15 - Hochverrat

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May Silencia war kotzübel. Sie hätte wissen müssen, dass es so kommen würde. Genau drei Stunden hatte sie geschlafen, bevor man sie geweckt, geschminkt und frisiert hatte. Eine illegale, öffentliche Hinrichtung direkt vor ihrer Nase und sie hatte sich wirklich eingebildet, eine Nacht durchschlafen zu können, bevor das Chaos über den Palast hereinbrach. Mit wippendem, weißem Pferdeschwanz folgte sie der Hohen durch die Gänge und musste sich bei jedem Schritt darum bemühen nicht einfach umzukippen. Die Hohe, Rya Hora, war gerade von der Mauer zurückgekommen und hatte feststellen müssen, dass ihre Assistentin es während ihrer kurzen Abwesenheit trotz der übertragenen Vollmacht nicht auf die Reihe bekommen hatte, eine unrechtmäßige Hinrichtung zu verhindern.

Es war zwei Uhr morgens. Während die Heiligen über der Stadt standen, als würden sie mit wachen hellen Augen dabei zusehen, wie die Menschen sich einbildeten, ihre Geschicke selbst lenken zu können, waren sie auf dem Weg zum König, um ihm die Hölle heiß zu machen. Die Hohe drei Schritte vor May marschierte kerzengerade und angespannt auf die hohen Flügeltüren des kleinen Ratssaals zu. Die Wut schien sie wie eine knisternde Aura zu umgeben, fast wie ein Gewitter, das schon bedrohlich über dem gekrönten Kopf von Miaserus Alessandrini hing und jeden Moment einen Blitz durch seine Nervenbahnen jagen könnte.

Die Wachen richteten sich auf und legten die Hände an die Waffen an ihren Gürteln.

Das jahrelange Training hatte die Soldaten des Königs zu den gefühllosen Maschinen gemacht, die die ganze Stadt nur als die 'Frostgarde' kannte. Sie traten den Ordensdamen mit in den Weg, ohne mit der Wimper zu zucken.

Die oberste Sternenpriesterin ragte mit der geballten Macht des Ordens, die ihr ihr Amt verlieh, über den Männern auf. Rya Hora hob das Kinn.

Hinter dem kunstvollen Helmvisier sagte der Befehlshaber:

"Seine Majestät empfängt niemanden."

"Wer seine eigenen Regeln bricht, hat nicht das Rehct, neue aufzustellen", antwortete die Hohe aalglatt und garnierte ihre Worte mit einem wölfischen Lächeln, „Zur Seite. Jetzt."

Der Mann musste schon sehr dumm sein, wenn er die Blitze nicht bemerkte, die unter ihrer Haut dahin zuckten.

Als die gläsernen Flügeltüren, die seit der Erbauung der Stadt existierten, aufschwangen und die Hohe in den Saal stürmte, richtete der König sich in seinem Sessel auf.

Die zwei Ratsherren, mit denen er gesprochen hatte, fuhren herum.

"Entschuldigt, wenn ich dieses Kaffeekränzchen unterbreche, meine Herren."

Rya knallte ihre Hände vor Miaserus auf die Tischplatte und beugte sich zu dem Alessandrini König vor, wobei sie die Wachen völlig ignorierte, die aus den Schatten traten.

Er hatte sie erwartet, sonst würde er sich nicht mit so vielen Gardisten umgeben. Beinahe beiläufig tauchten die Knochenschwestern hinter May auf, tödlich wie weiße Löwinnen. Alcha warf May einen müden Blick zu, bevor sie ihre verstörend weißen Augen wieder auf den König richtete.

Einen Moment lang starrte Rya ihn nur an, wütendes Silber in perfektem Tiefblau.

"Solltet Ihr den Drang verspüren, Euch zu erklären, tut Euch keinen Zwang an", tat die Hohe kund, ohne sich um eine formelle Anrede zu bemühen. Ihre Worte waren scharf wie Glasscherben.

Während andere Männer schon lange die Flucht ergriffen hätten, faltete Miaserus nur die Hände auf dem Tisch.

"Rya, meine Liebe. Wir hatten Euch nicht so früh zurückerwartet."

Sie zeigte keinerlei Reaktion, das Gesicht streng und voller Wut.

"Ihr habt den Assassinen hinrichten lassen."

"Habe ich das?", fragte der König und senkte den Blick auf seine Unterlagen, als müsste er zuerst seine Notizen konsultieren.

"Ihr habt ihn hinrichten lassen, ohne den hohen Orden auch nur in Kenntnis zu setzen", fuhr die Hohe ihn an.

"Eure Majestät", knurrte ein Frostgardist. Brendan Talee, der Bluthund des Königs, taxierte die Knochenschwestern hinter der Hohen. Sollte es zu einer physischen Auseinandersetzung kommen, würde er den Drillingen gegenüberstehen. Die Hohe hob den Blick zu ihm, wie es vielleicht eine Schlange getan hätte.

"Ihr sprecht den König mit Eure Majestät an", grollte der anscheinend lebensmüde Talee, bevor der König abwinkte und der Mann verstummte.

"Ich wollte Euch nur ein bisschen Arbeit ersparen, meine Teuerste", lächelte der Herrscher.

Er streckte die Hand aus und sein Bluthund drückte ihm einen dunkelblauen Beutel in selbige. Miaserus kippte unter dem Blick der Ordensdamen ein feines, kristallines Pulver, das fast aussah wie silbriger Zucker, vor sich auf den Tisch. May schnappte lautlos nach Luft.

Caz Kristalle. Heilige Steine. Die Quelle von Ryas Macht. Nur der Orden hatte das Recht, sie zu besitzen und zu verwenden.

"Wie in den heiligen Schriften des Ordens festgehalten ist, die Ihnen wohl vertraut sein sollten, meine Liebe, steht auf den Diebstahl von heiligen Steinen die Todesstrafe", säuselte der König.

"Die Bestrafung des Schuldigen steht einzig und allein dem hohen Orden zu", knurrte die Hohe zurück. Ihre Stimme war tief und bedrohlich geworden, ein weißer Wolf, der die blaue Raubkatze vor sich anstarrte. Das Pulver auf dem Tisch hatte begonnen, sich zu bewegen. Der König warf den Steinen nur einen knappen Blick zu, während seine Wachen den Griff um ihre Waffen festigten.

"Ihr werdet mir genau erklären, wieso ihr es Euch eine solche Respektlosigkeit herausgenommen habt", stellte die Hohe klar.

Eine kurze Pause folgte, in der May eine Welle aus Übelkeit überrollte und die winzigen gestohlenen Kristalle sich um Ryas Handgelenk legten wie ein Armreif. Sie verschmolz die vielen Einzelteile zu einem Schmuckstück und es dauerte nicht einmal zehn Sekunden.

Die Hohe war mit der Gabe gesegnet, eins mit den heiligen Steinen zu sein. Diese Gabe machte sie zur mächtigsten Frau der letzten Stadt, was niemandem bewusster war, als ihr selbst. Rya legte den Kopf schief und bleckte lächelnd die Zähne.

"Euer Prozess beginnt um fünf Uhr morgens im Saal des Winters. Seid pünktlich."

Das falsche Lächeln glitt vom Gesicht des Königs.

Die Hohe wandte sich auf dem Absatz um, wobei ihre weißen Haare wie Schneeflocken durch die Luft tanzten. May folgte ihr.

"Rya."

Ihr Name hallte im langen Korridor nach wie ein Glockenschlag, doch sie drehte sich nicht um, während er sich aus seinem Sessel erhob.

"Ich werde mich vor keinem Gericht für meine Taten verantworten."

Sie drehte langsam den Kopf und stellte klar: "Es wird dir nichts anderes übrigbleiben, Mias. Du bist offen angeklagt."

"Wieso verschwenden wir unsere Zeit?"

Er schüttelte den Kopf und hängte dann an:

"Ich kann mich selbst begnadigen."

"Oh, das weiß ich. Euch zu verurteilen und den Prozess zu machen, wird mir trotzdem ein außerordentliches Vergnügen bereiten."

Jedes Licht wich aus den Augen des Königs, als die Hohe ihm einen letzten, giftigen Blick zuwarf.

"In einer Stunde im Gerichtssaal. Und seid pünktlich."

Die weißhaarigen Sternenpredigerinnen folgten ihrem Oberhaupt aus dem Saal und ließen die Adligen erschüttert und den König außer sich vor Empörung zurück. Das Spiel um die Macht über die letzten Menschen hatte eine neue Wendung genommen. 

SkythiefWo Geschichten leben. Entdecke jetzt