Die Eröffnungsfeier

32 4 0
                                    


Ich sah mich um, beeindruckt und verblüfft gleichzeitig. Es sah alles so anders aus, als ich es gewöhnt war. Die große Stadt unterschied sich enorm von der Heimat, in der ich aufgewachsen war. Riesige Häuser, die in den Himmel empor ragten. Eiserne Brücken, die über breite Flüsse führten. Laute Fahrzeuge, die sich durch die Gassen schlängelten. Straßen, die an Einkaufszentren und beleuchteten Bars vorbeiführten. Einige Minute wanderten wir durch die asphaltierten Seitenstraßen, als sich in einem Gebäude vor uns eine automatische Tür öffnete. Ich trat nach Emma ein, in einen Gang, der zu der Eröffnungshalle führte. Dort standen zwei wunderschöne, rein weiße Schimmel, an einen kleinen, bronzefarbenen Wagen gespannt. Sie würden alleine laufen, ohne dass jemand die Zügel halten oder sie lenken musste. Jeder Wagen wurde von zwei Pferden gezogen, so hatte ich es immer im Fernsehen gesehen. Mein gesamtes Team wartete dort, einschließlich Leon. „Denkt dran, lächeln, ihr beiden! Ihr seid jetzt die Stars, klar?", erinnerte uns Cora eifrig. Leon und ich nickten. „Wir sehen uns nach der Eröffnungsfeier! Viel Glück!", rief uns Jack nach, ehe er, Cora, Angelina und Emma zu den Tribünen liefen, von wo die Kapitol-Bewohner uns zusehen würden. Als Leon und ich auf den Wagen stiegen, auf dem gerade mal so zwei Personen Platz fanden, setzten sich die Pferde sofort in Bewegung. Wir standen Schulter an Schulter, und lauschten dem Getrappel der Hufe, die am Boden klackerten. „Du siehst hübsch aus.", meinte Leon leise und wies mit dem Kopf auf das Kleid. „Danke.", erwiderte ich. „Du aber auch." Er trug eine elegante, blaue Hose, ein dunkelblaues Hemd, dessen erster Knopf geöffnet war, und dazu-sie passte gut zu unserer Erscheinung- die Kette mit dem blau-türkisen Edelstein. Seine Haare waren auch gewaschen worden und glänzten nun dunkelbraun, seine Haut schimmerte leicht und wirkte in dem Licht bronzefarben.

Wenn ich uns in einem der übergroßen Spiegel, die an der Seite im Publikum standen, sah, konnte ich es mir gar nicht anders vorstellen, als dass wir den Leuten hier auffielen. Leon war einen Kopf größer als ich, und mit dem Hemd und der Frisur sah er fast so aus, als ob er im Kapitol leben würde. Reich, stark und entschlossen. Und ich wirkte tatsächlich so, wie Angelina es mir versprochen hatte: geheimnisvoll und wunderschön zugleich. Ich bemühte mich um ein überzeugendes Lächeln und winkte probehalber dem Spiegel entgegen. Zufrieden stellte ich fest, dass ich nicht wie eine verarmte, allein gelassene Marionette aussah, sondern wie eine reiche und siegessichere Tributin, die alles tun würde, um die Menschenmassen für sich ein zu nehmen.

Die Pferde waren am Anfang des langen Ganges zwischen den Tribünen des Publikums stehen geblieben. „Die Outfits der Tribute sind immer zueinander abgestimmt.", bemerkte Leon. Als er sich zu mir beugte, erkannte ich, dass er eine Art Duftwasser trug, das ihm Cora aufgetragen haben musste. Ich sah zu den anderen Pferdewagen, die nach der Reihe ankamen. Im Fernseher, der im Zug war, hatten Leon und ich uns alle Ernten angesehen, von ein paar Tributen hatte ich die Namen behalten. Die meisten standen noch abseits der Wagen und unterhielten sich mit ihren Stylisten und Mentoren. Leon hatte Recht. Die Tribute auf dem Wagen mit der Nummer 13 waren in silberne, schimmernde Gewänder umhüllt, und die aus dem 9., Kelvin und Amy, trugen beide hautenge, schwarzen Kleidungen, in denen man sicher kein bisschen Luft bekam. Tatjana und Marcel aus dem 7. Distrikt wurden wie Krieger dargeboten. Tatjana's dunkelbraune Haare waren aufgesteckt und ihr weißes Kleid glich dem einer römischen Königin. Marcel's blonde Mähne war vermutlich mit Gel zu Seite gebracht worden, denn jetzt hing sie ihm nicht mehr über sein linkes Auge, wie ich es bei der Ernte im Fernseher gesehen hatte. Außerdem trug er einen golden - schimmernden Umhang, wie ein Gladiator. Die zwei Kleineren aus dem 10. sahen beeindruckend aus. Das Mädchen hatte ein zartes, grünes Kleid mit wunderschönen Zeichnungen darauf, ihre langen Haare waren geflochten worden, und gingen ihr bis zur Hüfte. Der blonde Junge trug ein dunkelgrünes Hemd mit Knöpfen aus weißen Brillanten. Bei dem Mädchen musste ich unwillkürlich an eine Elfe denken. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie alt sie war. 10? 11? Auf jeden Fall viel zu jung für die Spiele. Aber ... war nicht jeder hier zu jung um zu sterben?

Endless Hope ~ Die 36. ArenaspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt