Kapitel 6

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Mit Delfi im Schlepptau betrat ich das Roller.

Die Schule war endlich vorbei. Meine Gedanken schweiften zu den schrecklichen Stunden.

Einige lästerten über mich, andere schauten mich mitleidig an. Ich wusste nicht, was von beidem ich schlimmer fand.

Jazmin sagte nur etwas in Richtung: 'Deine Haare sahen da ja furchtbar aus". Delfi fragte mich zwar, wie es mir ginge, jedoch hatte sie dabei ein dickes Grinsen auf den Lippen.

Auch Matteo erkundigte sich nach meinem Empfinden, doch ich machte ihm schnell klar, dass ich auf sein heuchlerisches Verhalten überhaupt keine Lust hatte.

"Setzten wir uns dort rüber?" fragte Delfi und zeigte dabei auf einen Tisch in unserer Nähe. Ich zuckte mit meinen Schultern und fasste mir dabei an meine Sonnenbrille, die ich seit heute Morgen trug, um meine roten Augen zu kaschieren.

Es sollte niemand wissen, dass ich geweint hatte. Den Grund dafür erst recht nicht. Ich wollte es einfach nicht.

Zusammen mit Delfi liess ich mich an dem Tisch nieder. Ich spürte förmlich, wie ich angestarrt wurde.

"Weisst du Delfi..." wollte ich ein Gespräch anfangen, wurde aber von meiner Freundin unterbrochen.

"Ouh, dort ist Pedro mit... seiner Freundin. Das kann doch nicht sein" stellte sie empört fest und schaute auf einen Punkt hinter mir. Hatte sie mir überhaupt zugehört?

Schnell stand das braunhaarige Mädchen auf und huschte davon. Ich seufzte.

Schön, dass meine Freundinnen so hinter mir standen. Doch ich hatte es verdient, dass sie mich so im Stich liessen. Ich meine, ich konnte froh sein, dass sie überhaupt meine Freundinnen waren.

"Hey Ambar" begrüsste mich wie aus dem Nichts eine männliche Stimme und ich sah zu ihm auf. Seine schwarzen Haare waren unordentlich unter einer Mütze und er sah müde aus.

"Eine Cola, obwohl nein, ich nehme lieber ein Glas Wasser mit Sprudel. Da wäre es mindestens nicht ganz so schlimm, wenn wieder ein Unfall passieren würde." sagte ich kalt und schaute dann von ihm weg.

"Ambar, es...". Seine Stimme brach ab und seufzend setzte er sich an meinen Tisch. Was wollte er von mir?

"Die ganze Sache tut mir echt unendlich Leid. Ich hab die Kommentare gesehen und... du kannst dir nicht vorstellen wie schlecht ich mich wegen des Ganzen fühle. Ich würde es so gerne wieder irgendwie gut machen, aber ich weiss nicht wie." erklärte er mir traurig und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen.

Meinte er das ernst? Konnte ich ihm trauen? Nach der Sache gestern hatte er mich verteidigt, aber andrerseits war er ja auch an dem ganzen Schlamassel schuld.

"Simon, was andere über mich sagen, ist mir egal. Sollen die doch über mich lästern, das machen sie doch eh nur, weil sie neidisch auf mich sind". Meine Stimme wurde lauter und ich versuchte arrogant zu klingen.

"Du musst mich nicht anlüge. Ich sehe doch wie hart es dich trifft" flüsterte Simon leise und wollte mir dabei die Sonnenbrille abnehmen.

Schnell schlug ich seine Hand weg und stand auf. Warum tat er so, als wären wir befreundet? Was für eine Intrige hatte er gegen mich geplant?

"Ich weiss nicht ob du irgendwie taub bist, aber ich hab dir gerade gesagt, dass die anderen mich nicht interessieren". Meine Stimme bebte, mein Kopf schmerzte.

Schnell lief ich davon, auf direktem Weg in die Umkleiden. Dort angekommen, nahm ich frustriert auf einer Bank platz und stütze meinen Kopf in meine Hände.

Die Lästereien, der Druck von meiner Tante und das Vermissen meiner Eltern wurden mir einfach zu viel. Ich konnte nicht mehr, ich kriegte es einfach nicht mehr hin.

Ich wollte doch kämpfen, ich wollte doch meine Tante stolz machen. Ich wollte allen zeigen, dass ich die Beste war und jetzt? Jetzt war ich so kurz vor dem Aufgeben.

Ich fing an zu schluchzen. Ich wollte doch nur einmal in meinem Leben das Gefühl von Liebe verspüren. Das Gefühl etwas richtig zu machen und dass mich jemand brauchte, dass er mich akzeptierte, mit all meinen Fehlern. Doch ich machte alles Falsch.

Ich wollte immer Perfekt sein und merkte dabei gar nicht, dass man nicht perfekt sein konnte, weil es kein perfekt gab.

So zu tun, als sei ich Fehlerlos, war mein grösster Makel und jetzt, wo mir das bewusst wurde, hatte ich das Gefühl, als stürze alles ober mir hinein. Als würde alles was ich mir erarbeitet habe, zusammen krachen.

Es war frustrierend.

"Ambar, bist du das?" vernahm ich plötzlich eine weibliche, unsichere Stimme. Das Mädchen kam näher und setzte sich schliesslich neben mich.

Schnell wischte ich mir meine Tränen weg und schaute sie an. Ihr Blick war besorgt und sie sah leicht überfordert auf.

"Was tust du hier?" fragte ich mit brüchiger Stimme und versuchte dabei, meine Gefühle in den Griff zu bekommen.

Ich wollte sie nicht sehen. Ich wollte einfach alleine sein, mit niemanden reden. Ich sprach sowieso nicht gerne mit Menschen, denn immer wenn ich es tat, musste ich mich verstellen.

Sein gesamtes Leben lang jemanden zuspielen, der man eigentlich gar nicht war, war ermüdend. Doch ich hatte Angst. Angst, dass mein wahrer Charakter nicht akzeptiert werden würde. Angst vor den Konsequenzen.

Einsamkeit zerstört I  SimbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt