33 - Wunder

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Er krachte vor Cress auf den Boden, sodass die Fliesen zersprangen und die Splitter über den Boden spritzten wie Schneematsch. Vor ihr erhob sich der Todesengel aus dem RedLipRoulette. Jedes einzelne Härchen auf ihren Armen sträubte sich. Adrenalin schäumte durch ihre Adern, sorgte dafür, dass ihr das Herz in der Brust donnerte.

Der Cyborg war die reine Nacht. Alles an ihm war dunkel, Haut, Haar und Kleidung. Er brachte den Schatten der riesigen Flügel mit sich, in dem Cress jetzt stand. Sie musste ihre gesamte Willenskraft aufwenden um nicht davonzurennen.

Denn Sterne, dieses Monster kam aus einer anderen Welt.

Aus einer ohne Sonne, ohne Sterne und Mond. Jenseits jedes Lichts, wo Albträume und Ängste miteinander tanzten.

Mit geballten Fäusten starrte sie auf seine Stiefel.

Ein Cyborg war ein Raubtier, angestachelt von uralter Wut. Sie wusste nicht, wie viel Menschliches noch in ihm war. Ob er auf sie losgehen würde, nur weil sie ihm in die Augen sah.

Jeder Muskel im Körper der Diebin war angespannt. Langsam bog sie ihre Finger auseinander. Löste die Fäuste und zwang sich dazu, zu atmen. Atem. Der Halbmensch war so nah, dass sie zischend und abgehackt seinen Atem hören konnte. Cress schloss die Augen, rollte die Schultern zurück und hob den Blick. Rabenschwarzes Haar, das ihm dünn und wirr bis auf die Schultern hinunter reichte. Augen, hell wie der Himmel und alt wie die Erde.

Sie hasste Angst. Hasste das Zittern, das Ziehen und die Unsicherheit. Panik und Faszination tanzten hinter ihren Augen miteinander. Er war nicht nur ein Cyborg. Hatte sie nicht nur bei ihrem Treffen leben gelassen, sondern hatte es außerdem überlebt, dass sie ihm ein Messer in den Rücken gerammt hatte. Farblose Augen sahen zu ihr hinunter. Es war schlichtweg wahnsinnig, sich freiwillig so nahe an diese tödlichen Flügel und Hände zu begeben.

Tagelang hatte sie nach ihm gesucht. Jetzt stand er hier, genauso echt, wie in dieser Nacht im RedLipRoulette. In diesem Moment setzte sie alles auf eine Karte. Sie wusste nicht, ob sie sich den Verstand in den weißen Augen nur eingebildet hatte. Cress sammelte sich. Machte sich darauf gefasst, bei einem falschen Wort zu sterben.

"Ich habe da ein paar ..."

"Du bist der Vogel", unterbrach er sie, die Stimme wie knarzendes Holz. Eine Jahrhunderte alte Stimme, die nicht in diesen unsterblich gemachten Körper gehörte. Cress unterdrückte einen Schrei.

"Ja. Schattenvogel, Nachtelster."

Sie sah ihm nicht in die Augen, fixierte stattdessen das winzige Stück Himmel, das zwischen den Flügeln und seinem Kopf hervorlugte.

"Du hast noch keine Namen. Aber ich glaube nicht, dass es lange dauern wird, bis sie dir welche geben", sagte sie bedacht. Er blinzelte nicht, reagierte überhaupt nicht. Sie holte Luft.

"Ich habe einen Handel vorzuschlagen."

Immer noch keine Reaktion, was sie als gutes Zeichen wertete.

"Ich weiß, dass sie deinen Flügel erwischt haben. Und ich weiß auch, wo."

Er konnte nicht mehr richtig fliegen, seit dieses Teil kaputt gegangen war. Deswegen war er auch von dem Dach über ihrem Kopf gesprungen und nicht aus den Wolken herabgestiegen, um sie einzuschüchtern. Es grenzte an ein Wunder, dass er es in der Nacht des Cyborgangriffs noch durch die Glaskuppel geschafft hatte. Cress zog den Grund, wieso sie hier war aus der Tasche, so klein und doch so wichtig. Der Atem des Wesens beschleunigte sich, als er das metallisch blitzende Ersatzteil in ihrer Hand bemerkte.

"Gestohlen", sagte Cress wage. Wie viel verstand er? Welche Vokabeln kannte er? Es war ein Wunder, dass er überhaupt sprechen konnte.

Wetterleuchten zuckte durch die Augen des Wesens, als er einen Schritt nach vorne machte. Noch einen. Cress Atem wurde gehetzt. Als er zum dritten Schritt ansetzte, wich sie zurück. Das war ein Fehler gewesen. Das Wesen packte die Diebin und schmetterte sie so fest gegen die Wand, dass Putz zu Boden rieselte. Eine Hand an ihrer Kehle, riss er ihr das Ersatzteil aus der Hand und musterte das leicht angerostete Metall. Sie stöhnte auf vor Schmerz, als ihre Finger umgebogen wurden, wie die einer wehrlosen Puppe. Physisch war sie ihm hoffnungslos unterlegen. Das kam nicht überraschend. Als das Metall in der Hand des Halbmenschens bröselte und zerfiel, hielt Cress den Atem an.

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