Der Stamm

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Während sie der Route siebenundsechzig immer weiter gen Süden folgt, lässt sie ihren Gedanken freien Lauf. Endlich denkt sie auch mal an was anderes, als an Maunloa's Augen.

Sie denkt an ihre Großfamilie. Wobei -Familie an und für sich eine unpassende Bezeichnung ist. Stamm trifft es schon eher. Wenn man es allerdings ganz genau nimmt, gehört ihre engste Familie dem Stamm der Sioux gar nicht an! Sie haben sich vor langer, langer Zeit gewissermaßen bei den Sioux in deren Reservat eingeschlichen und gut eingelebt.

Inzwischen ruhen all die alten Geschichten um Storm's Ahnen. Generationen vor ihr haben um die Anerkennung als Sioux gekämpft und gewonnen. Die Vergangenheit ist inzwischen Geschichte. Die Mitglieder der Sioux und die ihres eigenen Stammes haben sich zusammengetan und untereinander vermischt. Kaum einer weiß heute noch darüber Bescheid. Die Sioux und auch die meisten ihrer eigenen Leute wissen heute nichts mehr über Storm's Urahnen und die Umstände, unter denen sie ins Reservat eingezogen sind. Fast alle Stammesangehörigen halten Storm und ihre Familie inzwischen für ihr eigen Fleisch und Blut und es werden keine Unterschiede mehr gemacht.

Doch Storm und ihre Familie haben das Wissen um ihre Vergangenheit behütet. Sie sind sich seit Generationen schon bewusst, dass sie nicht einfach nur Sioux sind. Sie wissen um die alten Tage. Und wenn sie unter sich sind macht auch niemand den Versuch diese Tatsache zu leugnen. Nur unter sich sprechen sie von den alten Legenden und Geschichten ihres Stammes, dem sie ursprünglich entstammten.

Sie alle gehören in Wahrheit zu einem kleinen, völlig unbekannten Indianervölkchen, das sich selbst seit jeher Tipotaki -mit den Elementen verwoben- nennt.

Storm lächelt in Gedanken an ihre Familie. Sie liebt sie. Auch die Sioux im Reservat liebt sie wie ihre eigene Familie. Wenn die keinen Unterschied zwischen eigen Fleisch und Blut und zugezogenen machen, sollte sie selbst es wohl auch nicht tun, hat Storm eines Tages in ihrer Kindheit beschlossen.

Sie kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, jemals fern von ihnen zu sein. Von ihnen allen. Sie sind ihr Leben!

Plötzlich wandern ihre Gedanken völlig unverhofft wieder zu dem jungen Mann in Almich's Market. Als Storm in Gedanken in seine wunderbaren Augen sieht, fährt ein schwacher Wind durch ihr Haar, obgleich alle Fenster geschlossen sind.

Wieder muss sie an den fast magischen Moment denken, als sie die ihrer Meinung nach größte Entdeckung gemacht hat. Sie hat sich nicht nur einfach peinlich verknallt, was sie in Anbetracht ihres Alters selbst unmöglich findet!

Nein!

Sie hat mit der Begegnung bei Almich's noch sehr viel mehr entdeckt, als ihr ausgedörrtes Herz. Dinge, die für ihre Familie, für ihren inneren, geheimen Stamm, die Tipotaki von unsagbarer Bedeutung sein könnte!

Sie würde sich auf jeden Fall Rat holen müssen! Mit so einer Nachricht kann sie nicht einfach beim Häuptling hereinplatzen. Wie also soll sie es anpacken? Wem davon berichten und wem nicht? Sie muss sich dringend sammeln, um ja keinen Fehler zu begehen, den sie später eventuell bitter bereuen würde. Was, wenn nicht jeder so positiv erregt von dem Gedanken ihrer Entdeckung ist, wie sie selbst? Was wenn jemand Angst davor hätte? Man kann schließlich nie genau vorhersagen, wie Menschen reagieren, wenn sie Angst haben. Das hat Storm im Reservat schon häufiger miterleben müssen. Und es waren zumeist Weißgott keine angenehmen Erfahrungen gewesen.

Wem also kann sie vorbehaltlos trauen?

Ihr kommt nur eine einzige Person in den Sinn! Eine Person, die ihr seit ihrer Geburt schon immer sehr nahe gestanden hat und von der sie noch niemals in ihrem ganzen Leben enttäuscht worden war. Jemandem, der ihr worum es auch ging -immer die Wahrheit gesagt hatte. Eine Person, die ihr nie etwas verschwiegen hat, auch wenn die Wahrheit mitunter nicht leicht zu ertragen war. Diese Person ist in jeder wichtigen Phase ihres Lebens für sie da gewesen. Hat sie stets begleitet. Sie ist streng aber herzlich zu Storm. Und sie hat tatkräftig mitgeholfen, Storm zu der glücklichen, jungen und selbstbewussten Frau zu machen, die sie jetzt ist.

