Maunloa & Storm

Der Stamm

„Unterirdische Lavaaktivitäten erschüttern Hawaii ..." Storm schenkt dieser Schlagzeile in der Morgenzeitung nur kurz ihre Aufmerksamkeit. Hektisch blättert sie weiter. Ganz besonders interessieren sie immer die Todesanzeigen und die Polizeiberichte. Keiner gestorben, den sie kennt. „Gott sei Dank", seufzt sie und nimmt noch einen Schluck Tee. Sie blättert um und hätte fast ihr wohlschmeckendes Heißgetränk ausgespuckt.

„Wetterchaos! Verheerende Feuer in Californien. Tornado in Ohio", prangt ihr als Schlagzeile entgegen. Während sie sich in den Artikel vertieft, tastet sie nach ihrem bisher unberührten Toast. Interessiert liest sie jedes Wort genau durch. Zum Glück ist weder bei dem Feuer, noch bei dem Tornado jemand getötet worden. Erleichtert faltet sie ihre Zeitung zusammen und trinkt ihren Tee aus.

Heute hat sie ganz entgegen ihrer persönlichen Laune vier Kunden zu beraten. Als spirituelle Lebensberaterin verdient sie sich so ihr Geld. Doch heute ist sie jetzt schon nicht bei der Sache.

Ständig schweifen ihre Gedanken zu Paytah ab! Wie gemein er zu ihr gewesen ist. Was für unschöne Dinge er gesagt hat. Mit welchem Recht nimmt er es sich überhaupt heraus, sie an einem glücklichen Leben zu hindern?

Auch jetzt noch, einen Tag nach dem Streit fühlt sie sich gedemütigt und zutiefst verletzt. Was fällt dem nur ein? Während ihr die Szene vom Vortag nochmal durch den Kopf geht, fragt sie sich plötzlich, ob Skyler sich auch so fühlt wie sie selbst. Gedemütigt und verletzt? Sie seufzt unzufrieden bei der Einsicht, dass sie sich wohl oder übel für ihren harschen Ton bei ihm entschuldigen muss. Eigentlich hat sie dazu gar keine Lust! Aber es ist Stammesregel, sich so zu Verhalten, wie man selbst behandelt werden will. Manche halten sich daran, andere nicht. Trotzdem! Storm ist eine von denen, die sich an die Regeln hält. Sie würde sich bei dem „Klatschmaul" entschuldigen müssen! Sie ist sich ziemlich sicher, dass sich die Sache mit Skyler wieder einrenken lässt.

Erst acht Uhr. Noch hat sie Zeit! Der erste Kunde ist für neun angemeldet. Zeit genug, um noch mit Skyler zu sprechen, ehe die Reservatsschule beginnt.

Das ist gut! Denn dann könnte sie ihn auf dem Schulweg abfangen. Eine wunderbare Gelegenheit, um nicht auf Skylers Mutter Avery zu treffen! Denn die will ansonsten garantiert wissen, was vorgefallen ist und dann würde es sehr anstrengend werden. Avery hält ihre Kinder Skyler und Jayden nämlich für absolut unfehlbar! Auf eine Diskussion mit der „Überglucke", wie Storm sie heimlich nennt, hat sie heute Morgen absolut keine Lust! Zu tief sitzt ihr die letzte Nacht noch in den Knochen! Irgendwie fühlt sie sich so, als hätte sie die ganze Nacht durchgezecht und nun mit einem Kater zu kämpfen. Doch sie weiß es besser. So wie ihre Familie es inzwischen sicher auch schon wusste.

Das einzige, was sie einigermaßen auf dem Damm hält, sind die Gedanken an den hübschen Mann in Almich's Market in Granite Falls. Wieder erscheinen ihr im Geist seine wunderbaren braunen Augen, als er sie gemustert hat. Die Grübchen in seinen Wangen und in seinem Kinn ... das total umwerfende Lächeln ...

Als sie so in Gedanken versunken vor sich hinträumt, wird ihr wieder wohler ums Herz. Sie lächelt versonnen und gibt sich ihren Tagträumen kurz hin. Müsste sie heute nicht eventuell nochmal nach Granite Falls zum einkaufen fahren? Sie ärgert sich, dass ihr absolut nichts einfallen wollte, was sie dort besorgen könnte.

Vielleicht könnte sie sich aber auch mal im Reservat unauffällig umhören. Es könnte ja möglich sein, das jemand den Mann kennt. Immerhin hat er recht Indianisch ausgesehen. Vielleicht ...

Immer noch verträumt lächelnd steht sie auf, räumt ihr Geschirr weg und macht sich auf den Weg, um Skyler Truebear zu suchen.

Paytah sitzt zur selben Zeit in seinem ruhigen Haus am Tisch und blättert in der Tageszeitung.