius von dieser Antwort ist.

„Beeilt euch Jungs, die Versammlung wird bald beginnen", ermahnt Narcissa die beiden. Schnell isst Neville ein bisschen von seinem Hauptgang. Die Vorspeise hatte er anscheinend schon verpasst (im Hause Malfoy wartete man auf Niemanden). Kaum hatte der Hauself den Tisch mit einem Schwenker sauber gemacht, hört man von außen schon die Schritte der sich nähernden Todesser. Snape betritt den Raum als Erster und grüßt alle mit einem Nicken. Es folgen Dolohow und Nott und noch bevor Neville sie alle einzeln begrüßen kann, ist der Tisch bereits voll mit (teils maskierten) Menschen. Noch bevor sie mit dem Smalltalk beginnen können, öffnet sich die Tür erneut und der Dunkle Lord betritt den Raum. Sofort sind sie alle still.

„Nott, wechseln Sie den Platz mit Longbottom", sagt er, sobald er sich an seinem Stammplatz niedergelassen hat. Wow, denkt sich Neville, meine erste Versammlung und ich darf schon neben dem Lord sitzen. Es gibt ein kurzes Quietschen, als Neville und Nott aufstehen, um die Plätze zu wechseln. Kaum hat sich Neville neben dem Dunklen Lord niedergelassen, fängt dieser auch schon an, zu reden: „Wie ihr wisst, ist Potter mittlerweile bei einem Mitglied des Ordens untergekommen. In zwei Tagen wird er 17, was bedeutet, dass er die Spur verlieren wird. An diesem Tag müssen wir ihn fassen, denn er wird sich sicherlich danach nicht mehr lange dort verstecken, sondern fliehen. Hat einer von euch eine Idee, wo Potter sein könnte?"

„Bei den Weasleys", meldet sich Lucius Malfoy sofort zu Wort. Es folgt zustimmendes Gemurmel. Nur Neville schüttelt als Reflex den Kopf. Er hofft, dass es niemand gesehen hat, doch dann wendet sich Voldemort an ihn. „Wieso glaubst du nicht, dass Potter sich dort verstecken würde?" Alle schauen sie gebannt zu Neville, welcher jedoch nur Augen für den Dunklen Lord hat. „Herr", sagt er langsam und wählt seine Worte mit Bedacht, „es ist zu offensichtlich. Die Weasleys sind die Familie, bei denen Potter immer Zuflucht gesucht hat. Glaubt Ihr nicht auch, dass er dieses Mal ein anderes Ordensmitglied mit seiner Anwesenheit beglücken würde?"

„Es kann jedoch auch sein", sagt nun Draco, „dass Potter genau deswegen die Weasleys aufsucht, weil er davon ausgeht, dass wir so denken wie du, Neville." Das macht Sinn und sehe Potter auch ähnlich, muss Neville zugeben. Und doch wird er das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas Wichtiges außer Acht lässt.. irgendetwas Essentielles... Plötzlich fällt es ihm ein. Er versucht seine Mimik schnell zu kontrollieren, doch sie haben es alle gesehen, das weiß er.

Also wendet er sich direkt an den Dunklen Lord: „Herr, Potters Geburtstag ist übermorgen, also am 31.07. Ich erhielt vor einigen Wochen eine Einladung... zur Hochzeit von Fleur Delacour und Bill Weasley, welche nur ein Tag später stattfinden wird."

„Fleur heiratet ernsthaft diesen entstellten Trottel?", rutscht es Draco heraus. Alle schauen zu ihm herüber und er errötet. Mit einer Handbewegung bedeutet er Neville, weiterzureden. „Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, mein Freund", muntert er Draco auf, „jedoch ist es für unsere Zwecke etwas Gutes, da es die perfekte Gelegenheit bietet, Potter aufzuspüren. Es gibt nur einen Haken", beendet er seine Rede.

„Und der wäre?", fragt Lestrange. Neville hatte sich im Stillen schon darüber gewundert, dass sie bisher nichts gesagt hatte.

„Natürlich wurde dieser Ort, genau wie das Haus von jedem Ordensmitglied auch mit dem Fidelius-Zauber geschützt. Ja es war im Garten der Weasleys, aber wo genau das ist, stand nicht auf der Karte. Jeder Gast, der kommen wolle, solle sich persönlich mit dem Geheimniswahrer –Arthur Weasley – in Verbindung setzen."

Neville hatte beim Reden die ganze Zeit nur Voldemort angesehen, wurde aber mit jedem Satz leiser. Er weiß , was Voldemort von ihm verlangen wird.. Tatsächlich hat der Dunkle Lord bei Nevilles letzten Worten angefangen, amüsiert zu grinsen.

„Nun Neville", sagt Voldemort immer noch grinsend, „bist du bereit, der nächste Peter Pettigrew zu werden?"