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„Glaubst du eigentlich, dass wir bald an der afrikanischen Nordküste sind?", flüstert Lia mir plötzlich zu und sieht sich forschend um.

Auch ich werfe einen beobachtenden Blick um mich, bevor ich leise antworte: „Sagen wir es mal so: Hoffen tu ich es gewiss nicht."

„Danke! Yanik und Thiemo sind so dermaßen überzeugt, dass es gar nicht anders sein kann...da ist es echt schön, mal mit jemanden zu sprechen, der nicht so denkt."

Ich spüre eine ähnliche Erleichterung wie jene, die sie beschreibt und sage: „Es erscheint mir einfach völlig unlogisch, dass ein ganzes Land nicht da ist, wo es sein sollte. Außerdem können sie die Sterne einfach falsch bestimmt haben, schließlich benutzen sie sonst immer Navigationsgeräte und sind somit aus der Übung."

„Genau das denke ich auch! Ich meine, theoretisch habe ich auch mal gelernt, wie man ne stabile Seitenlage macht, können tu ich es trotzdem nicht mehr wirklich."

Bei dem Gedanken an Erste-Hilfe kommen die Erinnerungen an meinen Kurs hoch. Wir waren ein ganz lustiger Haufen gewesen und meine beste Freundin Isabelle und ich hatten eine Menge Spaß gehabt, während wir uns mit Pflastern und Verbänden eingedeckt hatten.

„Ich hoffe einfach, dass die Sterne „Bäumchen-Wechsel-Dich" gespielt haben", erkläre ich und schaue ein wenig trübselig zum Himmel hoch, an dem ich jedoch keine Sterne, sondern nur einige weiße Wolken ausmachen kann. „Das wird schon irgendwie", sagt Lia und ich weiß nicht, ob sie mich oder sich selbst mit diesem Satz versucht zu beruhigen.

Wir planschen noch eine ganze Weile zusammen im Wasser und genießen die Wärme und das kühle Nass dazu. Ich bewundere Lias Körper. Schlank und kraftvoll und dennoch wirkt er weder muskulös, allerdings auch nicht dick. Sie ist hübsch und Yanik kann sich glücklich schätzen, sie zu haben.

Die Beziehung der beiden macht auf mich von außen hin jedoch nicht den Eindruck einer besonders innigen. Mir ist nie aufgefallen, dass sie sich geküsst oder gar an den Händen gehalten hätten. In der Gegenwart anderer sind sie stets distanziert.

„Was meinst du dazu?", fragt Lia mich und ich antworte wie aus der Pistole geschossen: „Finde ich gut so." Einige Sekunden später wird mir jedoch klar, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie genau spricht, da meine Gedanken noch bei der Distanz dieser Beziehung hängen.

„Cool, dann spreche ich mal mit den Jungs, aber das sollte ja kein Problem sein. Schließlich wollen wir Mädels auch mal nachts zusammen abhängen."

Ich nicke. „Wovon könnte sie reden?", überlege ich gleichzeitig. Lia scheint von meiner Verunsicherung nichts zu merken, denn sie redet einfach weiter.

„Soll ich dann zu dir kommen oder du zu mir? Wäre einfacher, wenn ich einfach zu dir wechsle, Thiemo hat sein Zeug eh noch fast komplett bei uns."

Langsam beginne ich zu verstehen, dass sie von den Kabinen redet und meine Miene hellt sich auf. In mir kribbelt es leicht und ich grüble, wann ich das letzte Mal mit einem Mädchen einen Übernachtungsabend hatte.

Da meine Erinnerungen an den letzten mit Isabelle etwas schwammig sind, muss es eine Weile her sein. Früher war die Anzahl höher gewesen und selig vor mich hin träumend denke ich an die gute alte Zeit zurück.

Wir sind bis Mitternacht aufgeblieben, haben immer leiser miteinander geredet und irgendwann nur noch geflüstert. Dennoch waren wir am nächsten Tag früh wach und haben Radau veranstaltet. In diesen Nächten ist man alle Sorgen losgeworden, konnte sich über jeden Quatsch unterhalten und hat Ratschläge gegeben.

Lia reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie wissen will, woran ich denke teile ich es ihr mit und sie nickt verständnisvoll.

~~~

Am Abend sitzen wir mit den beiden jungen Männern zusammen und trinken einen Cocktail nach Thiemos speziellem Rezept. Lia und ich berichten ihnen von der Idee, die Kabinen neu zu mischen und sie stimmen schweigend zu.

Verwundert schauen wir uns an. Sie spielen beide mit irgendetwas herum und scheinen nur körperlich anwesend zu sein. Ihre Blicke hängen an einem Punkt und schauen diesen leer an.

„Alles okay bei euch?", erkundige ich mich besorgt und ernte ein „Hmmm".

„Was ist denn?", hake ich nach und lasse meinen Blick von einem zum anderen schweifen. Sie zögern mit der Antwort und ignorieren die neugierigen Ausdrücke auf unseren Gesichtern.

„Wir befinden uns inzwischen auf dem nordafrikanischen Kontinent", erläutert Yanik und mir rutscht das Herz in die Hose. „Ihr macht Witze!" Lias Stimme klingt schrill und sie starrt uns mit weit aufgerissenen Augen an.

Thiemo versucht uns klarzumachen, dass es so ist, doch in meinen Ohren höre ich nur ein Rauschen. Seine Stimme geht in diesem unter und ich sacke ein wenig in mich zusammen.

Wortlos erhebe ich mich und laufe davon. Kreuz und quer über das Schiff, bis ich nicht mehr kann und atemlos stehenbleibe.

Mein Herz klopft gegen meine Brust und mein Herz pocht an meiner Schläfe. Ich kann nicht sagen, wo auf dem Schiff ich mich befinde. Meine rechte Hand krallt sich um die Kette meiner Mutter, die ich seit neustem angefangen habe zu tragen. Der kühle Stein beruhigt mich ein wenig.

Konnte es sein, dass wir uns doch an der richtigen Position befinden und die Landmassen verschwunden sind? Doch wohin verschwunden? Untergegangen?

Mir schauderte es und ich überlegte, ob es möglich war, dass innerhalb eines Tages so starke Wassermassen gante Länder meilenweit versenken konnten. Doch das ist unmöglich. Sie konnten niemals so tief auf dem Meeresgrund versunken sein.

Die Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf und ich laufe ziellos umher. Irgendwann stehe ich in einem halbdunklen Raum, an dessen Wände Lichter flackern. Das Rauschen in meinen Ohren hat so weit nachgelassen, dass ich die Musik gedämpft höre.

Um mich herum tanzen einige Menschen und ich lasse mich von ihren Bewegungen mitreißen. Ich tanze und tanze, lande zwischenzeitlich an der Bar, trinke etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist und tanze wieder.

Wie in einem Rausch vergeht die Zeit und ich fühle mich mehr als Zuschauer meines eigenen Lebens. Als würde ich schlafen und meinem Traum-Ich zusehen.

Stunden später stehe ich in der Kabine unter der Dusche und wasche den Schweiß von mir. Es klopft leise und in ein Handtuch gewickelt öffne ich Lia die Tür. Sie wirkt überrascht und lässt ihren Blick mehrfach an mir hoch und runter wandern.

„Du bist ja doch noch da. Wir dachten schon, du hättest dich von Bord gestürzt", murmelt sie. „Ich brauchte etwas Zeit für mich alleine", entschuldige ich mich und halte ihr die Tür auf.

Während sie den Koffer auspackt, creme ich mich ein und ziehe meinen Schlafanzug an. Aus dem Augenwinkel heraus beobachte ich sie. In ihrem Gesicht spiegelt sich Erschöpfung wieder: Ihre Augen sind klein und ihr Körper scheint etwas schlaff. Die Schultern hängen ein wenig herunter und sie unterdrückt ein Gähnen. Dennoch glaube ich nicht, dass es alleine die Müdigkeit ist, die ihr zu schaffen macht, traue mich jedoch nicht, sie danach zu fragen.

Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass sie mir über ihre Sorgen schon berichten wird, wenn sie bereit dazu ist, putze ich mir mit ein wenig Vorfreude die Zähne und beschließe, mich anschließend bereits in die weichen Kissen zu kuscheln und auf Lia zu warten.

Aus der in meinen Gedanken visionierten Mädelsnacht wird nichts mehr, denn kaum, dass ich mich ins Bett gelegt habe, fallen mir auch schon die Augen zu.

Als ich im Jahr 2974 erwachteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt