Kapitel 8

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"Die Zeit ist gekommen. Du wirst endlich nach Paris gehen und dort studieren. Und denk immer daran, du musst die Beste sein. So wirst du dir vielleicht keine Freunde machen, aber wer braucht schon Freunde?" erklärte mir die blonde Frau vor mir.

Traurig nickte ich und wollte schon in das Taxi steigen, das mich zum Flughafen brachte, als ich eine männliche Stimme hinter mir hörte.

"Ambar, nein, geh nicht. Ich sehe dir doch an, dass du eigentlich was anderes möchtest." flehte mich der Junge an, woraufhin ich schwer schluckte. Er hatte recht, ich wollte nicht nach Paris. Auf der anderen Seite jedoch, wollte ich meine Tante und meine Eltern stolz machen.

"Das ist doch lächerlich, ausserdem geht es hier nicht um Ambar. Sie muss ihrer Familie alle Ehre machen, da ist ihr Befinden nebensächlich". Schwer schluckte ich.

"Sie möchte doch nur einmal geliebt werden. Sehen sie nicht, dass sie alles dafür tut, dass Sie einmal stolz auf sie sind? Mit ihrem egozentrischen Verhalten machen sie Ambar noch kaputt." rief der Mexikaner, woraufhin mir Tränen die Wangen runter liefen.

"Erzähl nicht so einen Quatsch. Es ist das Beste für sie, wenn sie eine gute Ausbildung macht" beharrte Sharon auf ihrer Meinung.

"Hört auf." schrie ich schluchzend und bemerkte, wie plötzlich alles schwarz um mich herum wurde. Es fühlte sich so an, als würde ich gerade in ein unendlich tiefes Loch fallen.

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Schweissgebadet schreckte ich auf. Ich brauchte einige Momente, bis ich realisierte, dass ich in meinem Bett lag. Es war ein Traum, nur ein Traum.

Ich fasste mir mit meiner einen Hand an den Kopf und atmete tief durch. In meinem Inneren war ein solches Durcheinander.

Auf der einen Seite wollte ich mich von meiner Tante lösen. Ich wollte nicht mehr ihre Marionette sein. Auf der anderen Seite jedoch, hatte ich schreckliche Angst davor. Sie machte das doch nur, weil sie mein Bestes wollte. Sie wollte mir nichts böses.

Ich würde sie enttäuschen, wenn ich ihr sagen würde, dass ich nicht nach Paris wollte. Warum war alles nur so kompliziert?

Gerade wünschte ich mir mehr als je zuvor, dass meine Eltern hier wären. Ich brauchte sie und das dringend. Ich wollte sie doch nur bei mir haben und ihnen sagen, dass ich das alles nicht hinkriegte.

Ich hatte es doch versucht. Immer und immer wieder hatte ich gekämpft, nur damit meine Tante zufrieden mit meinen Leistungen war. Dabei hatte ich die Tatsache, dass ich das alles doch eigentlich gar nicht wollte, vollkommen verdrängt.

Ich hatte nur das Ziel vor Augen, endlich Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen, jedoch hatte ich das Gefühl, als hätte ich versagt. Bei meinem Streben nach Beliebtheit und Ruhm, hatte ich vergessen, dass man sich so keine Freunde machte.

Doch was sollte ich tun? Ich hatte nun mal die Rolle des It-Girls übernommen. Alle hielten mich für eine Mary-Sue.  Doch konnte ich diese Erwartungen wirklich erfüllen? War ich perfekt? Ich bezweifelte es.

Ich war doch nur ein einfaches Mädchen, dass durch viel Ehrgeiz und durch hinterhältige Spielchen sich eine Führungsposition erkämpfen konnte. Hinterhältig, genau dieses Wort beschrieb mich perfekt.

Wie oft hatte ich Personen schon geschadet, nur damit ich im Leben weiter kam. Ich war egoistisch und das war nur einer meiner vielen Makel. Eine Mary Sue jedoch, kannte keinen Egoismus. Eine Mary Sue war selbstlos und trotzdem hatte sie alles im Leben.

Sie war einfach perfekt.

Bei dem Wort perfekt schoss mir Simon durch den Kopf. Ich wusste nicht warum, aber ich sah keinen Fehler an ihm. Natürlich war mir bewusst, dass er mit grösster Wahrscheinlichkeit die ein oder andere Ungereimtheit hatte, jedoch fielen mir diese nicht auf.

War Simon vielleicht eine Gary Stue? Nein, definitiv nicht. Simon war nun mal so wie er wirklich war. Er verstellte sich nicht, sondern war ehrlich und aufrichtig. Niemand war mit seinem wahren Charakter eine Mary Sue, beziehungsweise einen Gary Stu, weil niemand perfekt war.

Doch wie sollte man mit so einer Tatsache umgehen? Ich konnte nicht einfach meiner erfolgsorientierten Tante sagen, dass ich nicht die Beste war und dass ich es auch gar nicht sein konnte. Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen und ihr gestehen, dass ich keinerlei Interesse an dem Studiengang Wirtschaft hatte.

Ich erinnerte mich an ihren Gesichtsausdruck, als ich ihr gestand, dass ich meinen 15 Geburtstag lieber an einem Rockkonzert als in einer Oper verbrachte. Am Schluss hockte ich meinen gesamten Geburtstag lang in meinem Zimmer. Alleine.

Mein Blick wanderte zu meinem weissen Wecker. Es war viertel vor Sechs, was bedeutete, dass ich in einigen Minuten aufstehen musste.

Ich hatte keine Lust auf Schule, die hatte ich schon lange nicht mehr. Am liebsten würde ich sie einfach abbrechen, jedoch ging dies nicht.

Ich atmete noch einmal kräftig durch und stand dann schliesslich auf. Schnell machte ich mich für die Schule bereit und lief dann runter.

Meine Tante sass schon am Tisch. Ihr Blick war stur auf ein Papier in ihrer Hand gerichtet.

"Patentante, ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so bleich." stellte ich besorgt fest und setzte mich dabei neben sie.

"Ambar" flüsterte sie leise, woraufhin mir ein kalter Schauder über den Rücken lief. Warum verhielt sie sich so eigenartig? War etwas passiert?

"Tante, ist irgendetwas passiert?". Ich runzelte meine Stirn. "Nein, natürlich nicht und jetzt geh. Du kommst noch zu spät in die Schule" antwortete sie mir barsch.

"Aber es ist doch erst..." fing ich verwirrt an, wurde jedoch von der Blondine unterbrochen.

"Ich sagte geh" schrie sie mich an. Mit gesenktem Kopf nickte ich und verliess daraufhin das Esszimmer.

Ich machte mich auf den Weg in die Küche um mir ein Glas Wasser zu holen. Als ich vor der Küchentür stand, hörte ich Gelächter. Vorsichtig machte ich die Türe einen Spalt weit auf und schaute hinein.

Luna sass mit ihren Eltern, Amanda und unserem persönlichem Chauffeur am Tisch und führte grinsend ein Gespräch mit ihrer Mutter. Plötzlich mischte sich ihr Vater lachend ein und umarmte die zwei.

Traurig blickte ich auf den Boden. Ich spürte wie sich mein Brustkorb schmerzend zusammenzog. Ich bemerkte wie das Gefühl von Neid in mir hochkam. Ich war neidisch auf Luna, ich war neidisch auf ihr scheinbar perfektes Leben.

Ehe ich mich versah wurden meine Augen ganz glasig und mein Atem schwerer. Mein ganzer Körper fing an zu zittern und mir wurde ganz schwindelig.

Reiss dich zusammen, Amber.

Mit einem pochenden Kopf drehte ich mich von der Türe weg und lief aus dem Haus. Ich brauchte ganz dringend frische Luft.

Einsamkeit zerstört I  SimbarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt