Kapitel 8

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Während dem Rest der Fahrt nach Hause war es relativ ruhig – zumindest im Wagen. In meinem Kopf hingegen herrschte das reinste Chaos. Es war, als wäre eine Art Kampf ausgebrochen. Eine Stimme mahnte, ich solle keinen Unsinn machen, er sei mein Fahrer und das würde niemals gut gehen. Die andere meinte, ich solle es passieren lassen (war ja nicht so, als sei es nicht bereits passiert) und einfach mal schauen, was daraus wird. Falls überhaupt etwas daraus wird.

„Genug!", zischte ich nur für mich hörbar und griff mir an den Kopf.

Hitze stieg mir ins Gesicht, als ich Mr. Roboters Augen auf mir spürte. Als ich meinen Blick hob, bemerkte ich, dass wir bereits vor unseren Eingangstor hielten. Mit zitternden Fingern fischte ich mein Handy aus meiner Tasche und öffnete das Tor.

„Ich bin gleich wieder da", sagte ich schließlich.

Ohne auf eine Antwort zu warten, sprang ich aus dem Wagen und sprintete in mein Zimmer. Für eine Dusche hatte ich leider keine Zeit, deshalb zog ich mir nur frische Klamotten an, wusch mir das Gesicht und band mir das Haar zu einem ordentlicheren Dutt zusammen. Während ich all dies tat, hatte ich ständig Mr. Roboters Lächeln vor Augen. Kein Kopfschütteln und kein Fluchen half es aus meinem Gedächtnis zu verbannen.

Da ich mich beeilte, dauerte es nur wenige Minuten bis ich wieder unten war. Herr Mehmeti stand am Wagen und wartete auf mich, aber irgendwas an seiner Haltung war plötzlich anders. Er stand nicht mehr ganz so kerzengerade da als wäre er beim Militär. Auch sein Gesichtsausdruck schien nicht so emotionslos wie sonst. Wenn ich mich nicht täuschte, lag sogar der Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen, das jedoch sofort verschwand als er mich sah. Irgendwas hatte sich seit gestern Nacht geändert. Ich spürte es. Und auch er schien es zu spüren.

Erst nachdem er mir die Tür aufhielt und wir beide im Wagen saßen, fragte er, wohin es gehen sollte. Ich nannte ihm die Adresse und lehnte mich zurück. Überraschenderweise stellte ich fest, dass mein Herzrasen diesmal absolut nichts mit meiner Angst vor Autofahrten, sondern vielmehr mit der Präsens meines Fahrers zu tun hatte.

„Darf ich fragen, wie es dazu kam, dass Sie einen Fahrer brauchen?"

Die Frage kam unerwartet, aber irgendwie freute es mich, dass er ein Gespräch aufnahm.

„Ich bin vor ein paar Monaten an einen Unfallort vorbeigefahren. Genau genommen habe ich angehalten und hab dabei zugesehen, wie ein Auto abgebrannt ist. Klingt alles nicht so schrecklich, oder? Aber es war viel schlimmer als es sich anhört, weil im Auto eine Person feststeckte und ... na ja. Den Rest kann man sich denken."

Ich räusperte mich und schloss die Augen, da plötzlich alles wieder hochkam. Galle stieg mir in die Kehle, und ich hätte schwören können, dass ich verbranntes Menschenfleisch roch. Natürlich spielte mir mein Verstand bloß einen Streich.

„Das tut mir Leid ..."

Mehr sagte er nicht, obwohl es fast so aussah, als wollte er noch etwas hinzufügen. Es dauerte nicht lange bis wir schließlich unser Ziel erreichten. Ein Blick auf meine Armbanduhr zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Pünktlich – wie immer. Natürlich wurde mir erneut die Tür aufgehalten, bevor meine Hand überhaupt Kontakt mit dem Tür Knauf machen konnte. Statt die Geste erneut zu kommentieren, schenkte ich meinem Fahrer diesmal nur ein dankbares Lächeln.

„Ist ... ist das ein Kinderheim?", fragte er mich.

„So etwas in der Art", antwortete ich, machte eine einladende Handbewegung, dass er mir Folgen solle und ging voraus. „Die meisten Kinder hier sind Flüchtlinge, die ihre Eltern auf dem Weg hierher verloren haben. Auf welche Weise auch immer. Aber auch Kinder und Jugendliche aus der Sozialen Unterschicht schauen öfter mal vorbei, um eine warme Mahlzeit oder einfach nur einen Zufluchtsort zu finden."

Zwei Seiten der WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt