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Immer noch völlig überrumpelt von den Neuigkeiten und im tiefen Glauben, dass alles nur ein großer Irrtum sein kann, stehen wir einige Zeit später draußen vor der Hütte, wo wir auf den Kapitän treffen. Er sah noch nie sah alt aus wie in diesem Moment. Seine Wangen scheinen eingefallen und unter seinen Augen zeichnen sich tiefe Ringe ab. Die Augäpfel sind gerötet und der Blick einfach nur müde. Sein weißliches Haar wirkte schüttern und grau.

Er wirft uns ein erzwungenes Lächeln zu, das seine Augen nicht erreicht. Der Häuptling und seine Frau halten zunächst gebührend Abstand, bis wir zu ihnen treten. „Ihr könnt euch wie vereinbart hier aufhalten. Das Töten von Tieren und das Stören unseres Volkes sind jedoch strengstens untersagt, ebenso wie die Zerstörung der Natur." Sein Blick spricht die Worte, die er nicht sagt. Es würde gewaltige Konsequenzen geben, wenn wir uns nicht an die Regeln hielten. Wahrscheinlich wurden wir bestenfalls von der Insel geschmissen. Ein kalter Schauer durchfährt mich. Diese Leute hier schienen so nett und wahrscheinlich waren sie das auch, allerdings würden sie nicht zulassen, dass man ihre Heimat bedrohte.

Die Geräusche von sich näherenden Menschen lässt mich aufhorchen. Zunächst sehe ich nur weiterhin die Dorfbewohner, die umherwuselten und uns teilweise immer noch beobachteten. Dann taucht eine Gruppe von Menschen am Rande des Dorfplatzes auf. Sie kommen eindeutig vom Schiff, auch wenn ich auf den ersten Blick kein bekanntes Gesicht erkennen kann. Angeführt werden sie von zwei Frauen der Insel, die ihnen etwas zu erzählen scheinen.

Caspar Donnelli wendet sich an Thiemo und Yanik. „Ich bin auf dem Schiff, wenn ihr mich sucht", erklärt er, „Antonio wird dort meine Unterstützung brauchen und wir müssen uns darauf vorbereiten, die anderen Reisenden zu informieren. Ich werde für den heutigen Abend eine Versammlung veranlassen."

Nach einem Nicken der jungen Männer wendet er sich ab und geht denselben Weg zurück, den wir zuvor hergekommen waren. An der kleinen Gruppe von dem Schiff bleibt er kurz stehen und redet mit ihnen, vermutlich informiert er sie über die Versammlung.

„Kommt Mädels. Wir gehen auch zurück, wir müssen den Kapitän unterstützen und die anderen über die Versammlung informieren. Aber erwähnt noch nichts von den Neuigkeiten", sagt Thiemo bestimmt und ich funkle ihn an. „Seit wann kommandierst du eigentlich hier herum?", zische ich wütend. Sein Blick wird hart und er packt meinen Arm. „Jetzt komm!"

Empört reiße ich mich los und schubse ihn zurück. „Sag mal geht's noch!?", schreie ich. Fassungslos. „Wo war der verständnisvolle junge Mann hin, der mich die ersten Tage zum Lächeln gebracht hatte? Der mich aufgeheitert und mir meine Sorgen genommen hat?", frage ich mich traurig.

„Ich will nicht", kommt es leise von der Seite und Lia lehnt sich erschöpft an mich, die Augen geschlossen. „Alles okay bei dir?", erkundigt sich Yanik besorgt. Sie gibt nur ein „Hmm" zur Antwort. Thiemo fordert uns erneut auf mitzukommen, doch dieses Mal schüttelt Yanik energisch den Kopf. „Du siehst doch, dass es Lia nicht gut geht", stellt er klar und fragt mich: „Ihr kommt klar? Du passt auf sie auf?"

Ich versichere ihm, dass ich mich um Lia kümmern und mit ihr zur Versammlung erscheinen werde, woraufhin er Thiemo an der Schulter packt und mit sich nimmt. Dieser guckt ihn brummelig an, während ich sorgevoll Lia stütze. „Wollen wir uns irgendwo hinsetzen?"

„Ich will ans Meer...lass uns herausfinden, wie man zum Strand kommt", flüstert sie und Tränen rollen über ihre Wangen. Vorsichtig lege ich ihren Arm über meine Schulter und stütze sie. Die Frau, die uns die Neuigkeiten mitgeteilt hat, erscheint neben mir. „Sie ist okay?", fragt sie mit einem Blick zu Lia. „Geht so", antworte ich ihr und sie bietet uns an, zu sich nach Hause zu kommen und auszuruhen. Ich lehne das Angebot dankend ab und erkundige mich stattdessen nach dem Weg zum Strand. Wie sich herausstellt, müssen wir einfach nur geradeheraus Richtung Sonne gehen, dann würden wir dorthin gelangen.

