Kapitel 7

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Sein gesamtes Leben lang jemanden zuspielen, der man eigentlich gar nicht war, war ermüdend. Doch ich hatte Angst. Angst, dass mein wahrer Charakter nicht akzeptiert werden würde. Angst vor den Konsequenzen.

"Ambar, was ist passiert? Ist es wegen... dem Video?" fragte das rothaarige Mädchen und strich mir dabei sanft über den Rücken.

Was wollte sie von mir? Wir hatten noch praktisch nie ein Wort miteinander gewechselt. Warum interessierte sie sich plötzlich für mich?

"Alles ist gut. Ich hab gerade bloß einigen Leuten beim skaten zugeschaut und das was ich dort gesehen hatte, war so schlecht, dass mir glatt die Tränen kamen" log ich sie an und schaute dabei an einen Spind.

Konnte sie nicht einfach verschwinden?

"Lüg mich doch nicht an. Ich kann verstehen das du wegen des Videos traurig bist, das ist kein Grund sich zu schämen" redete sie mir gut zu.

Vielleicht nicht für sie, aber für mich war das schon ein Grund zum Scham. Ich musste perfekt sein. Perfekt für meine Patentante, perfekt für meine Eltern.

"Alles ist gut, okay? Und jetzt lass mich bitte in Ruhe" wurde ich lauter und schaute ihr dieses Mal direkt in die Augen.

Ihre dunkelbraunen Augen musterten mich besorgt und ihre Gesichtszüge waren sanft.
Fast bekam ich bei ihrem Anblick den Drang, ihr alles zu beichten, aber doch nur fast.

Schwer atmete das Mädchen aus und schaute dann auf ihre Hände.

"Wenn du wirklich in Ruhe gelassen werden möchtest, dann akzeptiere ich das". Sie schaute mir noch einmal kurz ins Gesicht, bevor sie aufstand und davon lief.

Ich wollte ihr hinterherschreien, aber ich konnte nicht. Ich wollte sie bei mir haben und ihr erzählen wie schlecht es mir ging, doch mein Kopf hinderte mich daran. Ich wollte sie in den Arm nehmen, doch ich hatte nicht den Mut dazu.

Betrübt blickte ich auf meine Beine und bemerkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen.

Hör auf, Ambar. Weinen brachte überhaupt nichts.

Schwer atmend schloss ich meine Augen und merkte daraufhin, wie müde ich doch eigentlich war. Ich lehnte meinen Kopf an einen Spind und schlief so langsam ein.

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"Ambar, wach auf". Ich bemerkte wie jemand an meiner Schulter rüttelte und öffnete daraufhin meine Augen. Vor mir stand ein besorgt aussehender Simon.

"Alles gut?" fragte er mit einer sanften Stimme und setzte sich schliesslich neben mich. Ich schaute ihm in die braunen Augen und kriegte es nicht hin, etwas zu erwiedern. Ich fühlte mich so verdammt schwach.

"Ambar, bitte sag doch etwas. Was ist los?". Simon wirkte sehr angespannt und die Situation machte ihm allen Anschein nach Angst. Doch warum?

Ich öffnete meinen Mund, schloss ihn einige Momente danach jedoch wieder. Ich wusste nicht was sagen. Was sagte man in so einer Situation? Mein Kopf war wie leergefegt.

"Bitte rede mit mir." flehte er mich an, woraufhin mir vier Wörter über die Lippen rutschten.

"Könntest du mich umarmen?" fragte ich leise. Warum hatte ich das gesagt? Warum verhielt ich mich gerade so eigenartig? Was war mit mir los?

"Ehm, ja natürlich". Der Mexikaner wirkte überrascht, nahm mich daraufhin jedoch in eine sanfte Umarmung. Schluchzend legte ich meinen Kopf auf seine Schultern und schlang meine Arme um seinen Hals.

Es tat gut seine Wärme zu spüren, zu spüren das jemand für mich da war. Das ich nicht alleine dastand. Doch warum liess ich das zu? Warum zeigte ich meine verletzliche Seite? Warum ausgerechnet beim beste Freund meiner 'Feindin'?

"Alles wird gut. Ich bin für dich da. Egal was passiert ist, ich helfe dir es durchzustehen" murmelte der Junge und strich mir dabei über den Hinterkopf.

Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen. Zu grosse Angst hatte ich davor die Wärme, die mit ihm gekommen war, wieder zu verlieren. Ich wollte nie wieder diese schreckliche Kälte spüren. Ich wollte nie wieder diese Leere in mir tragen.

"Ist es wegen dem Video?" fuhr er fragend fort und ich nickte leicht. Meine innere Stimme schrie verzweifelt, dass ich mich von ihm losreissen sollte und die Starke spielen musste, doch mein Körper konnte das nicht. Er war viel zu schwach dafür.

"Es tut mir so Leid, so unglaublich Leid". Simon wirkte bedrückt. Er fühlte sich allen Anschein nach echt schlecht. Doch es war nicht seine Schuld. Es war ein dummer Unfall.

Ich wollte gerade etwas erwidern, als ein Piepen ertönte. Mein Handy.

Ich löste mich schweren herzens von dem braunhaarigen Jungen und fischte daraufhin mein Handy aus der Tasche.

Prüfend schaute ich auf den Display und bekam einen Schock, als ich den Namen ,der darauf erschien, erblickte. Hastig nahm ich den Anruf entgegen.

"Hallo Tante. Was gibt's?" fragte ich und versuchte dabei selbstbewusst zu wirken.

"Wo bist du? Du solltest schon seit einer halben Stunde hier sein. Dein Fehlverhalten ist inakzeptabel." beschimpfte sie mich streng.

"Oh, Mist. Tut mir Leid Patentante. Ich hab die Zeit vollkommen vergessen" seufzte ich und vernahm daraufhin ein genervtes Stöhnen am anderen Ende.

"Du bist eine einzige Enttäuschung". Tante Sharons Stimme klang böse und ich spürte einen schrecklichen Schmerz in meiner Brust.

Warum war ich nur eingeschlafen?Ich war so dumm. So unfassbar dumm.

"Aber Tante, ich..." wollte ich erwiedern, wurde jedoch von ihrer bebenden Stimme unterbrochen.

"Ich will nichts hören. Von deinen Ausreden bekomm ich Migräne. Komm sofort nachhause". Nervös schaute ich auf meine Hände, währenddem ich Simons Blick auf mir spürte.

"Okay, ich mach mich sofort auf den Weg" sagte ich und kratzte mir zeitgleich am Arm.

Ich hatte sie enttäuscht. Ich hatte den einzigen Mensch enttäuscht, der noch für mich da war.

"Ich hoffe es für dich" sagte die Frau noch schnell und beendete daraufhin den Anruf

Traurig wendete ich mich an Simon und schaute ihm kurz in die Augen. Er wirkte irgendwie besorgt.

"Ich sollte jetzt gehen" verabschiedete ich mich mit leiser Stimme und stand dann schließlich auf.

Simon wollte mich noch aufhalten, jedoch lief ich schnell davon.

Einsamkeit zerstört I  SimbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt