8 - Flügel

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Vor Schmerz fluchend schlüpfte sie aus ihrem Stiefel, dessen Schnalle sich in den Fingern verhakt hatte und zückte die Klinge, die sie darin verborgen hatte, während sie einen Cyborg in die Glassplitter an ihrem Unterarm rennen ließ. Dann wandte sie sich ab und rannte die Treppe nach oben, die förmlich unter ihr zu Schutt verarbeitet wurde.

"Was bei den Sternen?", keuchte Chiby, dem der Schweiß über das Gesicht lief.

Nur noch mit einem Stiefel, von Kopf bis Fuß in sanft leuchtendes Engelsblut getaucht, ihre beiden letzten Reservedolche in den Händen und langsam ernsthaft schwankend wandte Cress sich dem Schankraum zu. Blut sickerte ihren Oberschenkel hinab, während sie die in Zahl deutlich unterlegenen Menschen schreien hörte. Tote Cyborgs markierten den Weg, den sie zwischen den bunt zusammengewürfelten Möbelstücken hindurch genommen hatte, doch es waren immer noch zu viele. Neben Chiby hatten weitere Schützen Aufstellung genommen, sodass ein Kugelregen auf die Monster niederging. Hätte es nur eine davon gebraucht, um die Biester zu Fall zu bringen, wäre das Problem längst erledigt gewesen.

„Dein Bein", bemerkte Chiby.

Cress verzog das Gesicht vor Schmerz. Er musste sie nicht daran erinnern, damit sie die Wunde spürte.

„Nochmal mache ich das nicht", presste sie hervor und ließ sich hinter die Balustrade sinken. Die Holztreppe war inzwischen nicht mehr vorhanden. Sie zog einen Holzsplitter aus ihrem Oberschenkel und warf ihn zischend zur Seite. Wäre sie gläubig gewesen, hätte sie ganz sicher zu den Sternen gebetet. Gerade als Cress dachte, dass es nicht schlimmer kommen konnte, bellte irgendjemand: „Kieran!"

Cress schlug ihren Kopf an die Balustrade. War das sein Ernst? Jetzt tauchte er auf?

„Er hat das Kind dabei", keuchte Chiby fassungslos.

„Was?!"

Cress fuhr trotz ihres verletzten Beines in die Höhe und durfte zusehen, wie sich der zwei Meter große Kieran und die neun weitere Clubs, mit denen sie eigentlich unterwegs sein sollte, sich um einen unendlich winzigen Jungen ballten, dessen weinen auf die Entfernung nicht einmal zu hören war.

„Das ist nicht sein ernst", fauchte sie, während sich die neu hinzugekommenen in den Kampf stürzten. Ihre Gedanken rasten. Dann riss sie den Kopf zu Chiby herum und sagte nur: „Sommernachtswende letztes Jahr."

Er sah sie an, als wäre sie komplett durchgedreht, bevor sie in Richtung einer Kordel an der Wand nickte. Er öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu, warf einen Blick in das Chaos hinunter und nickte. Mehr brauchte sie nicht. Cress sprang von der Balustrade in den Schankraum hinunter, wobei sie zwei Cyborgs mit sich zu Boden riss. Der Raum hatte sich in absolutes Chaos verwandelt, doch irgendwie schaffte sie es mit zusammengebissenen Zähnen und purer Willenskraft bis zu Kieran.

„Was für ein Idiot bringt ein Kind hierher?", fauchte sie ihn an, bevor sie den absolut panischen kleinen Jungen packte.

„Was tust du?", bellte Kieran und schlug einem Cyborg ein paar halbverfaulten Zähne aus, bevor er ihn förmlich in den Boden rammte. Cress antwortete nicht. Sie überlegte, dem Kind zu versichern, dass es keine Angst haben musste, hatte aber nicht das Gefühl, dass das irgendetwas bewirken würde. Über ihnen ächzte der schwere Kronleuchter, als Chiby und zwei weitere Männer ihn langsam zu ihr herabsenkten. Ohne Kompromisse packte sie das schreiende Kind, umklammerte das Drahtseil mit der anderen Hand und ließ sich zusammengekauert zwischen den staubigen Glasstückchen wieder hinauf zur Decke ziehen, den Jungen fest zwischen ihrem Arm und ihrem unverletzten Oberschenkel eingezwängt, während die Clubs um Kieran die Hölle auf die Cyborgs losließen, ohne auch noch ein Kind beschützen zu müssen. Der Kronleuchter schwankte sanft hin und her, während Cress Beinmuskeln zu brennen begannen vor Anstrengung.

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