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Leider sind es nicht die schokoladenfarbigen von Thiemo, sondern andere. Abwartend schaue ich den Typ vor mir an.

"Willst du tanzen?", fragt er. Zuerst zögere ich, doch schließlich willige ich ein. Wenn ich niemanden kenne, kann ich nicht darauf warten, dass Thiemo mir alle vorstellt, sondern muss auch selbst was dafür tun.

Wir bewegen uns von den Lichterketten weg und fangen an miteinander zu tanzen. Er fragt mich, wie ich heiße und woher ich komme und ich gebe ihm die Antworten. Dabei versuche ich, ihn genauer zu betrachten. Auf der Tanzfläche scheint dies jedoch unmöglich, denn hier gibt es kaum Licht.

Irgendwann tanzen wir enger zusammen. Seine Hand liegt auf meinem Rücken und ich spüre die Wärme durch mein T-Shirt hindurch. Seine andere wandert über meinen Arm und streichelt meine Wange. Er kommt mir so nah, dass ich seinen Atem riechen kann und prompt beuge ich mich ein wenig zurück.

"Rauchst du?", frage ich ihn, doch er gibt mir keine Antwort, sondern zieht mich nur noch näher an sich heran. Angeekelt winde ich mich aus seinen Armen, denn der Geruch des Nikotin lässt sich nicht mehr leugnen. "Ich mag den Gestank nicht", gebe ich ihm zu verstehen.

"Sei doch nicht so zimperlich!" Ungeachtet meiner Abneigung will er mich wieder an sich ziehen, doch ich weiche zurück. Dabei stolpere ich und falle rückwärts. Zwei Arme packen mich und halten mich gerade so eben noch auf. Als ich mich umdrehe, kann ich Thiemo erkennen.

"Thiemo!", rufe ich freudig und spüre ein Grinsen auf meinem Gesicht. Gleichzeitig komme ich mir vor, wie in einer schlechten klischeehaften Clubszene.

Auch ohne Licht erkenne ich, dass die Miene des Typen sich verdunkelt hat. Er wirft Thiemo einen schmalen Blick zu und verschwindet. "Wollte er dich anbaggern?"

"Auf eine sehr unhöfliche und fordernde Art", erkläre ich. "Willst du was trinken? Du tanzt schon die ganze Zeit."

Scheinbar hat er mich beobachtet und da er recht hat, stimme ich zu. Wir schlängeln uns zur Bar durch, hinter der eine Frau steht. "Hey ihr, ich bin die neue Barkeeperin. Ich übernehme keine Garantie für den Geschmack, dafür fehlt mir die Übung", begrüßt sie uns.

Obwohl ich den Alkohol immer noch spüre, bestellen wir uns beide einen Tequila und trinken ihn auf Ex. Mir ist egal, ob es gut für mich ist oder nicht. An diesem Abend möchte einfach nur genießen, worauf ich Lust habe.

Wir lachen und tanzen zusammen. Wie viele Male ein Lied endet und ein neues anfängt, vermag ich nicht zu sagen. Ich torkel, sobald Thiemo mich im Kreis dreht und pralle gegen ihn. Wieder fängt er mich auf und grinst.

Sein Gesicht kann ich kaum noch erkennen, doch seine Lippen finde ich ohne große Probleme. Sie fühlen sich weich und warm auf meinen an. Eine seiner Hände streichelt unaufhörlich an meiner Kopfhaut und löst damit ein leichtes Prickeln an der Stelle aus.

Mit der anderen hält er mich fest und zieht mich an sich. Von allen Seiten werden wir immer wieder angerempelt, bis wir uns aus der Menge bewegen und auf die andere Seite des Schiffes gehen. Hier ist es ruhig und ich höre die Wellen gegen den Rumpf des Schiffes schwappen.

Die Dunkelheit scheint mir noch intensiver, doch sie macht mir keine Angst. Ich fühle mich ganz und gar geborgen in seinen Armen, mit seinen Lippen auf meinen.

Nach und nach verebt die Feier und als am Horizont langsam die Sonne aufgeht, verschwinden wir in der Kabine. Müde lasse ich mich auf das Bett fallen und rolle mich zusammen. Kleidung wechseln und Zähne putzen erscheint mir jetzt viel zu anstrengend.

Thiemo legt sich neben mich und ich kuschel mich an ihn. Seine Hand massiert sanft meine Kopfhaut, woraufhin ich binnen weniger Sekunden einschlafe.

~~~

Stöhnend schleppe ich mich beim Aufwachen zur Toilette. Anschließend wälze ich mich unruhig im Bett hin und her, immer darauf bedacht, Thiemo nicht zu wecken. Doch egal wie sehr ich mich bemühe, ich schlafe nicht wieder ein. Meine Stirn pocht und hält mich davon ab.

Schließlich stehe ich erneut auf und stelle mich unter die Dusche. Sobald der ganze Schweiß vom Tanzen abgewaschen ist, fühle ich mich deutlich besser, obwohl die Kopfschmerzen kein Stück nachgelassen haben.

Da Thiemo weiterhin schläft, verlasse ich leise die Kabine und begebe mich auf das Pooldeck, das direkt über dem liegt, auf dem wir gestern getanzt haben.

Es ist wieder ein sehr schöner Tag und die Sonne blendet mich. Auf dem Sonnendeck sehe ich Lia in einer der Liegen und gehe zu ihr. "Morgen", begrüße ich sie. "Guten Morgen. Auch wenn es schon Nachmittag ist."

Lachend setze ich mich neben sie und schaue sie an. Ein wenig beneide ich sie um ihre blonden Haare, die genau wie die von Thiemo in der Sonne immer zu leuchten scheinen. Meine hellbraunen sehen bloß aus wie immer.

Wie ich trägt sie heute Shorts und ein einfaches Top. Schmunzelnd schaut sie auf meine nackten Füße. "Hast du keine Schuhe mehr?"

"Doch, aber ich lauf fast immer barfuß herum", erkläre ich ihr und ernte einen ungläubigen Blick. "Tut dir das nicht sau weh, wenn die Holzplanken hier wieder richtig heiß sind?"

"Meistens nicht und wenn doch, dann ziehe ich einfach Flipflop an."

Lia starrt mich immer noch entgeistert an und lässt ihren Blick von meinen nackten Füßen zu ihren wandern, die in Sandalen steckten.

Dabei betrachte ich sie. Ihre ganze Art kommt mir so vertraut vor, dass es mehr als nur irritierend ist, sie nicht wirklich zu kennen.

"Wie alt bist du eigentlich?", frage ich neugierig. "19", antwortet sie zerstreut. Die Sache mit dem Barfuß herumlaufen scheint ihr zu schaffen zu machen.

"Hey ich auch!", rufe ich begeistert. Ihr Blick bleibt in meinem hängen und ich kann ihre Augenfarbe erkennen. Schokoladenfarbig.

Die ganzen neuen Entdeckungen, die ich mache, lassen mein Herz vor Aufregung wieder höher schlagen. Jahrelang hatte ich überlegt, wie sie sein könnte, doch jetzt war sie hier und ich konnte es endlich herausfinden.

Plötzlich durchzieht ein Funkeln ihre Augen und auf ihrem Gesicht breitet sich ihr herrliches Grinsen aus.

"Was ist?", frage ich nichtsahnend und lächel sie an. "Du und Thiemo also", kommt es aus ihrem Mund und ich erstarre.

"Ähhh", gebe ich sehr intelligent von mir und spüre, wie meine Wangen ganz heiß werden. So genau hatte ich über dieses Thema noch nicht nachgedacht, doch die Erinnerungen breiten sich sofort in meinem Kopf aus.

Wie wir miteinander getanzt haben und immer enger zusammengerückt sind. Beide betrunken und laut lachend. Seine Nähe, die Drehung, wieder seine Nähe und schließlich diese warmen und weichen Lippen auf meinen.

"Ich glaube nicht, dass es das ist, wonach es aussieht", sage ich zögernd. Lia zieht beide Augenbrauen hoch. "Ach nein?"

"Ich denke, wir haben uns beide lediglich mitreißen lassen. Da läuft nichts."

Lia überrascht mich, indem sie laut loslacht. Es klingt so schön, dass ich meine Verlegenheit direkt wieder vergesse und einfach nur noch hingerissen bin.

"Keine Sorge. Solange du dich nicht wie die letzte Bitch verhälst, ist mir das vollkommen egal", meint sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hat.

Für einen kurzen Moment bin ich in Versuchung zu fragen, warum Thiemo ihr so wichtig zu sein scheint, bis es mir wie Schuppen von den Augen fällt.

Er ist ihr Bruder. "Natürlich. Die blonden Haare, die Sommersprossen, die schokoladenfarbigen Augen, die Nase, das schmale Gesicht", denke ich und sage laut: "Ich habe auch einen Bruder. Hatte. Er war erst 10."

Der Gedanke macht mich wieder traurig. "Dann sollten wir bei Gelegenheit mal überlegen, was besser ist: große oder kleine Brüder", schlägt Lia vor und erhebt sich.

"Na los, lass uns Yanik und Thiemo suchen."

Als ich im Jahr 2974 erwachteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt