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Ich warte darauf, dass er lacht. Dass er lacht und mir sagt, dass er mich verarscht hat.

Doch nichts dergleichen passiert und so starre ich ihn nur mit offenen Mund an. "Du verarscht mich?", versuche ich es fragend. Thiemo schüttelt den Kopf.

"Wir sind einfach durch Spanien durchgefahren Claire. Es gab nichts als Meer."

"Seid ihr euch sicher, dass wir nicht gerade Richtung Amerika unterwegs sind?" Meine Stimme klingt schrill und in mir breitet sich Panik aus, von der ich nicht genau weiß, wovor ich eigentlich Angst habe.

Vielleicht davor, dass wir nie wieder auf Land treffen und auf dem Schiff verhungern und verdursten werden. Einsam und alleine, für den Großteil viel zu jung.

"Nein, einsam definitiv nicht", korrigieren mich meine Gedanken, doch wirklich aufmuntern tut mich das nicht.

"Wir können nirgendwo anders sein. Es sei denn, die Sterne haben ihre Positionen verändert", antwortet Thiemo leise und so irre es klingen mag, diese Erklärung löst Hoffnung in mir aus. Die Hoffnung, dass die Sterne ihre Positionen verändert haben.

Dennoch niedergeschlagen trotte ich wenig später hinter Thiemo her zu dem Restaurant. Wir setzen uns zu Yanik an einen Tisch, nachdem wir etwas zu Essen geholt haben. Die Jungs unterhalten sich über das Phänomen Spanien, wie sie es nennen. Ich sitze daneben und höre zu, hoffe dabei inständig, dass alles ein großer Irrtum ist und sich noch klärt und schaue mich gleichzeitig nach Lilliana um. Entdecken kann ich sie jedoch nicht.

Nach dem Essen frage ich Thiemo und Yanik nach ihr. "Ihre Großeltern und Ann kümmern sich um sie. Hab Ann eben gesehen, wie sie was zu Essen mitgenommen hat", erzählt Yanik.

"Wenn sie essen kann, geht's ihr bestimmt ganz gut", stellt Thiemo fest und ich nicke zustimmend.

Lia stößt später am Abend wieder zu uns. Sie trägt eine mit Soße befleckte weiße Schürze und ein weißes Kopftuch. Grinsend betrachte ich sie.

"Willst du Ceil aus Cook, Live, Love spielen oder was? Die ist aber Kellnerin und keine Köchin", erinnere ich sie scherzhaft. "Hahaha. Du bist ja witzig", entgegnet Lia trocken und bindet die Schürze los.

"Über was fürn Zeug redet ihr?", fragt Yanik und schaut uns fragend an. "Bücher", erklärt Lia auf seinen ratlosen Blick hin.

Langsam hellt sich das Gesicht von Yanik auf und er scheint zu verstehen, um welches Buch es geht. "Ach sooo, dieses Mädchenbuch", schnaubt er und Lia und ich rufen gleichzeitig "Hey!" und "Das stimmt doch gar nicht!"

"Also ICH finde es auch nicht übel", mischt Thiemo sich ein und grinst und lacht über Yanik, der stöhnend die Augen verdreht.

"Verschont mich mit dem Zeug! Die einzigen Bücher, die ich lese, sind Liederbücher, damit ich die scheiß Texte lerne."

"Er ist keine Leseratte", sagt Lia an mich gewandt und lächelt. "Allerdings sagt Thiemo auch nicht die Wahrheit. Es gibt ganze Stapel Bücher, die er besser findet."

"Zum Beispiel Micky Maus Bücher!"

"Zum Beispiel Micky Maus Bücher", bestätigt Lia.

Ich nicke und lache. "Ich könnte mich gar nicht entscheiden, welche zu meinen Lieblingsbüchern gehören oder nicht und welche ich überhaupt am liebsten mag", denke ich laut vor mich hin.

"Das ist eines der größten Probleme von Bücherwürmern."

"Und warum hast du jetzt dieses Zeug angehabt?", komme ich zum eigentlichen Thema zurück und deute auf die Schürze und das Kopftuch.

"Wusstest du das noch nicht? Ich helfe in der Küche. Es sind ja nur noch zwei Köche übrig und bei...wie viel sind noch übrig? 300 Leute? Jedenfalls kann man bei einer solchen Menge ganz gut Unterstützung brauchen."

"Mein Gehirn sagt mir, dass der Kapitän ganz am Anfang was von Küche und Unterstützung gefaselt hat, aber ich kann mich beim besten Willen kaum daran erinnern. Aber cool, dass du scheinbar so gut kochen kannst. Mir hat es auf jeden Fall immer sehr gut geschmeckt."

Lias Wangen färben sich zartrosa und sie lächelt sanft über das Lob. Ich kann mich nicht erinnern, sie in meinen Träumen jemals so gesehen zu haben. Dennoch ist mir ihr Anblick nach wie vor vertraut.

"Habt ihr euch langsam genug angestarrt?", fragt Yanik und zerstört damit den Moment. Als würde eine Seifenblase platzen, tauchen wir aus unseren Gedanken auf und wenden unsere Blicke voneinander ab.

~~~

Die folgenden Abende und Tage verlaufen ruhig. Thiemo und Yanik verbringen viel Zeit beim Kapitän, Lia und ich sitzen auf dem Sonnendeck und unterhalten uns. Manchmal setzen wir uns auch zu einer Pokerrunde ins Casino oder spielen anderweitig Gesellschaftsspiele.

Einen Tag verbringen wir komplett am Klavier. Unermüdlich spiele ich alle mir in Erinnerung gebliebenen Klavierstücke und einige aus dem Notenheft, welches wir dort gefunden haben.

Sobald Lia in der Küche verschwindet, treffe ich mich mit Lilliana, Ann oder Louis. Ab und an unternehme ich auch etwas mit Thiemo. Von Tag zu Tag hat er die Stirn mehr gekräuselt. Die Sorgenfalte verschwindet erst, wenn er schläft.

Während er wieder einmal mit Yanik beim Kapitän ist, gehe ich mit Lia und einigen anderem im Pool baden. Die Sonne scheint schräg auf das Wasser und lässt es funkeln und glitzern.

Unter Wasser leuchtet dadurch alles und ich fühle mich an den Zeitpunkt meines Erwachens zurückgesetzt. Mit dem Gesicht nach oben liege ich auf dem Grund und fühle mich das erste Mal seit langem wieder vollkommen ruhig.

Um mich herum ist es still, nur ganz leise und gedämpft nehme ich die Geräusche des Pools wahr. Einzelne Luftblässchen verlassen meinen Mund und meine Nase. Sie laufen kribbelnd über meine Haut und lösen sich rasch, um anschließend zur Wasseroberfläche zu schweben und in dem Leuchten zu verschwinden.

Auf meiner Brust entsteht ein leichter Druck, der mir zeigt, dass ich bald wieder Luft holen muss. Bevor es unerträglich wird, tauche ich auf und atme ein.

Die Geräuschkulisse kracht auf mich ein. Lilliana jauchzt vor Vergnügen auf, wenn Louis und Ann sie in die Luft werfen. Immer und immer wieder kommt sie lachend zu ihnen zurück und will noch einmal geworfen werden.

Lia unterhält sich mit einem Jungen, der mir bekannt vorkommt. Neugierig betrachte ich ihn eingehend. Dunkles Haar, ein bisschen größer als Lia und ich. Ich stoße mich vom Rand des Beckens ab und schwimme zu ihnen herüber.

Der Junge lächelt sie freundlich an und legt dabei seine Hand ein bisschen näher neben ihre auf den Beckenrand. Weiter sie anblickend hört er ihr zu. Solange, bis ich neben den beiden auftauche.

Ruckartig zuckt seine Hand zurück und er wendet mir das Gesicht mit einem vernichtenden Blick darauf zu. Verwirrt schaue ich zurück und wende mich dann an Lia.

Diese strahlt mich regelrecht an und der Kontrast dieser beiden Gesichter bringt mich zum Schmunzeln.

"Na ihr?", frage ich fröhlich und der junge Mann gibt ein grunzendes Geräusch von sich, bevor er sich abwendet und aus dem Wasser hievt. Er geht zu einer der Liegen und nimmt ein Handtuch, welches auf ihr liegt. Dieses wirft er sich über die Schulter und schnappt sich eine Packung Zigaretten, die darunter versteckt waren.

Da erkenne ich ihn. Es ist der Typ, der mich beim Tanzen angemacht hat und einen schrecklichen Nikotinatem hatte.

Er wirft mir noch einen vor Wut funkelnden Blick zu bevor er verschwindet. "Was hast du dem denn getan?", fragt Lia verwundert. Für einen Moment habe ich vergessen, dass sie direkt neben mir im Wasser ist.

"Einen Korb gegeben", antworte ich und zucke mit den Schultern. Auf Lias Grinsen hin ergänze ich: "Wegen seines Nikotinatems."

Lia lacht laut auf und ich stimme mit ein. Hinter uns hören wir Lilliana und Ann, wie sie lachend und johlend Louis in den Innenbereich des Pools jagen. Ich strecke meinen Körper und Lia tut es mir gleich. So liegen wir eine Weile ruhig am Beckenrand.

Als ich im Jahr 2974 erwachteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt