54 - Heiß und kalt

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Sie wurde nicht ohnmächtig.
Cress bekam mit, wie Stiefel neben ihren Kopf donnerten, wie jemand sich neben sie kniete und ihre Atmung prüfte. Nach einer kurzen Stille folgten weitere angespannte Kommandos.
Sie hätte sich nicht weniger dafür interessieren können, was um sie her geschah.
Die Müdigkeit war über ihr zusammengeschlagen, sobald sie das Wasser verlassen hatte und jetzt wollte sie nichts anderes mehr als hier und jetzt einzuschlafen.

Kieselsteine drückten sich in ihre Wange, während jemand sie in eine schwere Jacke wickelte und schüttelte.
Finger strichen über ihre Wangen, zogen den warmen, trockenen Stoff dichter um ihren tropfnassen Körper.
Sie wurde hochgehoben, ihre nackten Füße schwankten in der Kälte, während ihr unendlich schwerer Kopf unsanft an die Brust des Manns fiel, der sie trug.
Sie verstand nichts von dem, was er sagte.
Sie hatte keine Ahnung, ob er sie anschrie oder nur flüsterte.
Nichts davon interessierte sie in diesem Moment.

Hätte Cress noch einen Funken Kraft gehabt, wäre sie vor ihm zurückgezuckt.
Auf ihrer von der Kälte tauben Haut brannte seine Körperwärme fast schon schmerzhaft.
Dann begann sich ihr gesamter Körper zusammenzuziehen, als sie das Wasser aushustete.
Es brannte in ihrer Brust, ihrer Kehle, als ob sie glühende Kohlen eingeatmet hätte.
Sie wand sich, krümmte sich, während die Krämpfe sie schüttelten. Krämpfe und Schmerz, wie sie die Passage mit sich brachte. Die Diebin riss die Augen auf, um sich zu vergewissern, dass sie immer noch sehen konnte. Dass sie nicht wieder blind und wehrlos war.

Man lehnte sie gegen die Rinde eines Baumes. Beruhigende Worte.
Sanfte Finger kreisten auf ihrem Hinterkopf. So viel Wasser. Sie driftete weg, wurde von ihrem eigenen Husten wieder in die Realität zurückgeholt.
Ihre Stirn klebte an Julians dank ihr inzwischen völlig durchnässtem Hemd. Wärme sickerte durch den dünnen Stoff.
Wieso lebte sie noch?

Welche allgemeingültigen Gesetze man auch als Ausgangspunkt nahm: Alles sprach dagegen, dass sie noch atmete. Doch ihr tat alles so weh, dass sie gar nicht tot sein konnte.
Cress war den Kugeln entkommen.
Sie war eine Klippe hinuntergesprungen, ohne von der Wucht des Aufpralls zerrissen zu werden.
Sie war nicht ertrunken, obwohl sie Unterwasser ohnmächtig gewesen war.
Sie war nicht ertrunken, obwohl sie Wasser eingeatmet hatte.
Was passierte mit ihr?

Julians Herz pochte direkt an ihrem Ohr, menschlich und echt, wie es das des Cyborgs nie könnte.
Ihre Gedanken verknoteten sich.

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