Kapitel 12

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Mit meinem Mathebuch in der Hand lag ich in meinem Bett. Algebra war so unfassbar langweilig. Jedoch war es meiner Meinung nach nicht wirklich schwer. Mathematik lag mir schon immer.

"Das bedeutet, dass X..." dachte ich laut nach, als mein Handy piepste. Seufzend schloss ich das Buch und legte es dann aus der Hand.

Ich griff zu meinem Handy und blickte auf den Startbildschirm. Jazmin hatte ein Bild hochgeladen. Auf dem Foto war Jazmin und ein Junge.

Glücklich lächelten die Beiden in die Kamera, währenddem der Junge eine königsblaue Gitarre in der Hand hielt.

Unter dem Beitrag standen die Worte: "Seine Stimme ist einfach atemberaubend. Ein Wort und schon ist alles Schlechte vergessen. Ein Wort und selbst der schlechteste Tag scheint heller als die Sonne. Du bist großartig #SimónÀlvarez."

Ich könnte kotzen, so kitschig war das. Unter dem Bild hatte Simon geschrieben, dass Jazmin maßlos übertreiben würde. Ich schnaubte.

Alle waren im Roller und hatten Spass. Sie konnten ihre große Leidenschaft ausleben. Und was tat ich? Ich sass hier und durfte nicht gehen.

Ich fühlte mich wie ein Vogel, der in einem goldigen Käfig eingesperrt war. Ein Vogel, der ein sicheres Leben in Gefangenschaft führte. Ein Vogel, der niemals hungern müsse.

Doch was nützte das alles diesem Vogel? Was nützte es ihm, wenn man ihm verbot zu fliegen? Frei zu sein und das Leben zu geniessen?

Nein, so wollte ich nicht leben. Ich wollte Rollerskaten, ich wollte auf einer grossen Bühne singen und tanzen. Ich wollte an Wettbewerben teilnehmen und für diese um die ganze Welt reisen.

Ich wollte in der Zeitung und im Fernsehen auftauchen. Ich wollte hoch über den Wolken fliegen. Ich wollte aus meinem Käfig ausbrechen.

Entschlossen erhob ich mich von meinem Bett und nahm dann schliesslich meine Skates, die ich aus Wut lieblos in die Ecke geschossen hatte, in die Hand. Meine Finger strichen sanft über den weichen Stoff.

Ich hatte Angst. Angst vor der Reaktion meiner Tante. Angst erwischt zu werden. Jedoch war mir bewusst, dass man sich manchmal gegen die Angst stellen musste.

Was wäre die Welt, wenn es nie Menschen gegeben hätten, die etwas riskierten? Wo würden wir nun stehen?

Mit diesen Gedanken öffnete ich meine Zimmertüre und schlich mich nach unten. Ich griff schon nach dem Türkniff von der Eingangstür, als eine weibliche Stimme hinter mir ertönte.

"Ambar?". Mir gefror das Blut in den Adern. Langsam kehrte ich mich um und schaute so direkt in die überraschten Augen meines Gegenübers.

"Wo wollen sie hin? Ihre Tante hat mir klar und deutlich gesagt, dass sie Hausarrest haben und das Anwesen nicht verlassen dürfen." erklärte sie ruhig. Ich schluckte.

"Amanda, ich wollte zu Delfi. Wir müssen unbedingt für ein Examen büffeln." schwindelte ich und blickte sie dabei flehend an.

Ihr Blick wanderte zu meinen Skates. Streng zog sie ihre Augenbrauen nach oben.

"Es tut mir Leid, aber das darf ich nicht gestatten." erwiderte sie nach einem kurzen Moment. Traurigkeit breitete sich in meinem Gesicht aus.

"Bitte, können sie nicht ein Auge zudrücken?" versuchte ich es noch einmal. Amanda biss sich auf ihre Lippe. Mitfühlend schaute sie mich an.

"Wenn ihre Tante das mitbekommt, bin ich meinen Job los". Sie klang panisch. Ich hatte die Frau in eine echt unangenehme Lage gebracht.

"Nur dass das klar ist, ich weiss nichts von deinem Regelverstoss." gab sie nach einer Weile dann doch klein bei. Ich strahlte sie an.

"Danke." flötete ich und verschwand dann schnell durch die Tür. Ich atmete die frische Luft ein. Es tat so gut.

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Als ich im Roller ankam, lag ein riesiges Lächeln auf meinen Lippen. Meine Tante hatte ich augenblicklich vergessen. Es gab nur noch mich und die vielen Farben, die sich in meinem Inneren breit machten.

Ich setzte mich an einen freien Tisch. Mein Blick schweifte durch das Lokal. Es war heute gut besucht und es herrschte eine fabelhafte Stimmung.

Mein Blick blieb bei einem rothaarigem Mädchen hängen. Jazmin sass alleine an einem Tisch und beobachtet strahlend Simon bei der Arbeit.

Anscheinend hatte es sie echt erwischt. Ich fragte mich, ob er wohl auch auf die argentinische Schönheit stand. Jedoch schob ich diesen Gedanken ganz schnell wieder weg.

Auch wenn es so wäre, könnte es mir egal sein. Immerhin hatte ich nichts mit Simon und ich würde auch nie etwas mit ihm haben.

Er war unbedeutend. Er war... er war unter meinen Niveau. Er passte nicht zu mir. Er war ein Verlierer und ich war eine Gewinnerin.

Sollte Jazmin doch mit ihm zusammen kommen. Das war mir vollkommen egal. Der Mexikaner war mir vollkommen egal.

Er war mir egal. Egal. Er war mir egal und....

"Hey Ambar." riss mich eine männliche Stimme aus meinen Gedanken. Mein Kopf schoss hoch und meine Augen trafen auf ein wunderschönes Braun.

"Hey." sagte ich mit einem leichten Lächeln. Über was hatte ich gerade nachgedacht? Ich hatte es vergessen. Ich sah nur noch das Funkeln in seinen Augen.

"Möchtest du was trinken?" fragte der Junge mich. Sein Blick war von Neugierde begleitet.

"Ja, gerne. Ehm, einen Mangosmoothie... oder nein, doch nicht. Einen Orangensaft. Obwohl...". Ich grübelte einen kurzen Moment nach. Ich hatte mich noch nie gerne auf nur etwas beschränkt.

Ich hielt mir gerne alles offen, damit ich mich schlussendlich für das Beste entschied. Ich machte nicht gerne Fehler.

"Ich versteh schon." lachte Simon mit seinem gutherzigen Lachen. Schräg schaute ich ihn an und hob dabei eine Augenbraue.

"Was lachst du so?" fragte ich ihn. Lachte er mich gerade aus?

"Nichts, nichts. Ich finds nur schön... dass wir Freunde sind. Du bist toll, auf deine ganz eigene Art und Weise." erklärte er mir. Verlegen senkte ich meinen Kopf.

Ich war mir solche Komplimente nicht gewohnt. Normalerweise lobte man an mir nur meine schulischen und musikalischen Leistungen. Wenn überhaupt.

"Du bist auch toll. Ich nem ein stilles Wasser." sagte ich entschlossen.

"Wirklich?" fragte er überrascht. Jetzt lachte ich auf. Sein verblüfftes Gesicht war Gold wert.

"Ja." bestätigte ich. "Dann ein stilles Wasser. Kommt sofort." antwortete er und lief dann davon. Lächelnd schaute ich ihm nach.

Einsamkeit zerstört I  SimbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt