Kapitel 18

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Es gibt Momente, in denen man von unglaublicher Panik gepackt wird und der Schock so groß ist, dass man erstarrt – das hier war einer davon. Während ich in den Lauf dieser schwarzen Waffe blickte, versagte mein Körper. Ich war unfähig mich zu bewegen. Im Bruchteil einer Sekunde rauschte mein Leben vor meinen Augen vorbei.

„Rona, runter!", drang Lindons Stimme zu mir durch.

Plötzlich landete ich unsanft auf dem Boden, im selben Moment fielen zwei Schüsse. Bäuchlings lag ich da und stieß einen ersticken Schrei aus. Von meiner Position am Boden sah ich, wie der Wagen auf der anderen Straßenseite ins Rollen kam und dann so heftig aufs Gaspedal drückte, dass Staub aufkam.

„Oh mein Gott, oh mein Gott", flüsterte ich aufgebracht.

Mehrere Leute hatten sich mittlerweile um uns versammelt. Irgendjemand hielt mir eine Hand hin und half mir auf die Beine. Mein Herz klopfte so wild, ich fürchtete es würde mir aus der Brust springen. Als ich Lindons Blick fand, atmete ich erleichtert aus.

„Lindon!"

„Rona, geht's dir gut?", rief er besorgt und trat auf mich zu. Ich spürte eine warme, klebrige Flüssigkeit auf meiner Haut, als Lindon nach meinen Oberarmen griff. Einen Atemzug später stieg mir auch der metallische-süßliche Geruch in die Nase – Blut.

„Lindon?" Meine Stimme war nur mehr ein Flüstern. Obwohl ich panische Angst hatte nach der Ursache des Blutes zu schauen, senkte mein Blick sich doch automatisch. Ich zog scharf die Luft ein, als ich Lindons Blutgetränktes T-Shirt wahrnahm. „Du bist verletzt!"

Er schien seine Verletzung vor lauter Adrenalin selbst gar nicht bemerkt zu haben. Verwirrt zog er seine Augenbrauen zusammen und sah er an sich herab. Er hob sein T-Shirt hoch und betastete die Wunde. Das Blut war bereits durch den Bund seiner Jeans gesickert. Ein schmerzerfüllter, erstickter Laut entwich seiner Kehle. Lindon schwankte kurz, schaffte es jedoch auf den Beinen zu bleiben.

„Nur ein Kratzer", sagte er außer Atem.

„Nur ein Kratzer?" kreischte ich hysterisch. „Wir müssen ins Krankenhaus, sofort!"

Immer mehr Schaulustige trafen an. Keiner schien sich wirklich um Lindons Verletzung zu kümmern, keiner verspürte den Drang die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen. Stattdessen füllte leises Getuschel die Straßen. Zwei „Ausländer" die Deutsch sprachen und weiß Gott in was für krumme Dinge verwickelt waren, so wurden wir gerade angestarrt.

„Weg hier." Lindon packte mein Handgelenk und zog mich durch die Menschenmasse. Proteste blieben mir im Halse stecken. Zu überfordert war mein Gehirn. Was um alles in der Welt war gerade passiert? Ich traute mich nicht einmal die Frage auszusprechen, da ich die Antwort fürchtete. „Lirona, lauf schneller, wir müssen hier weg."

Ich riss mich los und blieb stehen. „Wohin denn? Du blutest! Du wurdest angeschossen, um Gottes willen! Wir müssen ins Krankenhaus, wir müssen –"

„Von hier verschwinden!", schrie Lindon dazwischen.

„Wir wurden auf offener Straßen angegriffen, wir sollten die Polizei rufen."

Geschockt sah ich mit an, wie Lindon in schallendes Gelächter ausbrach. Er verzog schmerzerfüllt das Gesicht und hielt sich die Seite, brauchte aber mehrere Sekunden um aufhören zu Lachen. „Du willst die Polizei einschalten? Vielleicht sind die so nett und fahren uns direkt in die Hände dieser Bastarde." Lindon stoppte kurz. Er nahm meine Hand und sah mir tief in die Augen. Gänsehaut durchfuhr mich. „Du weißt genauso gut wie ich, wer dafür verantwortlich war. Wir sind nicht in Deutschland, Lirona. Hier ist nicht garantiert, dass die Polizei auf unserer Seite ist, verstehst du das? Ich kann das nicht riskieren. Und im Krankenhaus werden sie quasi auf uns warten."

Zwei Seiten der WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt