Lilliana stürmt mit einem Affenzahn zu dem Tisch, an dem Lia und ich gemütlich frühstücken. Keuchend stoppt sie vor uns und offenbart uns nach Luft schnappend die neuste Entdeckung. „Wir nähern uns einer Insel."
Im Nu haben wir das Frühstück vergessen und folgen ihr im Trab aufs Sonnendeck hinaus. Von dort aus brauchen wir nicht lange am Horizont zu suchen, denn die Insel ist unschwer zu übersehen. „Land!", äußert sich Lia und ihre Stimme klingt erfreut.
„Das ist definitiv nicht die afrikanische Nordküste. Sie haben sich geirrt", wispere ich ihr zu und vor lauter Begeisterung fällt sie mir um den Hals. Ich erwidere die Umarmung und spüre, wie mein Herz schneller zu schlagen beginnt – vermutlich vor lauter Aufregung über die Aussicht auf festen Boden.
In einiger Entfernung macht das Schiff Halt. Inzwischen haben sich viele Menschen auf dem Deck versammelt und schwatzen eifrig miteinander. Lauter wird das Gemurmel jedoch, als sich ein kleines Boot unserem Schiff nähert. Die Leute zeigen dorthin und schreien sich gegenseitig etwas zu.
Gespannt beobachten wir mit den anderen, wie der Kapitän sich einen Weg durch die Menge bahnt und gemeinsam mit Thiemo und Yanik eines der Rettungsboote besteigt. Sie werden aufs Wasser hinabgelassen und rudern dem Ankömmling ein Stück entgegen.
„Diese Halunken! Ich will auch da unten sein", beschwert Lia sich eingeschnappt und starrt die jungen Männer finster an. Als würde er ihren Blick spüren, dreht Yanik sich kurz um und sucht mit den Augen die Reling ab. Aufgrund der vielen Menschen scheint er uns jedoch nicht zu sehen und wendet sich wieder ab.
Ich nehme den Ankömmling und sein Boot genauer in Augenschein. Das Boot scheint ein selbstgemachtes aus Holz zu sein, welches jedoch einiges an Platz bietet und die gleiche Form wie das Schlauchboot hat, mit dem der Kapitän und seine Begleitung dort sind.
Sein Insasse ähnelt jemanden, der meiner Vorstellung nach auf einer Insel lebt: Der Oberkörper des Mannes ist frei und braun gebrannt. Er hat langes Haar und eine einfache Leinenhose an.
Lange Zeit reden sie miteinander, bevor der Inselbewohner sein Boot wendet und zurück zur Insel fährt. Das Schlauchboot kehrt ebenfalls um und kurz darauf sind die drei wieder an Bord. Sofort werden sie mit Fragen überhäuft, doch keiner von ihnen gibt eine Antwort. Sie verschwinden einfach wieder im Inneren des Schiffes, umgeben von einer Menschenhorde.
Lia zupft an meinem Ärmel. „Los. Uns werden sie bestimmt sagen, was ist."
Sie zerrt mich hinter sich her und wir bewegen uns Richtung Steuerraum. Plötzlich dringt durch die Lautsprecher die Stimme des Kapitäns zu uns.
„Sehr geehrte Mitreisende. Aufgrund technischer Störungen sind wir vom Kurs abgekommen. Die Bewohner dieser Insel gehören einem internationalem Bund an und bieten uns freundlicherweise ihre Gastfreundschaft an. Wir werden in den Hafen fahren und es ist jedem freigestellt an Land zu gehen. Bitte beachten Sie, dass es auf der Insel gefährliche Tiere gibt. Wir übernehmen keine Haftung für Unfallschäden jeglicher Art."
Damit endet die Durchsage und ich laufe in Lia hinein, die ruckartig stehen geblieben ist. „Wir können an Land?", fragt sie sich selbst und dreht sich mit leuchtenden Augen zu mir um. „Wir können an Land!" Dabei strahlt sie mich wie verrückt an.
Genauso schnell wie wir hierher gelaufen sind, dreht sie sich um und rennt in die entgegengesetzte Richtung davon. „WARTE", rufe ich ihr hinterher und bemühe mich sie wieder einzuholen.
An der Reling bleibt sie stehen, sodass ich zu ihr aufschließen kann. „Was geht denn bei dir ab?", wundere ich mich schweratmend und werfe ihr einen irritierten Blick zu. Lia ist jedoch vollkommen in die Betrachtung der Insel vertieft, sodass ich ihrem Blick folge.
Die Insel wirkt selbst aus dieser Entfernung immer noch unglaublich riesig und ich kann die Enden nur erkennen, wenn ich den Kopf in beide Richtungen drehe. Grüne Wälder säumen den Großteil von ihr, lediglich der Strand scheint unbedeckt. Weißer Sand leuchtet uns von dort entgegen und es sieht einfach nur märchenhaft aus.
Nach einer ganzen Weile nimmt das Schiff wieder Fahrt auf und wir bewegen uns seitlich auf die Insel zu. Je näher wir ihr kommen, desto größer wirkt sie.
Wir umrunden sie schätzungsweise zur Hälfte, bevor das Schiff sich einer Felswand nähert. Steil fällt die Klippe ins Meer hinab und ich schaue besorgt den Bug hinunter. „Ob das Wasser noch tief genug ist?", denke ich zweifelnd.
Entgegen meiner Erwartungen kommt das Schiff jedoch sicher und unbeschadet zum Stehen. Nahe der Klippe, die nur in etwa bis zum Casinodeck reicht. Auf die andere Seite weg hat meinen einen wunderbaren Ausblick über das Meer, welches wieder einmal in dem Sonnenschein glitzert.
Nach und nach wird eine Rampe auf die Klippe gelassen. Der Kapitän steht, umringt von aufgeregt murmelnden Passagieren und Crewmitgliedern, vor ihr und wartet geduldig ab.
Als sich eine Hand auf meine Schulter legt, zucke ich erschrocken zusammen. „Thiemo!", stoße ich hervor und werfe ihm einen bösen Blick zu. Er entschuldigt sich mit einem Grinsen.
Neben ihm taucht Yanik auf, der das Geschehen beobachtet. „Wo sind wir?", fragen Lia und ich die beiden, doch sie geben keine Antwort. „Aber ihr müsst zugeben, dass die afrikanische Nordküste falsch war!", kichert Lia und stupst Yanik in die Seite. Er wischt ihre Hand genervt beiseite. „Lass das Lia."
Sie zieht einen Schmollmund und wendet sich nach einem Blick zu Thiemo ab. „Was haben die jetzt schon wieder?", wispert sie mir zu und meint damit die angespannten Gesichter der zwei. „Weiß nicht", murmle ich zurück.
In dem Moment betritt der Kapitän den Steg und begibt sich auf den felsigen Untergrund der Klippe. Nach und nach folgen ihm ein paar Leute.
Schritte nähern sich und wenig später steht ein kleiner Trupp der Inselbewohner vor ihnen. „Herzlich Willkommen!", dröhnt ein Mann, der ihr Anführer zu sein scheint und winkt uns allen einmal zu. Unser Kapitän sagt ihm leise etwas ins Ohr, woraufhin der Mann nickt. „Kommt", höre ich hinter mir und schon schieben Thiemo und Yanik uns nach vorne, über die Rampe und zu der kleinen Menschenansammlung.
Ich werfe einen Blick zum Schiff. Die meisten Menschen beäugen die Bewohner kritisch und mit Abweisung im Blick. Caspar Donnelli hebt ein Mikrofon und hält es sich vor den Mund.
„Verehrte Mitreisende! Das Befehlskommando über das Schiff geht hiermit stellvertretend an meinen ersten Offizier Antonio Göttsch. Ich selbst werde mich mit dem Oberhaupt dieser Insel beraten. Der Weg führt direkt zu dem Dorf. Bitte seien Sie vorsichtig und richten sich, sofern erforderlich, den Anweisungen der Bewohner."
Mit diesen knappen Worten gibt er das Mikrofon an einen Matrosen ab und folgt dem Anführer. Bevor wir reagieren können, schieben die jungen Männer uns schon hinterher und kurz darauf befinden wir uns auf einem schmalen Pfad zwischen den Bäumen. Erstaunlicherweise sind es Kiefern. Ihre Nadeln bedecken den Boden und dämpfen unsere Schritte.
In dem Dorf erwarten uns bereits einige andere Bewohner. Sie beäugen uns, viele mit großer Neugier in den Gesichtern. Besonders die kleinen Kinder schauen schüchtern hinter den Beinen ihrer Eltern hervor oder lugen um die Ecke eines Hauses.
Die Häuser bestehen größtenteils aus Holz und Lehm. Fenster und Türen sind offene Löcher, wobei ich bei einigen Fenstern eine verstellbare Holzvorrichtung zu erkennen vermag. In manchen Eingängen flattern Stoffe und verbergen somit die Sicht ins Innere.
„Kannst du mal mit dem Schieben aufhören", murrt Lia und stößt Yanik ärgerlich von sich. Er packt sie ohne Widerrede am Arm und schiebt sie weiter. „Was soll das?", zische ich und zapple ebenfalls herum. „Seid doch mal ruhig ihr beiden", kommt es einstimmig und ich verziehe grimmig meine Miene. „Ihr habt uns gar nichts zu sagen", blaffe ich sie an. Thiemo schaut mich ärgerlich an. „Pssst. Wir sind da."
Ein Blick über die Schulter zeigt mir, was er meint. „Willkommen im Herzen unseres Dorfes", verkündet der Anführer und breitet einladend die Arme aus.
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Als ich im Jahr 2974 erwachte
Ciencia FicciónEine unbekannte Schwärze verschluckte die Welt und beendete damit vorerst das Leben auf der Erde. Als Claire erwacht, fühlt sie sich zunächst allein, verlassen und wünscht sich nichts sehnlicher, als sofort zu sterben. Doch sie ist nicht die einzige...