Trug oder Wahrheit?

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Zarte Nebelschwaden hingen in der kristallklaren Luft. Ich saß mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt, eine Decke lag auf mir und schenkte meinen eiskalten Muskeln etwas Wärme. Bunte Vögel schwirrten in der Luft umher, ihr Zwitschern wurde vom Wind weitergetragen. Vereinzelte Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg zwischen die Berggipfel und schimmerten durch den Nebel.

Ich starrte geradeaus, doch mein Blick war verschlossen für die Schönheit der Landschaft. Alles, woran ich denken konnte, war die Frage, wie ich es schaffen sollte, die Spielmacher, den Präsidenten sowie gesamt Panem zu überzeugen, dass Leon und ich nur Freunde waren, unschuldig, dass wir es uns verdient hatten, am Leben zu bleiben.

„Emilia, ich habe sie gefunden!" Jake tauchte aus dem Dunst auf und sah erleichtert aus, als er mich erkannte. Seine dunkelblonden Haare waren verlegt vom Schlaf und sein Blick zeigte Erleichterung. „Eva, wir haben dich überall gesucht." Er hockte sich neben mich und nahm meine Hand. „Wir schaffen das. Leon ist immer noch in unseren Team! Was würde er sagen, wenn er jetzt hier wäre?" „Gebt nicht auf und glaubt an euch.", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Jake hatte Recht. Leon hatte Recht. Aufgeben war keine Option.

Als wir beim Lager ankamen, erhob sich Emilia. „Ich gehe jagen.", sagte sie leise, packte ihren Bogen und lief in den Wald. Es tat mir weh, sie leiden zu sehen, denn sie hatte Leon vertraut, ihn gemocht, für ihn gekämpft Er hatte sich wegen ihr in Gefahr gebracht, hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass er getötet werden konnte, um ihr und auch mir zu helfen. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Jake setzte sich neben mich und legte sanft die Arme um mich. „Es ist alles meine Schuld! Wegen mir hatte er die Karrieros hinter sich, die ihn umbringen wollten und immer noch Rache wollen. Er hat mir geholfen, Emilia zu finden, obwohl er sterben hätte können. Er hat mir das Leben gerettet, und jetzt? Es ist meine Schuld, dass es so gekommen ist. Ich habe mir geschworen, dass er lebend rauskommt, aber ich habe versagt. Flash wird ihn umbringen, Jake." Nun versagte meine Stimme endgültig und ich weinte hemmungslos in sein Hemd. Er strich mir nur beruhigend über den Rücken und murmelte mir leise Worte zu. „Als wir auf der Suche nach dir waren, hat er mir erzählt, dass er dasselbe Versprechen abgelegt hatte. Dass du als erstes aus der Arena kommst. Eva, wir schaffen das. Okay?" Er drückte mich tröstend an sich. „Wie denn?", flüsterte ich und unterdrückte weitere Tränen. Ich löste mich von ihm und sah ihm verweint in die Augen. „Indem wir Blake beweisen, dass du dich nicht davon unterkriegen lässt!" Er hatte die Hand über seine Lippen gelegt, dass er nicht so laut war und die Kameras Mühe hatten, ihn aufzunehmen. „Wir müssen stark bleiben! Zusammen." Ich schluckte und nickte tapfer. „Du hast Recht." Er nickte und wir standen beide gleichzeitig auf. „Ich glaube, ich gehe auch jagen.", meinte ich. Er nickte. „Ist gut. Ich wird in der Nähe der Höhle Fallen aufstellen, und mit etwas Glück haben wir heute Abend volle Bäuche." Ich ging zum Eingang, und drehte mich kurz davor noch einmal um. „Danke, Jake." Er lächelte und ich erkannte, was ich längst erkennen hätte müssen. Ihn konnte ich auch nicht zurücklassen. Doch wie sollte ich es schaffen, drei Tribute aus den Spielen zu bekommen?

Präsident Blake saß in einem riesigen Salon, der sein Wohnzimmer war und grinste schadenfroh. Er hatte sein Ziel erreicht. Eva und Leon waren nun getrennt und auf sich gestellt. Das Kapitol hatte verblüfft auf seine Idee reagiert, aber er war sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Noch nie in all den Jahren, es waren mittlerweile 36, war es vorgekommen, dass sich zwei Tribute aus demselben Distrikt so nah waren. So etwas durfte nicht geschehen, denn die Leute in den Distrikten könnten ihre Hoffnung in die jungen Leute setzen. Er vernahm ein Klopfen an seiner Tür. „Herein.", rief er mit tiefer Stimme. Jack Stone kam herein. „Guten Tag, Präsident Blake. Entschuldigen Sie die Störung, doch ich muss mit Ihnen reden." Blake grinste und bedeutete Jack, sich auf seine Couch zu setzten. „Ich dachte mir, dass Sie irgendwann zu mir kommen würden." Jack räusperte sich. „Lassen Sie meine Tribute am Leben, ich bitte Sie. Sie können sie für einige Zeit noch getrennt halten, aber irgendwann werden sie sowieso zusammen finden." „Sie wollen mir also vorschreiben, was ich zu tun habe?" „Nein, keineswegs. Ich bitte Sie darum. Aber, sehen Sie es doch mal so: Wenn zum Beispiel Leon nach Hause kommt, wie lange wird es dauern, bis Distrikt 3 Rache für Eva's Tod will? Ich weiß, dass die Spiele so funktionieren, wie sie sind, aber einen Aufstand deswegen riskieren? So wie vor vielen Jahren? Ist es das wert?" Blake's Augen verrenkten sich zu schlitzen. „Da haben Sie allerdings Recht, Jack. Denken Sie denn, dass es soweit kommen würde?" Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, dass Leon nicht tatenlos zusehen würde, er würde früher oder später handeln. Und Sie wissen, wozu das führen könnte." Blake stand auf und sah aus dem Fenster. Das grelle Sonnenlicht wurde von den eisernen Hochhäusern zurückgeworfen. Blitzartig drehte sich der Präsident um und fixierte den Mentor mit den Augen einer Schlange, die sich gleich auf ihre wehrlose Beute stürzten würde. „Es liegt an den Spielmachern, wen sie leben lassen, und wen nicht. Die Entscheidung liegt nicht bei mir. Ich habe bereits angeordnet, was zu tun ist. Sollten sich Leon und Eva tatsächlich trotz der Drohung verbünden wollen, sind sie selbst schuld." „Wie meinen Sie das?" „Ich meine, wenn sie sich verbünden, dann riskieren sie, dass ich einen von ihnen töten lasse! Und jetzt raus!" Jack nickte Blake noch einmal zu, dann verließ er den Raum. Natürlich lag es letztendlich am Herrscher Panem's, wer aus dem Spielen kam, und wer nicht. Das war nur eine faule Ausrede, dachte Jack und sah auf den Bildschirm auf seinem Schreibtisch. Emilia und Jake waren da, sie gingen in einen Laubwald und stellten Fallen auf. Etwas weiter entfernt schlich Eva mit gespanntem Bogen durch das Unterholz und hielt Ausschau nach Beute. Ein Knopfdruck genügte, und das Bild schlug um. Ein großer Junge lag im Gras neben ein paar Felsen und beobachtete die Meute der Karrieros. Ich wandte mich ab und verschloss die Tür. Was sollte ich nur ihren Familien erzählen, wenn meine Tribute nicht überlebten? Dass es die Schuld des Präsidenten sei? Nein, das konnte ich nicht äußern. Ich seufzte und setzte mich an mein Bett. Es gab nur einen Weg. Ich musste Leon und Eva vertrauen, dass sie das Richtige taten.

Endless Hope ~ Die 36. ArenaspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt