- Andre PoV -
"Schatz, schau mal, das war heute in der Post", begrüßte mich Regina, meine Frau, als ich spät abends von der Arbeit Heim kam. Müde schloss ich die Tür hinter mir, die etwas lauter, als gedacht, zu fiel. Somit erntete ich einen frustrierten Blick, denn schon fing das Geschrei aus dem Obergeschoss an. "Na vielen Dank auch", murrte sie und verschwand nach oben, um unseren Sohn wieder zum Schlafen zu bringen. "Entschuldige...", nuschelte ich in die Stille, als sie schon längst oben war und mich nicht mehr hören konnte. Auf der Arbeit gab es heute wieder einmal viel zu tun, Überstunden, viele Operationen, viele Einlieferungen. Und seit der Kleine auf der Welt war konnte von Schlaf gar nicht mehr die Rede sein. Mindestens alle 2 Stunden wachte er durch die kleinsten Geräusche auf oder hatte Hunger, es war zugegeben die Hölle. Natürlich liebte ich den Kleinen, er war immerhin mein Sohn, aber er war nunmal sehr anstrengend. Genau wie Regina. Sie war in letzter Zeit so gereizt, vor allem, weil sie natürlich an Schlafmangel litt, und meckerte mich bloß noch an. Sie war ein Biest. Aber ich liebte sie trotzdem, zumindest etwas. Okay, ich hatte sie nie wirklich geliebt, nicht bei der Hochzeit, nicht als wir früher ein Paar wurden, nicht jetzt. Natürlich wusste sie davon nichts. Und irgendwann, genau in dem Zeitraum in dem ich mich für die Trennung entschied, verkündete sie mir stolz, sie sei schwanger. Naja, der Rest folgte ganz schnell. Die Hochzeit, die Geburt. Wie konnte ich sie da noch stehen lassen? Sie würde mich hassen und das wollte ich weder mir antun, noch wollte ich sie verletzen. Seufzend schüttelte ich den Kopf, ich sollte aufhören ständig meine Gedanken daran zu verschwenden.
"Er schläft wieder", machte sich Regina bemerkbar und setzte sich zu mir, leicht nickte ich. "Okay, entschuldige, dass ich ihn geweckt habe. Hab nicht darüber nachgedacht". "Ist schon gut", und damit war das Thema vergessen. "Ach ja, hier". Verwundert nahm ich den Brief an mich und öffnete ihn. Einladung zum Klassentreffen. Na super, sind die 10 Jahre denn schon rum? Grob überflog ich die Liste der Leute, die in meiner ehemaligen Klasse gewesen waren, doch als ich seinen Namen las, setzte mein Herz für einen Moment aus. Jan Christoph Meyer. Ich schluckte, lang war es her. "Also ich finde so ein Klassentreffen ist was tolles, wir müssen dort unbedingt hin, findest du nicht auch?". Regina war völlig begeistert, meine Begeisterung hingegen hielt sich in Grenzen. "Ja... denke schon". Der einzige Grund hinzugehen wäre Jan. Ich würde gerne wieder mit ihm reden, über seine Witze lachen, ihn kü-. Okay, stopp Andre, übertreib es nicht. Das war eigentlich alles längst von gestern. In der Schule waren wir seit der 9. Klasse ein Paar, kurz vor dem Abi haben wir uns dazu entschieden uns zu trennen. Nicht weil wir uns nicht mehr geliebt haben, sondern weil wir dachten, dass sich unsere Wege danach trennen würden und es so einfacher werden würde. Naja, einfach war es nicht wirklich. Wir waren immerhin gute 3 Jahre zusammen und dann war es vorbei. Trotzdem blieben wir befreundet, beste Freunde. Aber nach dem Abitur, wie erwartet trennten sich ab da unsere Wege. Ich studierte Medizin, Jan studierte meines Wissens nach Regie. Anfangs hatte ich mich noch ständig gefragt, wie es ihm ging und ob wir es denn nicht nochmal versuchen könnten. Aber da er aus seinem Elternhaus umgezogen war und auch seine Nummer gewechselt hatte, hatte ich keine Chance ihn zu erreichen. Und vor ein paar Jahren hatte ich dann Regina kennengelernt, auf einer Feier. Jan hatte ich irgendwann völlig vergessen, bis jetzt. "Ja, du hast Recht. Wir sollten dahin gehen", stimmte ich zu. "Wann ist das Treffen denn?", fragte sie. "Nächste Woche Samstag, in 5 Tagen". "Das passt. Meine Eltern nehmen den Kleinen über das Wochenende bestimmt gerne zu sich".
- SAMSTAG -
Ich musste zugeben, während der Fahrt wurde ich etwas nervös. Immerhin würde ich Jan wiedersehen. Hoffentlich würde er auch kommen. Vielleicht war er ja krank? Oder hatte keine Zeit? Vielleicht hatte er auch meinen Namen gelesen und wollte mich nicht sehen? Oder dachte er vielleicht genau so wie ich? Fuck, das machte mich verrückt. Das einzige, was störte, war Regina. Meine Frau, die in einem viel zu eleganten Kleid, hohen Schuhen und auffällig blinkendem Schmuck mit einem strahlenden Lächeln neben mir auf dem Beifahrersitz saß. Ich hätte mir denken können, dass sie sich für die ganze Sache natürlich nur interessierte, um im Rampenlicht zu stehen, um die ganze Aufmerksamkeit zu erlangen.
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