Naja ... beim Glück sehen wir mal von einem Ehemann und Kindern ab, aber ansonsten ... ja! Glücklich und einigermaßen jung das bin ich wohl!, denkt Storm bei sich.

Und bis auf die Tatsache, dass du es nicht geschafft hast, den jungen Mann in Almich's Laden anzusprechen, bist du wirklich selbstbewusst!, flüstert ihr da eine Stimme ins Gedächtnis. Die junge Frau muss angesichts der Ironie selbst Grinsen. Dennoch lässt sie sich nicht von ihrem Grundgedanken abbringen.

Sie weiß genau, zu wem sie gleich bei ihrer Ankunft gehen würde. Weiß, sie kann dieser Person alles, aber auch wirklich alles genauso erzählen, wie sie es empfindet. Und sie spürt tief drinnen in sich die Sicherheit, die sie immer spürt, wenn sie an diese tolle Frau nur denkt. Ihr kann sie ganz offen berichten, was geschehen ist. Storm würde sich im Gespräch mit ihr nicht verstecken müssen. Diese Frau ist einfach die beste Zuhörerin, die man sich überhaupt vorstellen kann. Sie redet mit alten und jungen Menschen in stets demselben respektvollen Ton. Niemals verliert sie ein böses Wort über jemanden, dem sie es nicht auch genauso ins Gesicht sagen würde.

Sie würde schon wissen, was zu tun wäre. Schließlich ist sie erheblich älter und erfahrener als Storm. Die junge Frau ist glücklich und stolz darauf solch eine Person in ihrer Familie zu haben. Sie ist ihr schon häufig eine Stützte in schweren Zeiten ihres Lebens gewesen. Sie ist definitiv die Richtige für das, was Storm zu besprechen hat.

Gleich, wenn ich nachhause komme, gehe ich zu Grandma Maka!, schwört Storm sich, während sie den County Road A eins verlässt und rechts herum auf die sechshundertzwanzigste Street abbiegt.

Maka ist die perfekte Person für diese Art von Unterhaltung!, da ist Storm sich absolut sicher! Sie wäre die einzige, die überhaupt irgendwas wissen könne, wenn es dann überhaupt etwas zu wissen gab.

Maunloa's Augen gehen ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn Und jedes Mal, wenn sie in Gedanken diesen attraktiven Mann anschaut, muss sie auch daran denken, was dann geschehen ist.

Sie seufzt. Das Gespräch mit Granma Maka kann echt nicht warten! Es ist dringend! Das Geheimnis, das den jungen Mann eventuell umgibt muss unbedingt gelüftet werden! Und wenn Maka befand, das es tatsächlich so war, wie Storm es erlebt hat ... dann ...

dann musste der Stamm handeln! Unter keinen Umständen können sie riskieren, dass alles wieder hochkommt! Es darf nicht sein, das ihre hart erkämpfte Freiheit in Gefahr gerät. Nicht wegen eines einzigen Mannes! Dieses Risiko kann ein ganzer Stamm Tipotaki auf keinen Fall eingehen!

Niemals!

Wenn Maka Storm glaubt und das würde sie, -dann muss etwas geschehen! Unverzüglich! Der junge Mann kann nicht einfach weiter herumrennen und die Tipotaki vom Wood Lake Creek mit seiner Art zu Leben in ihrer Existenz gefährden.

Storm's Stamm würde unter keinen Umständen darauf verzichten, den jungen Mann aufzuspüren, ihn zu befragen und ihn ruhig zu stellen.

Soviel weiß Storm bereits von ihren Eltern und anderen Stammesangehörigen. Doch mehr hat ihr bisher niemand erzählt. Die alten Legenden, die, die häufig am Lagerfeuer erzählt werden, sind immer recht unterhaltsam. Doch nach und nach wird Storm immer bewusster, wie blöd es von ihr als Kind gewesen sein muss, wenn sie sich mit den anderen Kindern kichernd über einige der Geschichten lustig gemacht hat. Zwar hat Maka ihr schon so einiges erzählt, doch wenn sie jetzt, heute und hier und unter den Aspekten dessen, was sie selbst gerade erlebt hat darüber nachdenkt, wird ihr immer klarer, wie lächerlich blöd sie als Kind den Erwachsenen erschienen sein muss. Es war nicht alles nur eine überzogene, selbst erfundene Geschichte. Ein Teil davon entspricht vermutlich tatsächlich der Wahrheit! Es ist wohl doch mehr echt daran, als sie gedacht hat.

Wieviel?

Das würde sie jetzt gleich herausfinden!

Bei einem Gespräch mit Granma Maka.


Alle Rechte an bIld und Text liegen bei mir!

Maunloa & StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt