32 - Abschied

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Kat stellte eine Schüssel mit Eintopf vor Cress ab, bevor sie verlangte:

„Erzähl weiter!"

Schaudernd dachte Cress zurück an den heiligen Stein, der ihr Blut aufgesogen hatte, wie ein hungriges Tier. Sie spürte die Blutwahrheit, die sie dem Schatzmeister geschworen hatte, in jedem einzelnen ihrer Knochen. Es war kein gutes Gefühl zu wissen, dass man sein Leben in die Hände eines Wahrheitssteins gegeben hatte. Es war ihr lieber, als mit einem Verrat rechnen zu müssen.

Bis jetzt hatte sie nur die Begegnung mit Dice nicht geschildert. Katena wusste mehr über Cress, als die meisten Menschen, doch kannte auch sie nicht die ganze Geschichte.

Kat ließ sich lachend in eines ihrer Sitzkissen zurücksinken. Eine Flut aus goldenem Haar ergoss sich über ihren Rücken, als sie den Kopf in den Nacken warf.

„Für ein Lied. Du hast ihm einen heiligen Stein angeboten und er bringt dich für ein Lied in den Palast."

Den zweiten Teil des Paktes hatte Cress nicht erwähnt. Nur, dass der Karobube wollte, dass sie für ihn sang.

Cress hatte für Menschen gesungen, die ihr wichtig waren, für verängstigte farblose Kinder, die zu Diamonds ausgebildet werden sollten. Seit Sagasha nicht mehr von ihrem Auftrag zurückgekehrt war, war kein Ton mehr über ihre Lippen gekommen. Cress hatte die Diamonds verlassen und nicht mehr gesungen, obwohl ihr die Menschen einen Vogelnamen gaben.

Sie würde für den Karobube singen, weil man keine Rechnungen mit ihm unbeglichen lassen sollte. Und auch, weil sie in irgendeinem Winkel ihres Herzens ein wenig Mitleid für diesen Mann gefunden hatte.

"Sie haben die Grenzen dicht gemacht, Cress", bemerkte Katena besorgt. Das riss die Diebin aus ihren Gedanken.

"Was? Warum?"

"Offiziell gab es ein Attentat auf einen Adligen. Inoffiziell ist der Kronprinz verschwunden und schwer verletzt wiederaufgetaucht."

Cress schloss kurz die Augen, während sie die niederschmetternde Neuigkeit verarbeitete. Am liebsten hätte sie ihren Kopf gegen die Wand geschlagen und sich so selbst ausgeknockt. Es reichte also nicht, dass dieser Julian Alessandrini-Casanera hier auftauchte und auch nicht, dass er das Schwert stahl und damit verschwand. Nein, er musste es ihr auch noch so schwer machen, das Schwert zurückzustehlen.

"Ich glaub's einfach nicht", murmelte sie vor sich hin.

Cress hatte keine Chance auf eigene Faust durch die abgeriegelte Stadt zu kommen. Es gab keine Schlupflöcher mehr, wenn dreimal so viele Soldaten auf den Mauern postiert waren. Wenn sie noch öfter durch die Straßen patroullierten und selbst die Bürger der letzten Stadt nicht mehr nach langen Sicherheitschecks durch die hohen Tore gelassen wurden. Sie konnte sich nicht verkleiden, sie konnte sich nicht auf oder unter der Erde an den Wachen vorbeistehlen.

Sie nickte. „Die Tänzer des gelben Bezirks wollte ich schon immer einmal sehen."

Mit vollem Magen kam sie sich schon viel weniger vor, als würde die Macht des Caz Kristalls sie immer noch erdrücken.
Doch Dice und der Ausdruck auf seinem Gesicht geisterten immer noch durch ihren Kopf, obwohl sie wirklich andere Probleme hatte.

„Ich liefere die Klinge an den Idioten, der mir die Auftragsmörder hinterhergeschickt hat und schon ist wieder alles beim Alten", erklärte sie, mehr um ihre Gedanken zu sortieren als um Kat ihren Plan darzulegen und widmete sich wieder dem Essen.

Katena würde Cress nicht verraten. Die Diebin würde dieser Frau ihr Leben anvertrauen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie sollte die ganze Sache mit Dice einfach vergessen und sich wieder auf die eigentlich wichtigen Dinge konzentrieren, die um sie herum passierten.
Sie gab sich alle Mühe diese Gedanken irgendwo in die dunkle Ecke ihres Bewusstseins zu verbannen, die wahrscheinlich schon überquoll vor Ängsten und düsteren Erinnerungen. Kat wickelte sich eine ihrer kostbaren Haarsträhnen um den Finger, während sie ihr Gegenüber musterte.

„Du glaubst wirklich, dass das so einfach wird?"

Cress zuckte die Schultern.

Einen Moment lang wiegte Katena den Kopf hin und her.

Sie nickte zu Cress Hand hin. „Versteck das Tattoo."

Die Diebin drehte die Hand, die den Löffel hielt und lies den Blick auf dem kleinen, blauen Vogel und dem seltsamen Strichcode darunter ruhen.

Der Umriss des Vogels brannte sich in ihre Netzhaut ein, sodass sie ihn immer noch hinter ihren geschlossenen Augenlidern aufblitzen sah, als sie den Löffel schon wieder in den Eintopf tauchte.

„Und Cress: Halte dich vom Orden fern. Die hohen Damen haben so einige Leichen im Keller."

Katena sprach ‚Die hohen Damen' aus wie das schlimmste Schimpfwort, das sie kannte. Cress zuckte die Achseln. Viele Menschen erzählten der schönen Frau ihre Geheimnisse, stöhnten und flüsterten sie. Vielleicht kannte sie auch ein paar dunkle Wahrheiten des Sternenpredigers, der ihre Dienste damals mit dem Caz Kristall bezahlt hatte, der nun die Blutwahrheit des Karobuben beherbergte.

Kat lächelte, griff nach Cress Hand und drückte diese kurz.

„Wenn irgendjemand es schafft, auf eigene Faust in den Palast zu kommen, bist es du."

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