„Ich bin übrigens Sienna", stellt sie sich vor und lächelte mich noch einmal an. „Mein Name ist Claire." Wir verabschieden uns und ich schleppe mich mit Lia zum Strand. Unterwegs mustern uns manche neugierig und voller Mitleid, andere ignorieren uns völlig. Doch ich bemerke die Blicke kaum, mein einziges Ziel ist das Meer. Dieser Gedanke hält mich aufrecht, sorgt dafür, dass ich Lia stützen kann und nicht zusammenbreche.

Es dauert eine Weile, aber dann sind wir endlich am Ziel. Das Dorf endete zuvor und wir waren auf einen kleinen Trampelpfad gelangt. Diesem folgend kommen wir zu einer schmalen Schneise zwischen Büschen und Sträuchern und mit den nächsten Schritten treten wir auf feinen Sand. Er reflektiert die Sonne und ich kneife die Augen zusammen.

An meiner Seite richtet Lia sich ein wenig auf und atmet mehrfach tief ein und aus. Die Meeresluft scheint sie zu beleben und sie schafft es, wenn auch etwas wackelig auf den Beinen, zum Ufer zu gehen, wo sie ihre Schuhe auszieht. Achtlos wirft sie sie hinter sich und taucht ihre Füße in das Wasser. Ihre Zehen graben sich in den Sand und auf ihrem Gesicht zeichnet sich der Ansatz einer entspannten Miene ab.

Glücklich über diese Wandlung befreie ich mich ebenfalls von meinen Schuhen und stelle mich neben sie. Wir setzen uns in den Sand und schweigen, lehnen uns haltsuchend aneinander und spenden uns damit den Trost, den Thiemo uns verweigern wollte.

Die Zeit vergeht schneller als erwartet, denn überraschend zügig ist es bereits dämmrig und die Sonne verschwindet langsam hinter dem Horizont. „Ich hab Yanik versprochen, dich zur Versammlung zu bringen", murmele ich und vergrabe meinen Kopf an ihrem Hals. Ihre Haare kitzeln ein wenig an meiner Nase, doch das stört mich in diesem Moment nicht. Trotz der immer schneller kommenden Dunkelheit ist es noch sehr warm und mich überkommt ein Gefühl der Faulheit. „Ich will hier nicht weg. Wenn du zu diesem Arsch von meinem Bruder willst: bitte", entgegnet Lia spitz und ihr Körper versteift sich.

Entschlossen schüttle ich den Kopf und wünsche mir, dass sie aus einem anderen Grund lieber hierbleiben würde. Wir beobachten, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwindet und die orangefarbenen Striemen sich mit rot und gelb am Himmel vermischen. Rosafarbene Streifen durchziehen das stumme Feuerwerk am Himmel und tauchen alles in ein wunderschönes Licht.

Lange nachdem die Sonne schon hinter dem Horizont verschwunden ist, bleiben noch einige Streifen am Himmel zurück, bis auch sie mit der Zeit verschwinden. Wir sitzen immer noch so da, mein Kopf auf ihrer Schulter, die Arme locker auf die angewinkelten Beine gelegt.

„Wollen wir dann vielleicht doch mal langsam zurück?", frage ich vorsichtig. Mein Versprechen nicht gehalten zu haben macht mir inzwischen mehr zu schaffen, als einige Stunden zuvor. Seufzend stimmt Lia zu und wir erheben uns langsam, ziehen die Schuhe wieder an und machen uns nebeneinander gehend auf den Rückweg durch die Büsche und Sträucher.

Glücklicherweise zieht der Weg sich, sodass wir beide unseren Gedanken nachhängend weiterhin die Ruhe um uns herum genießen können. Ich denke über Thiemos Verhalten nach und die Hand, die auf dem Weg zur Hütte in meiner gelegen hatte. Ich wünsche mir, dass ich so jetzt durch diesen Wald spazieren könnte. Gleichzeitig frage ich mich, ob Lia sich wohl gerade Yanik an ihre Seite wünscht. Wenn sie allerdings wirklich so dringend zu ihm wollen würde, wäre sie wahrscheinlich schon eher aufgestanden.

„Bist du dir sicher?", fragt sie in diesem Moment und ich überlege panisch, ob ich laut gedacht hab. „Was?", krächze ich, da meine Stimme versagt. Lia wiederholt ihre Frage: „Bist du dir sicher, dass das der richtige Weg ist?"

Als ich im Jahr 2974 erwachteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt