Sein Kopf schoss zu seiner Schwester hinüber. Jetzt war es ihm egal, dass er umgeben von ihren Wachen und Tonnen von Caz Kristall war. Blanker Terror jagte durch seinen Körper.
„Dominique!", brüllte er, „Bist du wahnsinnig?!"
Dominique hatte den Giftgasanschlag geplant, ohne die Hilfe seines Vaters oder seiner Mutter. Er hätte sich selbst schlagen können, weil er so blind gewesen war. Es machte alles Sinn, jetzt, wo Ophelia sie verraten hatte, die geniale Idee seiner Schwester.
Ophelia de Scintilla. Nicht nur eine Adlige, sondern auch eine geniale Chemikerin. Sie musste wissen, wie man das Gas neu herstellte, das May unschädlich gemacht hatte. Wie May hatte dieses Miststück ein fotografisches Gedächtnis. Diese beiden Frauen mussten die Massenvernichtungswaffe einfach neu produziert haben.
Und jetzt würden sie es auf die Stadt loslassen. Es gab nichts, das er tun konnte, aber deswegen würde er noch lange nicht stillhalten.
„Dominique!"
Er ging auf sie zu und drei blendend weiße Speere aus Caz Kristall lösten sich aus dem Boden und richteten sich auf seine Brust.
„Nicht", sagte sie nur. In ihren tiefen Augen tobte ein Sturm.
„Das kannst du nicht tun, Domi. Du wirst tausende von Menschen umbringen. Wegen eines Experiments? Das ist Wahnsinn!"
Die beiden Geschwister starrten sich über die hell leuchtenden Speere an. Sie entschlossen und kühl, er voller heißem Zorn. Das hier war eine Katastrophe.
„Es geht nicht um die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Ophelia daraus zieht. Du bist Politiker, Julian. Du weißt doch, wie wir spielen. Ich muss meine Macht festigen. Durch eine große Geste. Etwas, das in die Geschichtsbücher eingeht. Etwas, das sie nicht wegzensieren können, wenn ich gesehen werden will. Wenn ich will, dass sie mir folgen."
„Gehorsam durch Angst ist keine Lösung!", fauchte er, „Sie werden dich hassen. Die ganze Stadt wird dich hassen. Willst du das? Willst du zu einer Tyrannin werden, Dominique? Wie Vater?"
Sie lächelte schmal und nachsichtig, als ob sie mit einem Kind reden würde. Jeder ihrer Gesichtsausdrücke war hauchfein.
„Oh nein. Ich werde nicht sein, wie er. Ich werde tausend Mal schlimmer sein."
Die Prinzessin der letzten Stadt legte den Kopf schief. Bei dem Blick, den sie ihm zuwarf, wurde ihm klar, dass egal, was er tat, er sie nicht aufhalten können würde.
Fassungslos starrte Julians seine Schwester an. Das grausame verdrehte Wesen, das einmal seine Schwester gewesen und ihm jetzt so fremd geworden war.
Alles war umsonst gewesen.
Die Hoffnungslosigkeit strömte durch seine Adern wie Gift.
Das konnte nicht wahr sein.
Er hatte zu wenige Vorbereitungen für so etwas getroffen, hatte noch zu wenig Verbündete.
Es war zu früh.
Plötzlich stand nicht mehr er seinem Vater gegenüber, sondern seiner großen Schwester, die seinen Vater in Ketten aus heiligen Steinen gelegt hatte.
Seine Rolle in dem Ganzen war ihm noch nicht ganz klar geworden.
Er war angespannt wie vor dem Sprung von einer Klippe.
Klippe.
Cress war von einer Klippe gesprungen, ohne zu zögern, ohne auch nur noch einmal Luft zu holen.
Sein Blick fokussierte sich von den Gesichtern seiner Schwester und seiner Mutter auf die Stadt hinter ihnen, die in Dunkelheit gehüllt und vom Sturm gepeitscht da lag.
Wie gut, dass er die Diebin hierhergebracht hatte.
Wie gut, dass sie nicht mehr dort draußen und der Gasattacke ausgesetzt war.
Denn er war nicht naiv genug zu glauben, dass er die Madame und seine Schwester aufhalten konnte.
Umgeben von Caz Kristallen, eingekreist von Eisernen.
Und doch brannte da etwas in seiner Brust, wie ein Stern, eine Sonne kurz vor dem Tod.
Nur Wimpernschläge von einer Supernova entfernt.
Die Frage war nur noch, wie stark er war.
Wie sehr er versagen würde.
Er verspannte sich, zwang sich seine Muskeln wieder zu locken, während Dominique und Ophelia ihn beobachteten.
Er trommelte mit den Fingern auf den Stein, um das Zittern zuüberspielen.
Passend zu dem ewigen Winter im Gerichtssaal, war in seiner Brust eine Granate explodiert.
Nur, dass die Granatsplitter nicht aus Metall, sondern aus Eis waren.
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Skythief
Science Fiction~ ✨ ~ Eine Vogelfreie mit der Stimme eines Engels. Ein Kronprinz, der Intrigen zu einer Kunstform erhoben hat. Eine Ordensdame, die zur Beleidigung für ihre Götter wird. Alle verstrickt in dasselbe große Geheimnis. • In einer düsteren Zukunft ist v...