Zufälle

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Für Salma Engel <3

- PoV Andre -

Fluchend betrat ich eilig das nächste Café, das mir in den Weg kam, um mich vor dem aufgezogenen Gewitter zu retten. So viel also zu 0% Regenrate, diesen Wetterapps konnte man auch nicht mehr vertrauen. Ich trat an einen Tisch in der hinteren Ecke des Raumes, zog mir die triefend nasse Jacke aus und hängte sie über den Stuhl. Eigentlich hatte ich keine Lust auf einen Kaffee, ich wollte nur nach Hause, mich auf mein Bett schmeißen und eine Serie suchten, doch durch dieses Gewitter wollte ich auch nicht laufen, da blieb mir wohl keine andere Option übrig. Während ich mir die Karte ansah, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie der Kellner auf mich zu kam, wandte meinen Blick jedoch nicht ab. "Haben sie sich schon entschieden?". "Einen Kaffee, nur Milch, kein Zucker und ein Stück Kirschkuchen, bitte", murmelte ich und sah nun auf. Verwirrt musterte ich die blonde Löwenmähne, die mir so bekannt vorkam. Und als er dann seinen Blick von seinem Block hob, seinen Stift wegsteckte und mir in die Augen sah, traf es mich wie ein Blitz. Diese klaren blauen Augen hatte ich in meinem Leben bisher nur einmal gesehen und nie würde ich diese je wieder vergessen. Auch ihm schien es so zu gehen, wie mir, seine Augen zeigten eine Mischung aus Verwirrung und Erkenntnis, dann setzte sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. "Andre?" , "Jan?", flüsterten wir beide den Namen es jeweils anderen und mussten kurz darauf auflachen. Das konnte doch unmöglich möglich sein. "Du, ich habe in 20Minuten Pause, da können wir gerne noch etwas reden", lächelte er mich sanft an und ich nickte. "Bei dem Wetter verschwinde ich sowieso nicht", grinste ich ihn an, schaute nochmal aus dem Fenster und tatsächlich war es noch schlimmer geworden. Der Himmel dunkler, die Tropfen dicker und mittlerweile konnte man hören, wie stark sie an die Fenster prasselten. "Gut". Und damit verschwand er von meinem Tisch und bediente weiter schnell die Leute an den anderen Tischen, fasziniert beobachtete ich, wie er jeden freundlich anlächelte, wie seine Augen strahlten, wie er durch die Tische huschte und wie geschmeidig sich sein Körper bewegte. Jan und ich kannten uns von früher, aus Stadthagen. Er war, als ich gerade 5 war, in das leerstehende Haus neben uns eingezogen und seit diesem Tag gab es keinen, den wir beide nicht verbrachten. Wir waren Beste Freunde, wie füreinander geschaffen, mehr als das. Wahrscheinlich wussten wir beide nie, was das genau zwischen uns gewesen ist. Wir sahen es immer als selbstverständlich an Händchen zu halten, Küsschen auf der Wange zu verteilen und zusammen gekuschelt Filme zu sehen. Heute wusste ich es besser, der Moment in dem seine Augen auf meine trafen war magisch und mich durchströmte ein Kribbeln, ich war glücklich. Jedenfalls musste er irgendwann umziehen, da war ich 11, und hatte es mir erst am letzten Tag erzählt, damit der Abschied leichter sein würde. Und ich konnte nicht wütend auf ihn sein, dass er es mir verschwiegen hatte. Ich war zwar traurig, aber ich nutzte meine Chance meinen letzten Tag mit meinem Besten Freund zu verbringen und wir hatten eine Menge Spaß und ich fühlte mich so frei in seiner Gegenwart. Und dann kam der Abschied. Ich weinte schrecklich, als der Umzugswagen in unserer Straße stand und alle Sachen eingepackt wurden und ich weinte noch mehr, als Jan mich in den Arm nahm und sagte, dass wir uns sicher wieder sehen würden. Und dann wischte er mir die Tränen weg, lächelte mich an und drückte seine Lippen für einen kurzen Moment auf meine. In meiner Träumerei bemerkte ich erst nicht, wie der Stuhl mir gegenüber zurück gezogen worden war und sich jemand setzte. Erst als ein,"Dein Kaffee wird noch kalt", sah ich auf und blickte wieder in die eisblauen Augen. Ich lächelte. "Es ist so schön dich zu sehen, Jan", hauchte ich verträumt. Er nickte eifrig. "Ich freue mich auch. Das ist total krass, wie lange ist das jetzt schon her?". "Gute 15 Jahre...", nuschelte ich etwas betrübt, traurig, dass ich so viel aus seinem Leben verpasst hatte. "Das können wir jetzt alles nachholen. Erzähl, wie geht es dir so?". Und damit startete ein langes Gespräch über alles, was wir in den letzten Jahren verpasst hatten. Ich erfuhr, dass er Fotograph war und hier ab und zu am Wochenende jobbte, um sich etwas dazu zu verdienen. Er wohnte in einer WG mit einem guten Freund und seiner Freundin. "Und wie sieht es bei dir beziehungstechnisch aus? Hast du eine Freundin?". Und etwas an der Vorstellung, er könnte eine Freundin haben, brach mir fürchterlich das Herz. Er lachte auf. "Ich dachte dir wäre das klar". "Was soll mir klar sein?", hakte ich verwirrt nach. "Dass ich schwul bin". "Oh", machte ich nur und starrte ihn an. Hieß das ich könnte vielleicht eine Chance bei ihm haben? Okay, nein, das war doch kompletter Schwachsinn, wir hatten uns so lange nicht mehr gesehen, kannten uns eigentlich kaum noch, da konnte ich mir mein Wunschdenken sonst wohin stecken. "Und was ist mit dir, Andre? So jemand wie du hat doch bestimmt eine Freundin". Sein Lächeln war betrübt. Ich schüttelte den Kopf. "Bin nicht so interessiert an einer Frau... mein Typ ist eher...", und plötzlich brach ich ab, sah auf den Tisch. "Ja?". Dann sah ich wieder an, sah in das eisblau und war wie paralysiert. "Du bist mein Typ", nuschelte ich verträumt und hätte mich im nächsten Moment dafür schlagen können. Doch bevor ich mich versah beugte Jan sich über den kleinen Tisch und presste seine Lippen auf meine, es war perfekt. Ich erwiderte, er lächelte, ich war glücklich. In diesem Moment bemerkte ich, wie sehr ich mich all die Jahre nach ihm gesehnt hatte. Nach diesen wahnsinnig tollen Lippen, diesem perfekten Mann vor mir, bei dem ich sein konnte wer ich war. Irgendwann war seine Pause vorbei und er musste seine Schicht wieder antreten, etwas betrübt begleitete er mich zum Ausgang. Das Gewitter war schon verebbt. "Ich glaube ja eigentlich an keinen Gott oder sowas, aber wer auch immer für diesen verdammt tollen Zufall zuständig ist, ich danke ihm vom ganzen Herzen", flüsterte ich und schmunzelte. "Ich bin auch so verdammt froh, dass du ausgerechnet in dieses Café hier geflüchtet bist und genau dann, wo ich hier meine Schicht hatte. Aber ich habe dir damals doch gesagt, dass wir uns wiedersehen werden". Ich nickte. "Es könnte mir gerade wirklich nicht besser gehen... du meldest dich doch, oder?". Etwas Verzweiflung lag in meiner Stimme. "Ja, natürlich. Deine Nummer habe ich ja jetzt, ich schreibe dir sofort, wenn ich Zuhause bin". Lächelnd hinterließ ich einen Kuss auf seiner Wange. "Wir sehen uns, Jan". Mit einem zustimmenden Nicken und einem ehrlichen Lächeln lief er dann zurück zur Theke und ich fuhr meinen Weg nach Hause fort. Ich hatte nie an so etwas außergewöhnliches gedacht, wie dieses Treffen hier. Ich dachte immer, vor 15 Jahren, da hätte ich ihn das letzte Mal gesehen. Ich meine, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass wir beide in das selbe Stadtteil von Köln gezogen war und wie wahrscheinlich war es, dass es trotz vorgegebener sonniger Wettervorhersage gewitterte und es mich in das Café verschlagen hatte, dass ich zuvor noch nie betreten hatte und wie wahrscheinlich war es, dass Jan dort gerade seine Schicht hatte? Ziemlich unrealistisch, aber so war es. Und es war der schönste Zufall, der mir je hätte passieren können. ---

#Jandre ONESHOTSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt